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"Hängt die Grünen": Warum durfte ein Mordaufruf auf Wahlplakaten stehen?


"Hängt die Grünen"
Warum durfte ein Mordaufruf auf Wahlplakaten stehen?

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 09.09.2021Lesedauer: 4 Min.
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Aufmarsch von Rechten: Die Neonazi-Partei Der dritte Weg ruft zum Mord an Grünen aufVergrößern des Bildes
Aufmarsch von Rechten: Die Neonazi-Partei Der dritte Weg ruft zum Mord an Grünen auf (Quelle: ZumaWire/imago-images-bilder)

In Sachsen ruft die rechtsextreme Partei "Der Dritte Weg" auf Plakaten unverblümt zum Mord auf. Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Grund, einzuschreiten. Die Reaktion der Rechtsstaatsschützer ist unfassbar.

Wenig auf dieser Welt lässt mich fassungslos zurück. Vor allem wenig im Netz. Ich tummle mich seit Jahren in den sozialen Medien, hab mal richtig viel Ärger dort abbekommen, werde regelmäßig bedroht und beschimpft und folge Menschen aus Politik und Journalismus, denen es genauso ergeht.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Mein alltäglicher Blick auf die Twittertrends outet mich regelmäßig vor mir selbst als leicht verroht.

Ich bin nicht stolz drauf, es passiert automatisch angesichts dessen, was uns alle dort täglich an menschlichen Abgründen erwartet. So ging es mir auch, als ich “Hängt die Grünen” erblickte. “Ach so”, lautete mein erster Gedanke, “haben sich die üblichen Verdächtigen hier wieder zusammengerottet und hetzen?”

Aber es ist viel, viel schlimmer.

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Die Partei “Der Dritte Weg” hat Wahlplakate mit dieser unfassbaren Forderung aufgehängt. Gesichtet wurden sie laut Tagesspiegel zuerst im sächsischen Zwickau. Dort hing eins davon direkt vor dem Wahlkreisbüro der Grünen – am Mittwoch entschied die Stadt Zwickau, die Plakate doch abnehmen zu lassen.

Keine Zeit auf Neonazis verschwenden

"Der Dritte Weg", wir können das ganz kurz machen: Das sind Neonazis. Leute mit wenig Interesse an Menschenwürde, Leute mit wenig Interesse an Menschenrechten, Leute mit wenig Interesse an Demokratie. Ich wiederhole: Neonazis. Mehr muss und möchte ich über sie gar nicht schreiben. Ich habe nicht allzu viel Zeit, und die muss ich nicht an solche Leute verschwenden.

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie bereits Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr neues Buch "Die Shitstorm-Republik" ist jetzt überall erhältlich.

Nun bin ich ja keine neun Jahre alt. Dass solche Leute mit einem Mordaufruf für sich werben, weckt keinerlei Gefühle in mir. Nicht mal die möchte ich an solche Leute verschwenden. Dafür ist es zu wenig überraschend.

Nochmal: Es sind Neonazis. Und dafür ist es auch zu stumpf. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist natürlich inakzeptabel. Versteht sich genauso von selbst wie: Der Himmel ist blau, Schnee ist weiß, Schimmel sind das auch.

WAS MICH ABER FASSUNGSLOS ZURÜCKLÄSST: In Sachsen hingen diese Plakate tagelang dennoch. Und nun, Achtung, setzen Sie sich hin, falls Sie das nicht eh schon tun, denn hier kommt die Begründung der Zwickauer Staatsanwaltschaft: Man wisse ja nicht, ob die Aufforderung auf Wähler der Grünen bezogen seien oder auf Politiker. Ich wiederhole: Man wisse ja nicht, ob die Aufforderung auf Wähler der Grünen bezogen seien oder auf Politiker. Es scheint also Mordaufrufe zu geben, die okay sind.

Lag die Zwickauer Staatsanwaltschaft jahrelang im Koma?

Ich weiß nicht, wie man die vergangenen Jahre in Zwickau zugebracht hat. Eine andere Antwort als “komatös” will mir aber nicht einfallen als einzig einleuchtende Begründung für das Handeln – das NICHT-Handeln der Verantwortlichen für dieses Desaster.

Ganz offensichtlich haben sie nicht mitbekommen, was so los ist in unserem Land. Dass mit dem CDU-Mann Walter Lübcke vor gerade erst zwei Jahren der erste Politiker in der Nachkriegsgeschichte aus politischen Gründen ermordet wurde. Von einem Neonazi.

Dass die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker 2015 nur knapp mit dem Leben davonkam, weil ein Rechter sie mit einem Messer in den Hals stach. Dass auch der damalige Bürgermeister von Altena im Sauerland, Andreas Hollstein, nur noch lebt, weil er großes Glück hatte, als er 2017 einem Attentäter knapp entkam. Der Täter war mit Hollsteins Flüchtlingspolitik nicht einverstanden. Oder, um es deutlicher zu formulieren: Auch er war ein Rechter.

Was in Zwickau anscheinend zunächst auch übersehen wurde, und das ist eine Leistung, aber keine rühmliche: Dass erste Kommunalpolitiker aus Angst vor dem Hass von rechts aufgegeben haben, Dienst an der Demokratie zu leisten.

Die jüngste Vergangenheit zeigt: Solche Drohungen sind ernst

Dass im April diesen Jahres das Gesetzespaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität verabschiedet wurde. Unter anderem als Antwort auf den Mord an Walter Lübcke. Sein Name findet sich darin, ebenso wie die Sorge um unsere Demokratie, wenn Politiker aus Angst vor Hass und Gewalt, aus Angst um ihr Leben hinschmeißen. Dann ist nämlich irgendwann niemand mehr da, der sich dem entgegenstellt, zum Beispiel mithilfe von Gesetzen.

Zusammengefasst: Es gab einen Mord, es gab Mordversuche, es gibt eine offene Debatte. Nun gibt es plakatierte Mordaufrufe. Und es gibt die Begründung von Zwickau, warum man sie dort erstmal nicht entfernt hat.

Das gibt es doch wohl nicht.

Was es aber gibt: Leise – und wie sich am Mittwoch zeigte – berechtigte Hoffnung. Die Stadtverwaltung von Zwickau könnte in den nächsten Tagen das entscheiden, was beherzte und zurechnungsfähige Polizisten in München entschieden haben: Diese haben nicht lange gewartet, sondern ihrem Eindruck, dass Mordaufrufe womöglich nicht ok sind, nachgegeben, die Plakate ruckizucki abgehängt und im Nachhinein von der Staatsanwaltschaft Recht bekommen. Und genau das hat Zwickau schließlich auch getan.

Übrigens: Mein Ausgangstweet für den mächtigen Ärger, den ich im Netz einst bekommen habe, lautete “Nazis raus”. Ich möchte das ergänzen und präzisieren: Nazi-Parolen runter von Laternenpfählen.

Hinweis der Redaktion: Nach Veröffentlichung des Textes hat die Stadt Zwickau entschieden, die Plakate zu entfernen. Wir haben den Text entsprechend angepasst.

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