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Dieselsperrungen in Hamburg: „Das Fahrverbot ist Symbolpolitik“


Mini-Fahrverbot
Für Hamburg ist der Grenzwert die Hauptsache

Maximilian Rieger

Aktualisiert am 31.05.2018Lesedauer: 4 Min.
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Atmet ein, was auch die Anwohner einatmen: Die Luftmessstelle in der Max-Brauer-Allee in Hamburg.Vergrößern des Bildes
Atmet ein, was auch die Anwohner einatmen: Die Luftmessstelle in der Max-Brauer-Allee in Hamburg. (Quelle: Tobias Scharnagl)

Kritiker von Fahrverboten befürchten, dass nicht Menschen, sondern Messstellen geschützt werden sollen. Denn Hamburg hat mit der Maßnahme gar nicht das Ziel, die Gesamtbelastung zu verringern.

Die Quelle für eine der wichtigsten verkehrspolitischen Entscheidungen Deutschlands ist ein großer, grüner Kasten vor der Stresemannstraße 95. „Luftmeßnetz Hamburg“ steht auf der Außenseite. Die abgenutzten Buchstaben zeigen, dass hier schon länger gemessen wird, wie schmutzig die Luft an einer der meistbefahrenen Straßen Hamburgs ist.

Es sind aber nicht nur die vielen Autos, die dafür sorgen, dass an dieser Stelle mehr Stickstoffdioxide in der Luft liegen, als die EU erlaubt. Die Altbauten ragen in die Höhe und bilden eine Straßenschlucht, in der sich Autos und Abgase stauen. Ähnlich ist es in der Max-Brauer-Allee – der zweiten Straße, die von den Durchfahrtsbeschränkungen betroffen ist.

Projekt mit Journalistenschülern
Zum Start der Dieselfahrverbote in Hamburg berichten die Schülerinnen und Schüler des 38. Lehrgangs der Henri-Nannen-Schule in Hamburg über Folgen und Hintergründe des Fahrverbots. Die Schule wurde 1978 gegründet und ist die Journalistenschule des Gruner+Jahr-Verlags, der Zeit und des Spiegels. Autoren dieser Texte sind: Gregor Becker, Alexandra Duong, Félice Gritti, Luisa Hommerich, Julia Kopatzki, Timo Lehmann, Roland Lindenblatt, Katharina Meyer zu Eppendorf, Max Polonyi, Jakob Pontius, Yannick Ramsel, Maximilian Rieger, Claudio Rizzello, Tobias Scharnagl, Veronika Völlinger, Cara Westerkamp.

Einen Jahresdurchschnitt von 48 Mikrogramm Stickstoffdioxide je Kubikmeter Luft hat der grüne Kasten an der Stresemannstraße gemessen, acht Mikrogramm mehr, als erlaubt. In der Max-Brauer-Allee waren es 2017 sechs Mikrogramm des gesundheitsschädlichen Schadstoffs zu viel. Durch das Fahrverbot soll sich das ändern.

„Es war nie unser Ziel, Durchfahrtsverbote anzuordnen, aber an diesen Straßen sind sie notwendig, weil alle anderen Maßnahmen nicht greifen“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Die Grünen) auf einer Pressekonferenz. Mit anderen Maßnahmen meint Kersten die rund 100 Vorhaben, die im Luftreinhalteplan der Stadt Hamburg aufgelistet sind. Es geht um umweltfreundlichere Busse, saubere Generatoren oder mehr Radwege.

Der Plan wurde auf Grundlage eines Gutachten erstellt, das zu dem Schluss kommt: Wenn Hamburg alle Punkte umsetzt, dann sinken fast überall im Stadtgebiet die Stickstoffdioxid-Werte unter den zulässigen Grenzwert. Aber eben nicht an der Stresemannstraße und der Max-Brauer-Allee. Deswegen dürfen dort bis auf weiteres bestimmte Dieselfahrzeuge nicht mehr fahren und stattdessen Umwege nutzen. Laut Luftreinhalteplan führt das dazu, dass auf den Ausweichstrecken bis zu zwei Mikrogramm Stickstoffdioxid mehr in der Luft liegen werden.

