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Klimakrise | Waldexperte Wohlleben: "Nichtstun muss besser bezahlt werden"


Waldexperte Wohlleben
"Nichtstun muss besser bezahlt werden"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 10.08.2023Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben warnt davor, klimageschädigte Wälder in Deutschland mit hitzeresistenteren Baumarten umzuforsten. Er sagt: Das kann nur schiefgehen.Vergrößern des Bildes
Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben warnt davor, klimageschädigte Wälder mit hitzeresistenteren Baumarten umzuforsten. Er sagt: Das kann nur schiefgehen. (Quelle: Wohllebens Waldakademie)

Nach der Hitze der Regen: Wochenlang hat es geschüttet. Immerhin, den Bäumen tut es gut – oder? Ein Gespräch mit Peter Wohlleben, dem wohl bekanntesten Förster der Republik.

Es passiert, was Forscher längst vorausgesagt haben: Die Klimakrise macht den deutschen Bilderbuchsommern ein Ende. Auf zunehmend längere Hitzephasen und Trockenperioden folgen immer häufiger Stark- und Dauerregen, und das mitten im Hochsommer. Im Interview erklärt Waldexperte Peter Wohlleben, inwiefern die Wassermassen den dürregestressten Bäumen helfen, warum man Wälder am besten in Ruhe lässt und wieso die Hälfte der Wälder in der Bundesrepublik in den kommenden Jahren verschwinden könnte.

t-online: Herr Wohlleben, in den vergangenen Wochen war es so nass wie lange nicht mehr. Wie sehr hat das den Bäumen nach der Durststrecke geholfen?

Peter Wohlleben: Der Wald hat diesen extremen Frühsommer noch nicht vergessen, die Trockenheit hat den Bäumen zugesetzt. Und der Regen der vergangenen Wochen ist bisher nicht tiefer als 20 Zentimeter in den Boden vorgedrungen. Die Baumwurzeln liegen aber viel tiefer.

Wie lange brauchen die Bäume, um den Trockenstress abzuschütteln?

Die Bäume müssten den ganzen Winter in die Reha – selbst wenn es viel regnet und schneit. Dass sie nicht gut drauf sind, werden wir in den kommenden Monaten auch daran sehen, dass einige Arten ihr Laub länger als gewöhnlich behalten werden. Sie brauchen ihre Blätter zunehmend länger, um genug Zucker für den Winter vorzuproduzieren.

Sonst hat der trockene Sommer Spätfolgen im Winter?

Genau. Was für Bären ihr Winterspeck ist, sind Zuckervorräte für die Bäume. Normalerweise bauen sie diese über den Sommer auf, aber da hatten sie Zwangspause. Bei Hitze und Trockenheit drosseln sie zum Wassersparen die Photosynthese. Dafür müssen sie jetzt richtig Gas geben und möglichst viel reinholen.

(Quelle: Wohllebens Waldakademie)

Peter Wohlleben

Der 59-Jährige ist Deutschlands wohl bekanntester Förster und Autor zum Thema Wald. Er setzt sich für eine ökologische und wirtschaftlich nachhaltige Forstwirtschaft ein, bietet Waldlehrgänge an und rettet mit dem "UrwaldProjekt" bundesweit Laubwälder. Sein Buch "Das geheime Leben der Bäume" hat ihn auch international bekannt gemacht. "Waldwissen: Vom Wald her die Welt verstehen", ist sein neuestes Werk.

Haben alle Arten diese Überlebensstrategie zur Verfügung?

Buchen schaffen diesen Endspurt besonders gut. Aber beispielsweise Fichten brauchen oft mehrere feuchte Jahre, um sich zu regenerieren. Mit dem Klimawandel kann man die wohl vergessen. Ich gehe davon aus, dass wir die Fichten- und Kiefernplantagen in den kommenden zehn Jahren fast komplett verlieren werden.

Das klingt besorgniserregend. Immerhin ist die Fichte der häufigste Baum in deutschen Wäldern.

Rund die Hälfte aller Waldflächen in Deutschland wird durch die zunehmend heißen und trockenen Sommer verschwinden, fürchte ich. Es ist allerdings ein sehr deutsches Phänomen, Fichtenplantagen als Wald zu bezeichnen. Das führt in die Irre.

Wieso?

In einem Wald leben Tausende Tier- und Pflanzenarten, die ein eingespieltes Team bilden: Von den Bakterien, die in einem bestimmten Moos zu Hause sind, über Pilze und Füchse bis zu den Bäumen. Verglichen mit so einem natürlichen Ökosystem sind Fichtenplantagen Monokulturen – ökologische Wüsten. Der Harz sieht inzwischen zwar apokalyptisch aus, aber Wald stirbt da keiner. Der heimische Buchenurwald wurde dort schon vor Jahrhunderten abgeholzt und mit schnell wachsenden Nadelbäumen für die Holzwirtschaft ersetzt. Bis jetzt. Was Hitze, Dürre und der Borkenkäfer gerade vernichten, sind Fichtenmonokulturen. Ich wiederhole: kein Wald.

Dennoch: Wir sind inzwischen daran gewöhnt, auch Nadelholzplantagen als Wald anzusehen. Ohne sie wird sich das Landschaftsbild in Deutschland stark verändern.

Und wie! Im Sauerland wird sich die Landschaft extrem wandeln. Genauso im Schwarzwald, Frankenwald, Fichtelgebirge, Erzgebirge sowie im Bayerischen und im Thüringer Wald – das sind hauptsächlich menschengemachte Fichtenmonokulturen in Gebieten, wo einst über Jahrtausende Mischwälder wuchsen.

