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Drosten-Debatte – Immunologe: "Kekulés Angriffe weniger wissenschaftlich begründet“


Streit in Wissenschaft und Medien
Immunologe zur Drosten-Debatte: "Das ist ein sehr neues Phänomen"

  • Melanie Rannow
InterviewVon Melanie Rannow

Aktualisiert am 29.05.2020Lesedauer: 4 Min.
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Christian Drosten: Eine Studie des Virologen wird heftig kritisiert.Vergrößern des Bildes
Christian Drosten: Eine Studie des Virologen wird heftig kritisiert. (Quelle: Reiner Zensen/imago-images-bilder)

Der Streit um den Virologen Christian Drosten und seine aktuelle Studie zum Corona-Infektionsrisiko für Kinder geht durch die Medien. Im Interview erklärt der Immunologe Professor Radbruch, dass das ein sehr neues Phänomen ist.

Vor wenigen Tagen erschien eine Studie von Professor Christian Drosten: Mit SARS-CoV-2 infizierte Kinder und Erwachsene könnten gleichermaßen ansteckend sein. Drosten warnte deshalb vor einer Wiedereröffnung der Kitas. Doch seine Untersuchung geriet schnell in die Kritik und eine Diskussion unter Forscherkollegen entbrannte in der Öffentlichkeit.

Nachdem der Rheumatologe und Immunologe Professor Dr. Andreas Radbruch bereits im Podcast "Tonspur Wissen" zu Gast war, spricht er nun im Interview mit t-online.de über die aktuelle Diskussion um die Studie des Charité-Virologen Drosten. Radbruch erklärt, warum es völlig üblich ist, dass Forscher häufig ihre Meinungen ändern.

t-online.de: Herr Professor Radbruch, hätten Sie damit gerechnet, dass Wissenschaftler und ihre Arbeiten so im Fokus der Öffentlichkeit stehen würden?

Professor Radbruch: Ja, im Prinzip schon. Wir kommen zwar aus einer Welt, wo wir Veröffentlichungen so vorbereiten, dass wir sie als Manuskripte bei einer Zeitschrift einreichen – das ist alles vertraulich. Die Arbeiten werden von Fachkollegen begutachtet und vom Autor nachgebessert, bis die Kollegen zufrieden sind. Dann erst wird veröffentlicht und das Datum zählt. Das ist eine relativ geschlossene Veranstaltung.

Aber wenn man während einer Pandemie auch politische Statements in die wissenschaftlichen Arbeiten hineinschreibt, muss man sich nicht wundern, dass das von der Öffentlichkeit aufgenommen wird und sich auch Andersdenkende zu Wort melden.

Verstehen Sie die Angriffe auf Professor Christian Drosten, die mittlerweile auch von Kollegen wie Herrn Professor Alexander Kekulé ausgehen?

Die Angriffe scheinen mir weniger wissenschaftlich begründet, mehr aus politischer Sicht und aus Gründen der Profilierung in den Medien.

Professor Kekulé hat 2017 das letzte Mal etwas zur Virenforschung publiziert. Kann er dann bei der aktuellen Coronavirus-Forschung fachlich adäquat mitdiskutieren?

Man kann es auf "PubMed" finden: Christian Drosten (48 Jahre) hatte 386 Veröffentlichungen, Alexander Kekulé (61 Jahre) hatte 32 Veröffentlichungen, Anthony Fauci (79 Jahre) hatte 1.068 Veröffentlichungen. Es gibt also offenbar Unterschiede in der wissenschaftlichen Produktivität. Ansonsten gilt nur die Kraft des Arguments.

Halten Sie soziale Medien wie Twitter und Facebook für passende Plattformen, über die Wissenschaftler kommunizieren sollten?

Das ist eine schwierige Frage, denn es wird sich kaum vermeiden lassen, wenn die wissenschaftlichen Arbeiten ein so breites Interesse finden. Alternativ entwickeln sich gerade Preprint-Plattformen wie BioRxiv oder MedRxiv, die ebenfalls eine öffentliche Diskussion ermöglichen, allerdings bisher mehr unter Fachleuten. In diesen Fällen mit starkem öffentlichen Interesse kommen die Kommentare dann plötzlich auch über die Medien – das ist ein sehr neues Phänomen. Und uns wird klar, dass das mit den Preprint-Servern ein zweischneidiges Schwert ist. Dort befindet sich ja zurzeit auch die Drosten-Arbeit in einem ganz normalen wissenschaftlichen Diskussionsprozess.

