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Was hilft gegen den Stress durch Schulschließungen?


Corona-Ausnahmezustand
Was Schulschließungen für die Kinder bedeuten

Von Christiane Braunsdorf

07.05.2021Lesedauer: 5 Min.
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Homeschooling und kein Ende: Schüler leiden häufig besonders unter den Anti-Corona-Maßnahmen.Vergrößern des Bildes
Homeschooling und kein Ende: Schüler leiden häufig besonders unter den Anti-Corona-Maßnahmen. (Quelle: picture alliance / Zoonar | lev dolgachov/dpa-bilder)

Schule auf, Schule zu, Homeschooling, Hybridunterricht, Fernunterricht, Präsenzunterricht – für Schüler und ihre Familien bedeutet die Corona-Zeit eine besondere Herausforderung.

Sowohl die Kleinen als auch die Großen stoßen an ihre psychische Belastbarkeit. Ein Pädagoge und ein Sozialpsychologe erklären die Lage und geben Tipps, wie die Belastungen minimiert werden können.

Familien sind von den Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus besonders betroffen. Steigt die Inzidenz in ihren Wohnorten über 165, müssen die Schulen schließen. Das hat nicht nur Folgen für das Bildungsniveau, auch die psychischen Auswirkungen sind gravierend.

In einer Umfrage des Ifo-Instituts, über die der Deutschlandfunk berichtet, gaben die Hälfte der befragten Eltern an, dass die Schulschließungen eine psychische Belastung für die Kinder darstellen. Fast 90 Prozent der Befragten sagten, dass ihre Kinder Treffen mit Freunden vermissen. Auch werde in der Familie mehr gestritten als vor der Corona-Krise.

Was bedeutet diese Situation für die Kinder? t-online fragte den Pädagogen Martin Hollinger, der die sogenannten Lernhäuser im strukturschwachen Essen-Nord leitet, und den Sozialpsychologen Dr. Dieter Frey von der Maximilians-Universität in München.

t-online: Was bedeutet Schule für Kinder?

Frey: Die Schule gibt Struktur, ermöglicht Hilfe zur Selbsthilfe, fördert Selbstvertrauen und vor allem durch den täglichen Kontakt mit den besten Freunden die private und soziale Identität. Alle Arten von Stimulation kognitiver, emotionaler und sozialer Art werden gefördert. Schulschließungen sind auch in den bildungsfreundlichsten Elternhäusern nicht zu kompensieren. Die sozial-emotionalen Beziehungen und Bindungen in der Klassengemeinschaft kann die Familie nicht ersetzen.

Wie wirken sich lange Schulschließungen auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen aus?

Hollinger: Wir erleben Kinder, die deutlich und massiv Stresssymptome zeigen. Gerade in engen Wohnverhältnissen gibt es schlicht keine Möglichkeiten, anderen Familienmitgliedern aus dem Weg zu gehen. Hinzu kommen die reduzierten Kontakte außerhalb des eigenen engen Kreises. Die Kinder werden teilweise lethargisch, sie sind zurückgezogen und uninteressiert. Aber auch ein erhöhtes Aggressionspotential ist zu beobachten: Sie werden dünnhäutiger. Spricht man sie darauf an, formulieren Kinder auch häufig Sätze der Verzweiflung wie: "Ich halte es nicht mehr aus" oder "Wann hört das denn endlich auf?".

Frey: Lange Schulschließungen haben für viele Kinder gravierende Nachteile. Kinder brauchen Sozialkontakte, Freiräume für die Entfaltung ihre geistigen, kognitiven, emotionalen, sozialen und sprachlichen Fähigkeiten. Für viele ist Homeschooling fast wie Gefängnis, denn sie fühlen sich eingesperrt, bekommen vor allem in den bildungsfernen Haushalten keine Unterstützung.

Werden Kinder dümmer, wenn ihnen Sozialkontakte fehlen?

Frey: Aus der Intelligenzforschung wissen wir, dass eine stimulusarme Umgebung zu Defiziten in der Gehirnentwicklung führt. Der Mensch ist ein soziales Wesen und der braucht für sein Wohlbefinden die Umgebung anderer Menschen, mit denen er sich austauschen kann. Bei Kindern ist das besonders wichtig. Sonst drohen psychische und kognitive Defizite. Zusatzprogramme können diese Defizite allerdings kompensieren, zum Beispiel zusätzliche Nachhilfe-, Ferien- oder Wochenendprogramme. Über das rein Schulische hinaus wären auch Programme, in denen einfach sozialer Austausch stattfinden kann, wichtig. Man muss alles tun, um eine anregende Stimulation mit kindgerechten Herausforderungen sowie individueller Verstärkung und Begleitung zu ermöglichen.

Wie empfinden Kinder dieses eine Jahr Corona? Sicher kommt es ihnen viel länger vor …

Hollinger: Kinder haben ein ganz anderes Gefühl für Zeit. Studien besagen, dass einem Kind die ersten 13 Jahre seines Lebens genauso lang vorkommen wie der Rest seines Lebens. Das kommt daher, dass Kinder natürlich ständig neue Dinge lernen. Da kommt einem ein Jahr Corona, in dem vieles einfach stagniert, wie eine Ewigkeit vor.

