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Neue Corona-Welle | Kekulé: "Wir können das nicht einfach laufen lassen"


Virologe klärt auf
"Eine vorherige Infektion schützt nicht vor BA.5"


Aktualisiert am 08.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Virologe Alexander Kekulé: Er fordert neue Schutzmaßnahmen für die Risikogruppen.Vergrößern des Bildes
Virologe Alexander Kekulé: Er fordert neue Schutzmaßnahmen für die Risikogruppen. (Quelle: IMAGO / Müller-Stauffenberg)

Deutschland ist mitten in der Corona-Sommerwelle. Alexander Kekulé sieht darin keinen Grund zur Sorge. Der Virologe rät dennoch zu Vorsicht.

Sommerwelle in Deutschland: Trotz der veränderten Teststrategie und einer wohl hohen Dunkelziffer bei den Infektionen steigt die Zahl der Corona-Fälle. Die Regierung beschäftigt sich zwar mit einem Konzept für die Herbstwelle. Doch wo stehen wir aktuell in der Pandemie, wer braucht jetzt (noch) welchen Schutz, und wer kann sich trotz einer überstandenen Infektion noch einmal mit BA.5. anstecken? t-online hat mit dem Virologen Alexander Kekulé von der Universität Halle gesprochen.

t-online: Herr Kekulé, kurz dachten wir, Corona wäre vorbei. Nun ereilt uns eine Sommerwelle. Wie schätzen Sie die derzeitige Lage ein?

Alexander Kekulé: Die Pandemie, im Sinne der bisherigen nationalen Notstandslage, ist wahrscheinlich schon vorbei. Kontaktbeschränkungen und andere massive Eingriffe zur Eindämmung des Virus werden wir nicht mehr brauchen.

Aber: Wir müssen Omikron, und auch diesen speziellen Subtyp BA.5, der das Gros der derzeitigen Infektionen ausmacht, schon ernst nehmen. Für einen Teil unserer Bevölkerung kann auch eine Infektion mit dieser Variante, die allgemein mildere Verläufe zeigt, zu schweren Erkrankungen bis hin zum Tod führen.

Welche Gruppen meinen Sie?

Gefährdet sind insbesondere Menschen ab 70 Jahren und die bekannten Risikogruppen mit chronischen Vorerkrankungen.

Alexander Kekulé
Alexander Kekulé (Quelle: IMAGO / Revierfoto)


Alexander Kekulé ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In der Corona-Pandemie machten ihn zahlreiche TV-Auftritte so wie sein MDR-Podcast "Kekulés Corona-Kompass" bekannt.

Das betrifft leider auch Geimpfte, oder?

Ja, denn diese Variante unterläuft den Impfschutz weitgehend. Daher wäre auch meine Empfehlung für die Risikogruppen, sich alle sechs Monate boostern zu lassen. Man kann dieses Virus nicht wegimpfen – jedenfalls nicht mit den derzeitigen Impfstoffen. Aber durch eine Auffrischimpfung alle sechs Monate kann man den Schutz vor schweren und tödlichen Verläufen erhöhen. Das betrifft dann doch eine große Bevölkerungsgruppe, allein die über 70-Jährigen machen mehr als 13 Millionen Menschen aus.

Bei einer so großen Gruppe – müssten wir dann nicht doch mehr Anstrengungen unternehmen, um diese Menschen zu schützen? De facto haben wir ja alle Schutzmaßnahmen außerhalb der Krankenhäuser und Pflegeheime aufgegeben.

Ich bin dafür, im Herbst die Maskenpflicht für bestimmte Innenbereiche wieder einzuführen. Für öffentliche Verkehrsmittel, Behörden und Geschäfte des täglichen Bedarfes ist das sinnvoll und auch zumutbar. Die Gesellschaft sollte sich hier solidarisch zeigen. Wir können das nicht einfach laufen lassen und so tun, als wären uns diese Menschen egal.

Und es gibt ja für alle Infizierten noch ein weiteres Risiko.

Richtig. Wir wissen heute einfach noch nicht, wie häufig sich aus einer Infektion mit der derzeitigen Variante, die ja allgemein harmloser verläuft, auch Long-Covid entwickeln kann. Das scheint deutlich seltener zu sein als bei früheren Varianten.

Aber wenn wir sehr viele Infektionen haben – und da müssen wir auch die hohe Dunkelziffer mitrechnen –, dann führt das in der schieren Masse eben auch zu sehr vielen Fällen von Spät- oder Langzeitfolgen. Das kann die Gesellschaft und den Staat massiv belasten. Diese Patienten fallen ja oft sehr lange aus dem wirtschaftlichen Leben aus.

