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Kaiserschnitt mit Vollnarkose - Geburt ohne Erinnerung


Geburt ohne Erinnerung

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

Aktualisiert am 23.11.2015Lesedauer: 5 Min.
Jede Geburt ist ein Kraftakt.
Fremdeln mit dem eigenen Kind - nach einem Kaiserschnitt passiert das hΓ€ufig. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Ein Kaiserschnitt ist eigentlich ein medizinischer Segen. Denn er kann bei unerwarteten Geburtskomplikationen Leben retten. Dennoch kΓ€mpfen viele Frauen lange mit den Folgen einer solchen Operation - besonders, wenn eine Vollnarkose verhindert, dass sie die Geburt bewusst miterleben.

Jedes dritte Baby wird heute in Deutschland durch einen Kaiserschnitt entbunden. Meistens wird vor diesem Eingriff eine RΓΌckenmarksanΓ€sthesie durchgefΓΌhrt, so dass die Mutter wach bleibt. Dann kΓΆnnen die werdenden Eltern gemeinsam die Geburt miterleben und ihr Kind sofort im Arm halten.

SekundΓ€rer Kaiserschnitt raubt das Geburtserlebnis

Treten jedoch wΓ€hrend eines anfΓ€nglich normalen Geburtsverlaufs schwerwiegende Komplikationen auf, bleibt oftmals nur der Kaiserschnitt mit Vollnarkose, ein sogenannter sekundΓ€rer Kaiserschnitt.

"In seltenen FΓ€llen kommt es auch vor", erlΓ€utert die DiplompΓ€dagogin Heinrike Pfohl vom Verein Kaiserschnittstelle in Hannover, "dass sich Frauen ausdrΓΌcklich einen solchen Eingriff wΓΌnschen, weil sie sich bei einer RΓΌckenmarksanΓ€sthesie nicht vorstellen kΓΆnnen, im wachen Zustand 'bei lebendigem Leibβ€˜ aufgeschnitten zu werden."

EnttΓ€uscht, kraftlos und traumatisiert

Andrea aus Frankfurt hat den Kaiserschnitt mit Vollnarkose vor fast 20 Jahren erleben mΓΌssen, als die Geburt ihres ersten Sohnes nach zehn Stunden Wehen keinen Fortschritt mehr machte. "Dann musste alles sehr schnell gehen", erinnert sie sich, "weil bei unserem Baby die Gefahr bestand, dass es zu wenig Sauerstoff bekam." Was sie damals erlebte, beschΓ€ftigt Andrea bis heute, zumal ihre Tochter zwei Jahre spΓ€ter ebenfalls per Kaiserschnitt geboren wurde. "Ich bedaure sehr, dass ich es nicht geschafft habe, auf normalem Weg zu entbinden und dass bei mir fΓΌr die entscheidenden Minuten ein Blackout besteht. Das macht mich bis heute traurig.β€œ

Eine solche Reaktion sei typisch, sagt DiplompÀdagogin Pfohl, die sich seit 2008 gemeinsam mit drei Kolleginnen in der Hannoverischen Initiative um betroffene Mütter kümmert. "Die Frauen, die bei uns Unterstützung suchen, empfinden eine Kaiserschnittgeburt als traumatisch und enttÀuschend - ganz besonders, wenn eine Vollnarkose gemacht wurde. Vorherrschend ist bei vielen dann das Gefühl, als Frau versagt zu haben, weil sie nicht aus eigener Kraft ihrem Kind auf die Welt helfen konnten. Diese Kraftlosigkeit zeigt sich hÀufig noch Monate nach der Geburt durch kârperliche SchwÀche. Das seelische Problem spiegelt sich so gewissermaßen im Physischen wieder."

Ohnmacht und Blackout

Großen Leidensdruck bereitet Müttern aber auch, den Geburtsmoment und die ersten Stunden mit ihrem Baby nicht erlebt zu haben. Unwiederbringliche Augenblicke wie der erste enge Kârperkontakt sind verloren und kânnen nicht mehr nachgeholt werden.

Einsam im Aufwachraum

Hinzu kΓ€me danach die belastende Situation im Aufwachraum. In zahlreichen Kliniken seien die MΓΌtter nΓ€mlich, wie nach einer normalen OP, erst einmal sich selbst ΓΌberlassen. Niemand sei da, der ihnen berichten kann, was passiert ist. Der Partner kΓΌmmere sich meist gerade um das Baby. "Bei vielen lΓΆst diese Ungewissheit nicht nur ein GefΓΌhl der Angst, sondern auch der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins aus. Die MΓΌtter registrieren zwar, dass das Baby nicht mehr im Bauch ist, sie wissen aber nicht, ob es ihrem Kind ΓΌberhaupt gut geht und wie es aussieht."

Die Heultage halten an

Auch die Tage nach dem Kaiserschnitt im Krankenhaus belasten die frisch Operierten sowohl kΓΆrperlich als auch psychisch: Sie sind schlapp und haben Schmerzen und kΓΆnnen sich aus diesem Grund nicht selbststΓ€ndig um ihr Baby kΓΌmmern.

Hinzu kommt, dass das Stillen hΓ€ufig erschwert oder zumindest verzΓΆgert anlΓ€uft: Der hormonell initiierte Milcheinschuss setzt nΓ€mlich spΓ€ter ein, weil die Mutter ihr Neugeborenes nicht sofort sehen konnte. Und die Babys sind oftmals zu kraftlos zum Saugen, weil auch an ihnen die Narkose meist nicht spurlos vorΓΌber gegangen ist.