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Ist Drostens Studie zur Ansteckung von Kindern tatsächlich angreifbar oder ist das ein normales Vorgehen der Forschung?

In der Forschung ist es normal, dass jede Veröffentlichung in Frage gestellt wird. Es ist aus meiner Sicht die Aufgabe der Forschung, scheinbar etablierte Auffassungen in Frage zu stellen. Das System des "Peer Reviews" hat seit seiner Einführung im 17. Jahrhundert für eine hohe Qualität wissenschaftlicher Veröffentlichungen gesorgt. Dabei wird eine wissenschaftliche Arbeit vor der Veröffentlichung in einer anerkannten Fachzeitschrift von Fachkollegen beurteilt. Sie überprüfen in einer wissenschaftlichen Diskussion mit dem Verfasser der Arbeit die Qualität der Methodik, der Daten, ihre Analyse und Interpretation. Oft werden die ursprünglichen Manuskripte im Anschluss überarbeitet, das ist ein ganz normaler Prozess.

Die "Drosten-Studie" befindet sich in diesem ganz normalen Prozess. Das Wort "angreifbar" ist deshalb fehl am Platz. Man sollte den Abschluss der wissenschaftlichen Diskussionen und eine weiterentwickelte Version des "Drosten-Manuskriptes" abwarten. Problematisch wird es ja nur, wenn gute Argumente nicht aufgenommen werden.

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Können Sie nachvollziehen, dass Professor Drosten sogar vor der Debatte davon sprach, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen?

Ich kann das schon verstehen. Christian Drosten hat ja auch Argumente zu Veröffentlichungen von anderen Forschern beigetragen – etwa Verbesserungen zum Beispiel bei der Heinsberg-Studie. Wenn man etwas auf diese Preprint-Server stellt, dann ist man plötzlich in der Öffentlichkeit – und daran müssen auch wir uns erst gewöhnen. Vorher gab es das in der Wissenschaft gar nicht und nun lernt man, welche Risiken sich ergeben, wenn man etwas auf den Servern frei veröffentlicht. Dann muss man damit leben, dass jeder das anklickt und sich auch dazu äußert.

In einem t-online.de-Interview forderte Professor Hans-Iko Huppertz von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, dass Schulen und Kitas trotz der Corona-Pandemie sofort wieder öffnen sollten. Wie sehen Sie das?

Im Prinzip ist die Lage immer noch unklar. Wenn man jedes Risiko ausschließen will, dann sollte man das nicht sofort machen. Da stimme ich Christian Drosten voll zu. Es ist nicht abschließend geklärt, ob Kinder nicht auch zu einem gewissen Grad infektiös sind und es eben auch in Kindergärten und Grundschulen plötzlich zu Infektionsherden kommen kann.

Es gibt gegensätzliche Studien, aber es sieht so aus, dass – anders als bei Influenza – Covid-19 ein nicht ganz so großes Problem bei Kindern ist und sie weniger damit zu tun haben. Aber dass sie gar nichts damit zu tun haben, ist nicht belegt. Ich kann aber auch verstehen, dass ein großer gesellschaftlicher Druck dahintersteckt.

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Also ist eine Schul- und Kitaöffnung nach jetzigem Forschungsstand nicht sinnvoll …

Genau – es wäre meiner Ansicht nach noch zu früh, Kitas und Schulen vollständig wieder zu öffnen, bevor man sicher ist, dass Kinder eventuell gar keine Rolle beim Infektionsgeschehen spielen oder man Maßnahmen entwickelt hat, um ihre Infektiosität in den Griff zu bekommen. Oder aber auch, wenn die Infektionszahlen so weit zurückgegangen sind, dass man selbst bei Schulen und Kindergärten jede Infektion zurückverfolgen und alle Kontaktpersonen identifizieren und rechtzeitig unter Quarantäne stellen kann.

Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Radbruch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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