Welche Konsequenzen wird der Baumverlust in diesen Regionen haben?

Vor allem wird es erst mal wärmer werden. Sterben die Fichtenplantagen ab und werden kahlgeschlagen, weil die Besitzer das Holz noch irgendwie verkaufen wollen, steigt die Oberflächentemperatur dieser Fläche um rund acht Grad an. Und es wird in diesen Gegenden weniger regnen.

Wie das?

Es gibt neueste Forschung, die zeigt, dass Wolken um große leergeräumte Gebiete einen Bogen machen, weil die aufgeheizte Luft lokal kleine Hochdruckgebiete erzeugt. Deswegen sollte man die toten Bäume unbedingt stehen lassen. Die sind nicht nutzlos: Auch abgestorbene Bäume werfen Schatten, speichern Wasser und werden zu Humus abgebaut, der dem nachwachsenden natürlichen Wald den Start erleichtert. Der Wald kommt von allein zurück – und viel ausgeklügelter als durch menschlichen Eingriff.

Insofern ist das "Waldsterben" eigentlich eher Chance als Schaden?

Da muss man differenzieren. Den ökonomischen Schaden für die Besitzer der Nadelholzplantagen darf man nicht kleinreden. Wenn sie der Natur auf ihren toten Flächen freie Hand lassen – wozu ich dringend rate –, bedeutet das Einbußen im Holzgeschäft. Die müssen von der Politik aufgefangen werden.

Und der Wald kümmert sich um sich selbst?

Absolut – es sind ja nur die Bäume tot. Die Insekten sind noch da, die Eichhörnchen, die Vögel, die Pilze, die Bakterien. Das ist das beste Keimbett, um jungen Laubwald starten zu lassen. Und der kommt in aller Regel von allein zurück, das zeigt die Vergangenheit: Wir haben seit 1840, seit den großflächigen Plantagen, alle fünf bis zehn Jahren Sturmkatastrophen mit Baumschäden. Mal stärker, mal schwächer. Dort, wo man danach nichts gemacht hat, sind fast überall Laubwälder nachgewachsen. Selbst dort, wo vorher reine Nadelbaumkulturen waren.

Der Ansatz, der hauptsächlich verfolgt wird, ist ein anderer. Prämien sollen Waldbesitzer dazu bringen, ihre Flächen klimafest umzubauen: Fichten raus, trocken- und hitzeresistentere Baumarten rein. Wie sinnvoll ist das?

Diese Idee der Forstverwaltungen ist ganz verrückt. Die sehen, wie die Fichten eingehen und fordern deshalb Bäume aus südlicheren Breiten. Solche Arten mögen zwar mit möglichen starken Temperaturanstiegen in Zukunft besser klarkommen, sind aber Fremdkörper in den bestehenden Ökosystemen.

Was bedeutet das?

Am Beispiel der Roteiche lässt sich das gut sehen. Das ist eine nordamerikanische Eichenart, die gerade überall in Deutschland angepflanzt wird, weil sie schnell wächst und sehr robust ist. Der Haken: Ihr Laub ist giftig für das heimische Bodenleben, also Bakterien, Insekten und Pilze. Ein Wald ist wie der menschliche Körper: Ein Organismus, in dem alles zusammenhängt. Wenn man an einer Stelle etwas austauscht, hat das Konsequenzen für das komplette System – meist keine guten.

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Wieso schieben EU und Bundesregierung trotzdem genau diese Art von Umforstung an? Fehlt da die Expertise?

Wir haben hier und in ganz Europa sehr einflussreiche Forstlobbyisten, die am Plantagensystem festhalten wollen. Die Waldbesitzer sind zwar keine geldgierigen Menschen, aber im aktuellen System werden die falschen Handlungen belohnt. Die Subventionen sind kontraproduktiv und kosten die Allgemeinheit jährlich Hunderte Millionen für Wiederbelebungsversuche in Baumbeständen, die letztlich gar nicht funktionieren können.

Was wären denn belohnenswerte Maßnahmen?

Wir setzen zwar voll auf die Wälder als Verbündete in der Klimakrise: Sie sollen möglichst viel CO2 speichern, Schatten spenden und die Landschaft kühlen. Geld lässt sich damit aber aktuell kaum verdienen.

Sie fordern ein Geschäftsmodell für Forstwirte, das sich ums Nichtstun dreht?

Das trifft es ziemlich gut: Nichtstun muss besser bezahlt werden. Über Satelliten lässt sich schon jetzt bis auf 10 Meter genau messen, wie gut ein bestimmter Wald zum Beispiel Kühlleistung erbringt. Bisher nutzen wir diese Daten nicht, um Waldbesitzer strategisch dafür zu belohnen. Genau da müssen wir aber hin – dann ist Holz auch nur noch eine von mehreren Einkommensquellen.

Herr Wohlleben, herzlichen Dank für das Gespräch.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels war ein Satz von Herrn Wohlleben versehentlich inkorrekt wiedergegeben worden. Seine Kritik an der vorherrschenden Umforstungspraxis, die auf trocken- und hitzeresistentere Arten fokussiert, gilt den zuständigen Forstverwaltungen. Nicht, wie es zuvor lautete, der Bundesregierung. Dies wurde angepasst.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Peter Wohlleben, Förster und Waldführer
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