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Ende der Kreditprogramme: Warum die Griechen keinen Grund zum Feiern haben


Ende der Kreditprogramme
Warum die Griechen keinen Grund zum Feiern haben

t-online, Wassilis Aswestopoulos

21.08.2018Lesedauer: 4 Min.
Gemüsehändler vor einem Fischmarkt in Athen: Die Schulden Griechenlands sind noch immer enorm.Vergrößern des BildesGemüsehändler vor einem Fischmarkt in Athen: Die Schulden Griechenlands sind noch immer enorm. (Quelle: Panayiotis Tzamaros / InTime News/ap-bilder)
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Das Ende der griechischen Hilfsprogramme – das Ende der Krise? Nicht für die meisten Griechen. t-online.de traf Menschen, die die Rezession an allen Ecken und Enden zu spüren bekommen.

Während heute der griechische Premierminister Alexis Tsipras symbolträchtig von der Insel Ithaka aus das Ende „der Zeit der Memoranden“ verkündet, ändert sich für die griechische Bevölkerung kaum etwas. Ithaka, das Ziel der homerischen Odyssee ist vom auf Symbolik bedachten Tsipras bewusst als Ort seiner Ansprache ans Volk gewählt worden.

Denn die Sparprogramme des Landes begannen mit einer Ansprache des damaligen Premiers Giorgos Papandreou. Dieser hatte am 23. April 2010 von der abgelegenen Insel Kastelorizo aus den Gang zum IWF mit den Worten verkündet: „Wir befinden uns auf einem schwierigen Weg, einer neuen Odyssee für das Griechentum. Aber nun kennen wir den Weg nach Ithaka und die Strecke ist kartographisch erfasst…“

Heute, mehr als acht Jahre später bejubelt die EU-Kommission das Ende des Sparprogramms als Erfolg. Die wirtschaftlichen Kennzahlen sehen auf den ersten Blick gut aus. Erstmals seit Beginn der Krise sank die offizielle Arbeitslosenquote unter 20 Prozent. Der Tourismus vermeldet Rekordzahlen. Aus den Statistiken der Notenbank Griechenlands geht hervor, dass im Juni 2018 stolze 22,3 Prozent mehr Touristen ins Land kamen.

Klingt nach einem positiven Ausblick, der beim Blick auf die Außenhandelsstatistik des ersten Halbjahrs 2018 gleich wieder vernebelt wird. Denn verglichen mit 2017 stieg das Außenhandelsdefizit um 535 Millionen Euro auf zwei Milliarden Euro. Ernüchternd sind auch die blanken Zahlen des Schuldenquotienten. 180,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 323 Milliarden Euro, schuldet der griechische Staat nun beim Ende des dritten Kreditprogramms. 127,9 Prozent, 299,7 Milliarden Euro, standen Ende 2009 zu Buche. Der Anstieg des Schuldenquotienten ist der rasanten Rezession geschuldet, die Griechenland während der Krise hinnehmen musste.

Ein Kaffee oder gar ein Gang in eine Taverne – undenkbar

Diese Rezession ist an allen Ecken und Enden des Landes spürbar. „Vor der Krise und sogar noch 2011 verdiente ich knapp 1200 Euro, meine Frau brachte 1000 Euro nach Hause“, klagt der 44-jährige Dimitris. Heute müssen er und seine Frau Kaiti zusammen mit 1400 Euro pro Monat wirtschaften. Sie gehören zu den Glücklichen im Land, denn beide konnten ihre Jobs behalten. „Ich wurde mit einem Altvertrag auf vier Stunden pro Schicht gesetzt, das sind 420 Euro netto im Monat“, erklärt Kaiti (40), „vor wenigen Wochen unterschrieben frische Angestellte bei uns im Supermarkt Teilzeitverträge für netto 210 Euro. Für die gleiche Arbeit!“

Ein Kaffee oder gar ein Gang in eine Taverne ist für beide undenkbar. Sie freuen sich über ein ererbtes Appartement in Chalkida, knapp 90 km von Athen entfernt. Hier in der Provinz kann Dimitris auf einem Feldgrundstück im Dorf seiner Schwiegermutter mit Kartoffel-, Obst und Gemüseanbau zumindest die Kosten für Grundnahrungsmittel in Zaum halten. Olivenbäume sorgen für das Salatöl, aus der Verarbeitung von Feigen gewinnt der umtriebige Dimitris Süßmittel.