Karl Lauterbach kalkuliert in seine Planungen auch das Auftauchen einer neuen "Killervariante" im Herbst mit ein. Ist das realistisch?

Nein, das ist ein extrem unwahrscheinliches Szenario. Aber klar ist auch: Wir werden keine Herdenimmunität gegen Covid bekommen. Dieses Wort benutzen auch diejenigen nicht mehr, die früher darauf gehofft haben. Wir haben eine gute Immunität in der Bevölkerung, die durch Impfung oder Infektion oder durch beides erreicht wurde. Sie schützt die Menschen vor schweren und tödlichen Verläufen.

Zugleich kommt es zu weiteren, meist harmlosen Infektionen mit neuen Omikron-Untervarianten, wodurch die Immunität weiter zunimmt. Damit ist Corona kein Notfall mehr, aber das Virus ist nicht weg und bleibt für bestimmte Menschen weiter gefährlich – so wie das bei vielen anderen Atemwegserregern auch der Fall ist.

Corona wird nicht endemisch dieses Jahr?

Nein, da hat sich ja Christian Drosten korrigiert, der das wohl vorhergesagt hatte. Abgesehen davon verbinden die Menschen mit dem Begriff schnell, dass dann alles gut wäre. Malaria ist auch in vielen Erdregionen endemisch und verursacht trotzdem große Probleme.

Ein Problem mit BA.5 ist ja auch, dass man sich reinfizieren kann.

Richtig, ob Sie schon mal mit BA.1 oder BA.2 infiziert waren – also etwa im Frühjahr – ist diesem Subtyp ziemlich egal. Eine vorherige Corona-Infektion schützt nicht vor Ansteckung mit BA.5.

Nun haben die beiden Pharma-Platzhirsche Moderna und Biontech kürzlich verkündet, sie hätten Impfstoffe entwickelt, die auch gegen BA.5 wirken sollen. Entwickelt wurden sie aber auf der Basis von BA.1 ...

Das ist tatsächlich ein Problem. Denn wenn man weiß, dass man sich nach BA.1 mit BA.5 reinfizieren kann, ist zu vermuten, dass auch ein Impfstoff, der auf der Grundlage dieser früheren Omikron-Variante entwickelt wurde, kaum gegen BA.5 wirksam sein wird.

Aber die Ansätze der Hersteller unterscheiden sich ...

Ja, Moderna setzte bereits früh auf einen bivalenten Impfstoff. Das bedeutet grob gesagt: Man mixt das Vakzin gegen das Wuhan-Virus mit dem gegen die Omikron-Variante und hat damit eine breitere Wirkung.

Und wie ist Biontech vorgegangen?

Biontech hatte sich anfangs für den monovalenten Impfstoff entschieden, also ein Vakzin, das ausschließlich gegen Omikron wirkt. Moderna könnte da also im Vorteil sein, wenn der monovalente Impfstoff den BA.5-Subtyp nicht oder nur unzureichend abfängt.

Für den Herbst hat die Bundesregierung bislang den monovalenten Impfstoff von Biontech und den bivalenten von Moderna bestellt. Wir sind damit nicht schlecht aufgestellt, denn beide sind zur Auffrischimpfung grundsätzlich geeignet und schützen zumindest teilweise vor schweren Verläufen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass der Bund versuchen wird, seine Bestellung bei Biontech noch auf eine bivalente Version zu ändern.

Die Regierung verhandelt über ein Instrumentarium für die Herbstwelle. Was brauchen wir für den Herbst aus Ihrer Sicht?

Wir brauchen da schon ein konkret ausgearbeitetes Konzept, um insbesondere Hochbetagte mit chronischen Grunderkrankungen zu schützen. Neben der Maskenpflicht sollte man auch die Teststrategie anpassen und auch wieder mehr kostenlose Schnelltests anbieten.

Es wäre auch sinnvoll, zumindest das Personal in Pflegeheimen und Krankenhäusern regelmäßig per PCR zu testen. Und wir brauchen einen Plan, wie wir im Falle massiv steigender Fallzahlen die Schulen offenhalten können. Wenn wir das dieses Jahr zum dritten Mal versäumen, wäre das unverzeihlich.

Lockdowns sind aber passé?

Ja, dafür gibt es aus jetziger Sicht keine Notwendigkeit mehr. Aus virologischer Sicht wird der Herbst deutlich entspannter als in den vergangenen Jahren. Ob die Politik uns gut vorbereitet und mit Augenmaß durch die Herbstwelle navigieren wird, ist allerdings schwer vorherzusagen.

Herr Kekulé, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Alexander Kekulé
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