Auf ganz Hamburg gesehen verringert dies den Stickstoffdioxidgehalt in der Luft also nicht. Das gibt auch Umweltsenator Kerstan zu, das sei aber auch gar nicht das Ziel. Stattdessen ginge es darum, die Konzentrationen an einzelnen Punkten zu verringern und mehr Autos an die Orte zu lenken, an denen sich die Abgase nicht in Straßenschluchten sammeln.

„Symbolpolitik“ schimpfen Anwohner und Greenpeace-Aktivisten, die entlang der betroffenen Straßen demonstrieren. „Es werden die Messstationen und nicht die Menschen geschützt“, sagt Benjamin Stephan von Greenpeace.

Andere Experten äußerten sich weniger drastisch, aber auch skeptisch. In einer Anhörung im Bundestag im vergangen Jahr sagte Marion Wichmann-Fiebig vom Umweltbundesamt, dass eine gleichmäßige Verteilung der Schadstoffe „aus gesundheitlicher Sicht nicht wirklich sinnvoll“ sei. Auch Werte, die unter dem aktuellen Grenzwert liegen, seien gesundheitsschädigend. „Wir sollten im Sinne des Gesundheitsschutzes darauf achten, dass der Grenzwert eingehalten wird und dass die Belastung an anderen Orten der Stadt nicht steigt“, so Wichmann-Fiebig.

„Ich kann nicht die einen beschützen, indem ich die anderen zusätzlich belaste“, sagt auch Umweltsenator Kerstan. Aus diesem Grund gebe es zum Beispiel auch keine Fahrverbote an dem Ort, an dem 2017 noch höhere Stickstoffdioxid-Werte gemessen wurden, als in den heute zum Teil gesperrten Straßen: an der Habichtstraße, einer mehrspurigen Straße im Norden Hamburgs. Andere lokale Maßnahmen, wie zum Beispiel die Ampelschaltung zu verändern, haben die Verkehrsplaner laut dem Senator bereits ausgereizt. Um die Belastung dort schnell zu senken, müsste es auch dort Fahrverbote geben.

Die Stadt verzichtet darauf. „Ein solcher Eingriff wäre nicht verhältnismäßig gewesen“, sagte Kerstan. Denn die Dieselautos würden über die umliegenden Straßen ausweichen, viele davon sind Wohnstraßen. Die Belastungen dort würden den Grenzwert überschreiten. Deswegen: kein Fahrverbot. Die Stadt wartet darauf, dass die Messwerte durch die anderen Maßnahmen sinken, die im Luftreinhalteplan stehen.

Die zulässigen Grenzwerte würden daher erst später erreicht, sagte Kerstan. Laut Luftreinhalteplan soll dies bereits 2020 der Fall sein. Dafür müssten aber innerhalb von 2 Jahren fast 20 Mikrogram Stickstoffdioxid aus der Luft an der Habichtstraße verschwinden. Zum Vergleich: Das Durchfahrtsverbot für Lkwin der Stresemannstraße soll die Menge von Stickstoffdioxid um knapp 5 Mikrogramm verringern. Der große, grüne Kasten an der Habichtstraße wird wohl noch länger viel zu tun haben.

Dieser Text wurde umfangreich aktualisiert. In der früheren Version des Textes hieß es, dass im Gutachten, das die Grundlage für den Luftreinhalteplan ist, neue Messergebnisse von Euro 5 und Euro 4 PKW nicht beachtet worden seien. Dadurch wäre die Prognose für den Schadstoffausstoß zu gering ausgefallen. Die Behörde für Umwelt und Energie hat aber in einer Antwort mitgeteilt, dass aufgrund der Abweichungen das Modell mit dem Faktor +6,4 kalibriert wurde. Die Berechnungen können demnach laut Gutachter trotz der neuen Messergebnisse als valide und belastbar angesehen werden.

Weitere Aspekte des Themas, Interviews mit Betroffenen, Gegnern und Verfechtern des Diesels finden Sie auf der Sonderseite, die Journalistenschüler der Henri-Nannen-Schule befüllt haben.

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