Woran erkenne ich, dass mein Kind unter dem Schulentzug besonders leidet?

Frey: Die erzwungene Einschränkung beziehungsweise Isolation bewirkt eine Achterbahn negativer Gefühle von Ängsten, Wut, Aggression, Depression, Apathie, Lustlosigkeit, geringem Wohlbefinden und geringer Lebensfreude. Diese Defizite auszugleichen bedarf hoher Kreativität.

Die Spannungen in den Familien nehmen nach der langen Corona-Zeit deutlich zu. Was können Eltern tun, um diese zu minimieren?

Frey: Hier haben die Eltern eine große Verantwortung. Einerseits sollte zu Hause viel Abwechslung geboten werden: zusammen spielen, gegenseitige Unterstützung zum Beispiel aber auch im Haushalt, eine insgesamt gute Kommunikationskultur. Wichtig ist, trotz aller Belastungen eine gewisse Lockerheit und Gelassenheit walten zu lassen. Das Motto sollte sein: "Wenn die Welt schon so schwierig ist, versuchen wir nicht auch noch in unserem Umgang Spannungen reinzubringen." Hilfreich ist es, Spielregeln aufzustellen: Lasst uns entspannt miteinander umgehen. Lasst uns nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, wir werden diese Zeit auch überstehen.

Was auch Spannungen minimieren kann, ist die Kinder möglichst viel draußen toben zu lassen, wann immer es möglich ist. Ballspielen, Fahrradfahren etc., geben Sie möglichst viel Freiheit. Alles, was an Bewegung draußen erlaubt ist, sollte genutzt werden, denn Bewegung baut Stress ab.

Die Kinderpsychiatrien melden lange Wartelisten. Ängste, Stress bis hin zu Suizidgedanken nehmen unter Kindern und Jugendlichen zu. Sollte ich mein Kind direkt darauf ansprechen, ob es sich sehr traurig fühlt oder gar zu Suizidgedanken neigt?

Frey: Ja, ab und zu sollte man das Kind direkt ansprechen, wenn man merkt, dass es sich traurig fühlt. Drücken Sie dann am besten Verständnis für die Situation des Kindes aus. "Ich merke, dass du traurig bist und ich kann das gut verstehen. Aber wir halten zusammen." Zeigen Sie Nähe, umarmen Sie das Kind. Aber: Explizit auf Suizidgedanken sollten Eltern ihr Kind nicht ansprechen, es sei denn das Kind sagt, dass es am liebsten nicht mehr leben möchte. Wenn sie merken, dass sie das Kind nicht mehr erreichen, sollten Eltern Hilfe holen.

Wo finde ich Hilfe?

Frey: Zunächst könnten Eltern sich an befreundete Eltern wenden. Vielleicht haben Freunde diese oder ähnliche Beobachtungen auch schon gemacht. Der Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen hilft in jedem Fall. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Hilfsangeboten. Auch ein Anruf bei einem Psychotherapeuten kann hilfreich sein, der zum Beispiel auch Selbsthilfegruppen oder Ähnliches vermitteln kann.

Hollinger: Der Kinderschutzbund betreibt die bundesweite Nummer gegen Kummer. Sie ist anonym und kostenlos: 0800 111 0 550.

Was kann ich tun, um das Wohlbefinden meines Kindes aktiv zu unterstützen?

Frey: Eine Lob- und Anerkennungskultur ist hierbei sehr wichtig. Ein Klima der Wärme, mit Ge- statt Verboten. Für das gute Betriebsklima sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Umso wichtiger ist es, dass sie hier mit gutem Beispiel vorangehen und Konflikte und Ärger nicht vor dem Kind austragen. Man darf das Kind auch fragen: "Was läuft bei uns gut in der Familie? Was sollen wir bewahren oder was sollen wir anders machen?" Kinder sollten auch als mündige Familienmitglieder betrachtet werden. Und was auch immer zum Wohlbefinden beitragen kann: der Lieblingspudding oder das Lieblingseis.

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Hilft es, dem Kind eine Perspektive zu geben: Wenn alles vorbei ist, machen wir einen Ausflug oder einen schönen Urlaub …? Oder weckt das falsche Hoffnungen, weil niemand weiß, wann es wirklich vorbei sein wird?

Frey: Es ist immer wichtig, eine positive Perspektive zu geben, doch natürlich sollte diese auch realistisch und erreichbar sein. Natürlich sollte man jetzt nicht Versprechungen einer Weltreise oder anderer unrealistischer Dinge abgeben. Aber es trägt zum Wohlbefinden bei, gemeinsam zu überlegen: Was wollen wir nachholen? Auf was freuen wir uns, was wollen wir nach Corona endlich mal machen? Eine positive Perspektive hilft immer über traurige Dinge hinweg.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Martin Hollinger vom 30. April.2021
  • Interview mit Dr. Dieter Frey vom 30. April.2021
  • deutschlandfunk.de: "Wie Schülerinnen und Schüler unter dem Lockdown leiden" vom 20 April 2021
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