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Historiker zum Thüringen-Eklat: "Die demokratische Schutzmauer wurde beschädigt"


Historiker zum Thüringen-Eklat
"Das politische Schmutzwasser lässt sich herauspumpen"

InterviewVon Marc von Lüpke

07.02.2020Lesedauer: 4 Min.
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Historische Aufnahmen: Wie der Friedensvertrag von Versailles die junge Weimarer Republik destabilisierte. (Quelle: t-online)

Manche erinnern die Vorgänge in Thüringen an die Republik von Weimar. Historiker Winfried Süß erklärt, warum der direkte Vergleich nicht passend ist. Und die Vorgänge von Erfurt doch alarmierend sind.

Am 5. Februar 2020 wurde Thomas Kemmerich Ministerpräsident von Thüringen, gewählt mit den Stimmen von CDU, FDP und der AfD. Diese Konstellation führte zu politischer Bestürzung, von "Weimarer Verhältnissen" und einem "Dammbruch" war die Rede. Besonders brisant: 1930 wurde mit Wilhelm Frick zum ersten Mal im Deutschen Reich ein Nationalsozialist Minister. Die Weimarer Republik, immerhin die erste parlamentarische Demokratie Deutschlands, ist bis heute aufgrund ihrer politischen und gesellschaftlichen Zerrissenheit berüchtigt.

Der Experte Winfried Süß erklärt im Gespräch mit t-online.de, warum die Wahl Kemmerichs mit AfD-Unterstützung eine Warnung sein sollte. Und auch, warum wir noch lange nicht in "Weimarer Verhältnissen" leben.

t-online.de: Herr Süß, erlebten wir am Mittwoch mit der Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten einen "Hauch von Weimar"? Immerhin verdankte er seinen Erfolg der AfD.

Winfried Süß: Wir nähern uns Weimarer Verhältnissen in gewisser Weise an. Und zwar in der Hinsicht, dass es den gewählten Parlamenten zumindest in einigen Bundesländern schwerer fällt, stabile Regierungskoalitionen zu bilden. Das ist eine problematische Entwicklung, auf die die Bundesrepublik auch nicht besonders gut vorbereitet ist.

Das Bundesland Thüringen offensichtlich auch nicht.

Die Wahl vom Mittwoch war tatsächlich ein Novum. Es wurde ein Ministerpräsident gewählt, der ganz offensichtlich keine parlamentarische Gestaltungsmehrheit hinter sich hat. Die thüringische Verfassung hatte offenbar keine guten Instrumente, um eine solche Konstellation zu verhindern.

Für Bestürzung sorgte der Umstand, dass ausgerechnet in Thüringen die AfD bei der Wahl des Regierungschefs die entscheidende Rolle spielte. Wie bereits 1930, als die NSDAP dort einen ihrer bis dahin größten Erfolge feierte.

Tatsächlich wurde in Thüringen 1930 mit Wilhelm Frick der erste nationalsozialistische Minister installiert. Und Mittwoch ist Thomas Kemmerich mit den Stimmen einer rechtspopulistischen Partei an die Macht gekommen, die vor allem in Gestalt ihres Landesvorsitzenden Höcke geschichtsrevisionistische und fremdenfeindliche Positionen vertritt und dem politischen System der Bundesrepublik den Kampf ansagt. Sich von dieser Partei wählen zu lassen, ist geschichtsvergessen.

Winfried Süß leitet die Abteilung "Regime des Sozialen" am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam; zugleich lehrt er als Privatdozent an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Süß ist Experte für die Geschichte des Nationalsozialismus.

Es stellt sich tatsächlich die Frage: Warum wieder Thüringen?

Es ist erstaunlich. Thüringen hatte ja nach der Wende in der Ära Bernhard Vogel eine stabile demokratische Praxis geschaffen. Und Thüringen ist ganz sicher kein natürliches Kernland des Rechtsextremismus. Nach der Novemberrevolution 1918 gab es hier eine Reihe linker Regierungen.

Um noch mal auf den historischen Vergleich zurückzukommen: Gibt es weitere Ähnlichkeiten zu Weimar bei der Wahl vom Mittwoch?

Etwas erinnert schon an Weimar: die starke politische Polarisierung. FDP, AfD wie auch Teile der Unionsabgeordneten im Landtag haben eine informelle Koalition "dagegen" gebildet. Und nicht "für etwas", wie es der normale politische Prozess ist.

Also Bodo Ramelow als Regierungschef abzusetzen?

Richtig. Es wird sehr interessant sein zu erfahren, wie diese merkwürdige Konstellation zustande kam. Zumal Bodo Ramelow bei Wählern aller Parteien, außer denen der AfD, hohes Ansehen genießt. Was in Thüringen passiert ist, war daher verheerend.

Wie weit darf man den Vergleich mit Weimar aber überhaupt treiben? Immerhin ist Deutschland eine stabile Demokratie, ganz anders als die Weimarer Republik in ihren letzten Jahren.

Historische Vergleiche hinken immer. Aber durch sie gewinnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede eben auch Kontur. Die Weimarer Republik wurde durch einen Zangenangriff politischer Extremisten von links und rechts zu Fall gebracht. Wir müssen derzeit leider starke Positionsgewinne rechtspopulistischer Kräfte beobachten, die wirklich ein anderes Land wollen. Aber ich sehe keinen Linksextremismus in Deutschland, der mit dem der Weimarer Zeit vergleichbar wäre. Nehmen Sie Bodo Ramelow, gegen den sich das politische Schmierentheater richtete: Der ist in seiner politischen Haltung eher ein zentristischer Sozialdemokrat.

Sie wiesen zu Recht darauf hin, dass Thüringen ein sozial und wirtschaftlich prosperierendes Land ist. Wie erklären Sie sich die Erfolge der AfD?

Es ist deutlich: Trotz guter wirtschaftlicher Daten sind viele Menschen unzufrieden mit dem politischen System und den etablierten Parteien und geben daher Protestparteien ihre Stimme. Warum, ist schwer zu erklären. Politikwissenschaftler haben da andere Ansätze als Zeithistoriker. Ein Schritt könnte sein, in der Geschichte der deutschen Einigung nachzusuchen und auch die Verletzungen und biografischen Zumutungen offen anzusprechen, die viele Bürger in den neuen Bundesländern damals erfahren haben.

Neben dem "Hauch von Weimar" wird seit Mittwoch vor allem das Bild vom "Dammbruch" ins Feld geführt für die Geschehnisse im Erfurter Landtag. Ist tatsächlich etwas zerbrochen im politischen Gefüge?

Die demokratische Schutzmauer wurde tatsächlich beschädigt. Aber, um im Bild zu bleiben: Dämme lassen sich auch wieder schließen. Und das politische Schmutzwasser lässt sich herauspumpen. Dass die Bundesspitze der Unionsparteien das Verhalten der thüringischen CDU klar und unmissverständlich verurteilt hat, war ein wichtiger erster Schritt auf diesem Weg. Der Rücktritt Thomas Kemmerichs und der Abbau der politischen Gesprächsblockaden zwischen Union und der Linken können weitere Schritte zur politischen Schadensbewältigung sein.

Herr Süß, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Winfried Süß
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