Sie legen Geld für den Schulbeginn der Kinder beiseite

Auf der Strecke bleiben gemeinsame Stunden des Paares, weil beide zur Verbesserung des Monatssalärs im wechselnden Schichtdienst – auch an Wochenenden und Feiertagen – arbeiten. Für den Schulbeginn der Kinder Anfang September legen beide bereits Geld zurück. „Neben den Heften und Stiften für die Kleinen müssen wir pro Kind, den Schulen Unterrichtsmaterialien für ungefähr 70 Euro liefern. Von allen Eltern wird das verlangt, weil die Schulen vom Staat immer weniger Geld bekommen“, berichtet Kaiti.

Darüber hinaus sind Nachhilfestunden Pflicht. Der Sohn der Familie wird offiziell in Deutsch und Englisch als Fremdsprachen in der Schule unterrichtet. „Im letzten Schuljahr wurde kein Deutschlehrer an die Schule geschickt, in neuen Schuljahr baut der Unterricht jedoch auf dem Vorjahr auf“, beschreibt Dimitris das Problem vieler Eltern. „Wer von unseren Freunden vor der Krise Schulden gemacht hat, sei es um in Urlaub zu fahren, oder ein Auto oder ein Haus zu kaufen, der sitzt jetzt unrettbar in der Schuldenfalle“, resümiert Kaiti.

"Ein junger Mensch möchte nicht nur träumen"

Es sind düstere Lebensaussichten wie die von Dimitris und Kaiti, die junge, qualifizierte Griechen zum Auswandern drängen. Die 25-järhige Natalia hat es zunächst mit einem Ortswechsel im Land versucht. Von der nordgriechischen Provinz ging es nach Athen. Dort fand die junge Architektin mit sehr gutem Abschluss schnell einen Job. Auch ihr gleichaltriger Lebensgefährte, ein auf Computertechnik spezialisierter Elektroingenieur, blieb anders als die Hälfte der Altersgenossen keinen Tag arbeitslos.

„Die Unfähigkeit der einheimischen Wirtschaft, talentierte Menschen im Land zu halten, ist ein Bremsklotz. Selbst aus einer so lebhaften und kreativen Stadt wie Athen können die Umstände des täglichen Lebens die jungen Leute vertreiben", sagt Natalia. "Ein junger Mensch möchte nicht nur träumen, sondern seine Träume auch verwirklichen. Er braucht die Chance, sich persönlich und als Mensch weiter zu entwickeln. Das ist bei uns derzeit alles schwierig bis unmöglich, es gibt trotz acht Jahren Krise keine Spur von Meritokratie.“

Jung, gut ausgebildet, perspektivlos

Viele von Natilias Studien- und Schulfreunden sind bereits im Ausland. Ihre Zwillingsschwester verdient in Belgien in einem Monat mehr als Natalia und ihr Lebensgefährte zusammen in mehr als zwei Monaten erarbeiten. Natalia verbessert nun intensiv ihre Deutschkenntnisse. Ihr Freund hat bereits einen Job bei einem deutschen Unternehmen in Aussicht.

Die abwandernde Jugend ist auch ein Faktor, der die offizielle Arbeitslosenstatistik senkt. Das, was in der stolzen Statistik über den Tourismus selten erwähnt wird, ist dass dieser hauptsächlich Pauschaltouristen ins Land bringt. Die kleinen Tavernen, die in vom Massentourismus nicht erfassten Orten wie Nea Artaki auf Euboea von Laufkundschaft und vor allem von einheimischen Touristen leben, bleiben dagegen auch in der Hauptsaison leer. Dies alles trübt die Feierlaune trotz des offiziellen Endes des dritten Sparprogramms.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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