Fremdeln mit dem eigenen Baby

Aufgrund solcher Probleme gelingt es vielen Kaiserschnitt-GebΓ€renden in den ersten Tagen nicht, unbeschwert ihr Baby zu genießen. "Etliche MΓΌtter haben sogar Schwierigkeiten zu glauben, dass es wirklich ihr Kind ist. Sie wissen zwar rational, dass es sich um ihr Fleisch und Blut handelt, aber diese Tatsache deckt sich nicht mit ihren GefΓΌhlenβ€œ, sagt Pfohl.

Befeuert werde das Fremdeln noch zusΓ€tzlich, wenn die Neugeborenen ihren MΓΌttern bei der ersten Begegnung nicht nackt, sondern frisch gebadet und angezogen prΓ€sentiert wΓΌrden. Der erste bindende Hautkontakt, wie nach einer natΓΌrlichen Entbindung, fehle damit.

Große seelische Narben

Wie groß ihre "Narben" wirklich sind, wird vielen Mütter oft erst Wochen oder sogar Jahre nach der Geburt bewusst. Manche wenden sich aber bereits wenige Tage nach der OP hilfesuchend an Initiativen wie die Kaiserschnittstelle, um aus ihrem emotionalen Tief wieder herauszufinden. Manifestiert hat sich bis dahin bei den meisten das Gefühl, keine vollwertige Frau zu sein und als Mutter versagt zu haben, erzÀhlt Therapeutin Pfohl. Bei einigen sei es aber auch nur ein anhaltendes, vages Unwohlsein, das sie nicht konkret zuordnen kânnten.

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Die seelische Not nach Kaiserschnitt-Trauma ΓΌberwinden

Wie aber kann MΓΌttern, die sich um das Geburtserlebnis betrogen fΓΌhlen, geholfen werden? "Viele solcher traumatisierten Frauen haben ein großes BedΓΌrfnis zu verstehen, warum sie sich so schlecht fΓΌhlen und warum sie im Vertrauen zu sich selbst, aber auch zu den Γ„rzten und zum Partner so erschΓΌttert sind. Da stΓ€rkt es am meisten, wenn ΓΌber das Erlebte beziehungsweise Nichterlebte gesprochen werden kann. Es hilft ihnen, den Ablauf der OP nochmal - etwa mit der verantwortlichen Hebamme - ausfΓΌhrlich zu analysieren und sich zudem die GrΓΌnde fΓΌr den Eingriff bewusst zu machen."

Alle erwarten eine glΓΌckliche Mutter

Eine wertvolle Unterstützung bei der Verarbeitung des Kaiserschnitt-Traumas sei außerdem, so der Rat der Expertin, sich mit anderen betroffenen Müttern auszutauschen. Die Frauen stießen nÀmlich sonst in ihrem sozialen Umfeld hÀufig auf UnverstÀndnis. Die gesellschaftliche Erwartungshaltung gehe davon aus, dass ein frisch gebackene Mutter, die ein gesundes Baby zur Welt gebracht hat, eigentlich glücklich und dankbar sein müsste.

Erinnerungsfotos und Videos von der Entbindung, wie es sich MΓΌtter manchmal wΓΌnschen, kΓΆnnten hier zusΓ€tzlich gute Dienste leisten. Doch diese Option bleibt wohl eher theoretisch. Denn ein Vollnarkose-Kaiserschnitt ergibt sich fast immer aus einer Notsituation, in der das Helferteam keine Zeit hat, den Geburtsmoment bildlich zu verewigen, genauso wenig wie der Vater des Babys. Er darf wΓ€hrend der Operation nΓ€mlich nicht dabei sein.

"Bounding-Bad" mit Tiefenwirkung

Als Balsam für die mütterlichen Seelen hat sich dagegen schon tausendfach ein Baderitual bewÀhrt, das die Schweizer Hebamme Brigitte Meissner entwickelt hat. Dabei ist die Grundidee, einen natürlichen Geburtsverlauf in einer heimeligen, vertrauten Umgebung zu wiederholen, indem das Baby gebadet wird und dann der Mutter nass und nackt auf die Brust gelegt wird. Diese intensiven Kuscheleinheiten mit viel Zeit und Ruhe schaffen nicht nur grâßte Verbundenheit zwischen Mutter und Kind, sondern versâhnen die Frauen zumeist auch ein Stück weit mit der Kaiserschnitt-Entbindung.

Auch der Blick nach vorne sollte bei der BewΓ€ltigung der belastenden Erfahrungen nicht außer Acht gelassen werden. Denn Schmerz und Γ„ngste kΓΆnnten weiterhin die gesamte Phase der Familienplanung ΓΌberschatten, betont die Expertin. Deshalb sei es ratsam, vor einer weiteren Schwangerschaft selbstbewusst und zuversichtlich einen Wunsch-Fahrplan fΓΌr eine kommende Geburt zu entwickeln, um sich nicht schon im Vorfeld selbst zu blockieren. "Ganz wichtig ist dabei, dass MΓΌttern die Angst vor dem Mythos 'Einmal Kaiserschnitt- immer Kaiserschnitt' genommen wird. Das ist nΓ€mlich eine MΓ€r, die leider immer noch kultiviert wird. Wenn keine zwingenden medizinischen GrΓΌnde vorliegen, kann eine Frau sehr wohl weiterhin Kinder auf natΓΌrlichem Weg zur Welt bringen.β€œ

Wichtiger Hinweis: Die Informationen ersetzen auf keinen Fall eine professionelle Beratung oder Behandlung durch ausgebildete und anerkannte Γ„rzte. Die Inhalte von t-online kΓΆnnen und dΓΌrfen nicht verwendet werden, um eigenstΓ€ndig Diagnosen zu stellen oder Behandlungen anzufangen.
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