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Attentat in Hanau: Warum ich jetzt Angst um meinen Vater habe


Rassistische Gewalt
Warum ich nach Hanau Angst um meinen Vater habe

MeinungEin Kommentar von Ana Grujić

Aktualisiert am 22.02.2020Lesedauer: 3 Min.
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Ana Grujić und ihr Vater: Der Vater der Autorin kommt ursprünglich aus Kroatien.Vergrößern des Bildes
Ana Grujić und ihr Vater: Der Vater der Autorin kommt ursprünglich aus Kroatien. (Quelle: privat)

Der Hass gegen alles, was ihnen fremd erscheint, lässt Rassisten immer wieder morden. Nach dem Anschlag in Hanau ängstigen sich viele Migranten – nicht immer um sich selbst.

Ein Terrorist tötet in Hanau neun Menschen, weil er Migranten hasst. Ein anderer Mann schießt in Halle um sich, will Juden und Menschen in einem Dönerimbiss töten. Gewalt gegen alles, was Hetzer als nicht-deutsch definieren, nimmt zu.

Wenn ich daran denke, kriege ich einen kalten Klumpen im Bauch und meine Hände fangen an zu zittern. Ich habe keine Angst um mich selbst. Vielmehr fürchte ich immer mehr um einen Menschen, den ich liebe: meinen Vater.

Jedes Wort verrät meinen Vater

Ein paar Fakten zu meinem Vater. Er ist Kroate. Während Leute mir oft das vergiftete Kompliment machen, dass man mir gar nicht ansieht, dass ich nicht von hier komme, meinten sie von meinem Vater immer, dass man "es" ihm ansieht. Was diese Menschen wirklich sagen wollten: Sein bärenhaftes Aussehen und sein grimmiges Denkergesicht lassen ihn wie einen "Bilderbuchkanaken" aussehen.

Dazu kommt, dass mein Vater zwar Deutsch spricht, aber mit starkem Akzent. Jahrelang hat er versucht, seine Deutschkenntnisse mit Lernkassetten zu verbessern. Aber obwohl er heute viele deutschsprachige Zeitungen liest und seine Lieblingsserie "Scrubs" auf Deutsch schaut: Jedes gesprochene Wort verrät, dass er "nicht von hier" ist.

Mein Vater klingt oft Furcht einflößend

Mein Vater verschickt Emojis, wenn er mir auf WhatsApp schreibt. Sein Favorit ist ein Schaf mit einer Windwolke danach. Es sieht so aus, als würde das Schaf furzen, und ich muss immer sehr viel lachen, wenn er mir das schickt. Meine Mutter ruft mein Vater aber meistens an. Dann erzählt er ihr etwas und meine Mutter kichert dann wie ein verliebter Teenager. Er klingt am anderen Ende der Leitung wahrscheinlich Furcht einflößend, wegen seiner tiefen Stimme und weil er immer sehr ernst aussieht, wenn er nachdenkt.

Mein Vater ist viel unterwegs. Sein Arbeitsweg ist lang, in seiner Freizeit fährt er ständig zu irgendwelchen Erledigungen. Wenn er länger in der Straßenbahn sitzt, ruft er manchmal meine Mutter an.

Ich werde immer ängstlicher

Jetzt, wo Sie ein Bild von meinem Vater haben, kann ich vielleicht besser erklären, warum ich Angst habe. Immer wieder denke ich: Was, wenn mein Vater mal wieder meine Mutter anruft? Was, wenn er ihr gerade die lustigsten Begebenheiten seines Tages erzählt, dabei aber seinen ernsthaften, nachdenklichen Gesichtsausdruck hat? Was, wenn ihn die falschen Leute hören? Und was, wenn sie glauben, ihre Wut an meinem Vater auslassen zu müssen?

Wenn ich von dieser Angst erzähle, höre ich oft: "Ach komm schon, warum sollte so etwas passieren?" Dann denke ich nicht an die Zukunft, sondern nur zurück an die Vergangenheit und werde noch eine Spur ängstlicher.

Mein Vater hat nie nach Sündenböcken gesucht

Dank meinem Vater wusste ich, was Mikroaggressionen sind, bevor ich ein Wort für diesen herablassenden Ausdruck hatte, der Menschen in ihre Gesichter gespült wird, wenn sie sich Migranten überlegen fühlen und diese das auch spüren lassen. Polizisten, Behördenmitarbeiter, Ärzte, Lehrer: Anhänger aller Berufsgruppen haben Ansehen auf ewig verloren, weil sie meinen Vater behandelten, als wäre er dumm, nur weil sich seine Zunge an den rauen Stellen der deutschen Sprache stieß.

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Klar könnte es sein, dass diese Menschen alle nur wütend sind, weil sie von gesellschaftlichen Entwicklungen überholt wurden und deshalb nun unsicher sind. Mein Vater ist aber von den gesellschaftlichen Veränderungen um ihn nicht nur überholt worden, sie haben ihm quasi den Weg abgeschnitten: Statt als Lehrer zu arbeiten, wurde er Kriegsflüchtling und daraus folgend Hilfsarbeiter. Aber komischerweise habe ich meinen Vater nie nach Sündenböcken suchen sehen.

Niemand kann mir meine Angst nehmen

Mindestens genauso komisch ist, dass meine Ängste einzigartig zu sein scheinen. In den Medien sehe ich sie zumindest nicht gespiegelt: Ständig wird von den Ängsten von AfD-Wählern gesprochen. Dass man diese abbauen müsse, sonst würde uns ein starker Rechtsruck bevorstehen.

Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass mir niemand meine Ängste gänzlich nehmen kann. Aber können wir bitte aufhören, so zu tun, als wären die Ängste der Rechtswähler die einzigen, die es gibt? Und deshalb natürlich auch die wichtigsten? Nur, weil meine Angst mich keinen Faschisten wählen lässt, ist sie nicht weniger real und weniger ernst.

Dieser Text erschien zuerst auf dem persönlichen Blog der Autorin und bei Edition F.

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