"Amerika droht Hunger"
Der GesprΓ€chspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. AnschlieΓend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Die Corona-Krise zeigt in den USA besonders heftige Folgen. Was macht die Amerikaner so anfΓ€llig? Und warum stehen plΓΆtzlich Luxusautos in den Schlangen der Essensausgaben? Eine US-Γkonomin erklΓ€rt es.
Die Verwerfungen der Corona-Krise zeigen sich in den USA bereits besonders deutlich. Die Arbeitslosenzahlen schnellen in HΓΆhe, eine kleine Protestbewegung fordert die schnellstmΓΆgliche Γffnung des Landes und in den Essensausgaben im ganzen Land bilden sich lange Schlagen.
"Viele Amerikaner sind finanziell zerbrechlich, sie sind Γ€uΓerst schlecht fΓΌr Schocks gerΓΌstet, wie wir sie jetzt in der Corona-Krise erleben", sagt die Washingtoner Γkonomin Annamaria Lusardi im Interview mit t-online.de.
Die Professorin erklΓ€rt, warum die USA als Volkswirtschaft wohl deutlich hΓ€rter vom wirtschaftlichen Einbruch erwischt werden und weshalb auch BΓΌrger mit Luxusautos in der Schlange der Essensausgabe stehen.
t-online.de: Die Bilder von langen Schlangen vor den Essensausgaben in den USA gingen um die Welt. Wie kommt es, dass Amerikaner mit dicken SUVs und teuren Pickup-Trucks kein Geld fΓΌr Essen haben?
Lusardi: Es gibt immer wieder solche Bilder β denken Sie einmal an den Regierungsstillstand Anfang 2019, als die BehΓΆrden geschlossen blieben. Da haben wir nach zwei Wochen sogar Regierungsangestellte in diesen Schlangen gesehen, also Leute mit einem relativ guten Job.
Woran liegt es also?
Die USA sind ein Land mit einer sehr geringen Sparrate, was auch bedeutet, dass viele BΓΌrger kaum Notreserven beiseitelegen. Viele Amerikaner sind finanziell zerbrechlich, sie sind Γ€uΓerst schlecht fΓΌr Schocks gerΓΌstet, wie wir sie jetzt in der Corona-Krise erleben. Weil so viele BΓΌrger auf der Kante leben, fΓΌrchte ich, dass die USA dieser Schock schwerer erschΓΌttern wird als andere LΓ€nder.
Annamaria Lusardi, 57, ist Professorin fΓΌr Wirtschaft und Rechnungswesen an der George Washington University in der US-Hauptstadt. Dort leitet sie das "Global Financial Literacy Excellence Center", das sich der Finanzkompetenz der BΓΌrger widmet. Sie hat zu diesem Thema das US-Finanzministerium und ihr Heimatland Italien beraten.
Binnen eines Monats sind 22 Millionen Jobs weggefallen.
Der hoch flexible Arbeitsmarkt ist eine StΓ€rke, kann in der Krise aber auch zur SchwΓ€che werden. Aus unseren Studien zur finanziellen Zerbrechlichkeit wissen wir, dass die Amerikaner ΓΌber das Einkommen ihre finanziellen Probleme lΓΆsen wollen. Ist das Geld knapp, arbeiten sie mehr: ΓΌbernehmen einen Zweit- oder einen Drittjob. Das ist in Amerika einfacher als in Europa. Aber in dieser Krise ist die Arbeit stillgelegt, fallen Jobs weg, also ist die US-Wirtschaft besonders getroffen und den Arbeitnehmern fΓ€llt der Mechanismus weg, ihre finanziellen NΓΆte ΓΌber mehr Arbeit auszugleichen. Viele Absicherungen hΓ€ngen zudem unmittelbar vom Job ab, wie etwa die Krankenversicherung. Man verliert beides zeitgleich. Deshalb sind die Schlangen vor den Essensausgaben so lang.
Warum sparen Amerikaner so wenig?
Die US-Wirtschaft basiert auf Konsum und es ist hier sehr leicht, sich Geld zu leihen. Kreditkarten sind allgegenwΓ€rtig. Man kann Kredite aufs Haus aufnehmen, auf den Lohn, auf die zukΓΌnftige Karriere. Ich kΓΆnnte nicht das Einkommen eines Amerikaners einschΓ€tzen, indem ich mir sein Auto anschaue β wΓ€hrend das in Europa oft mΓΆglich ist. Die meisten Amerikaner haben ein Auto, finanzieren es aber ΓΌber viele Jahre, haben ein Haus, aber Hypotheken, haben eine private Altersversorgung β aber mΓΌssen sich jetzt in der Krise daran bedienen.
Das war doch einmal anders.
Ja, doch seit den Achtzigerjahren stagnieren die LΓΆhne fΓΌr alle ohne Hochschulabschluss. WΓ€hrend die grΓΆΓten Kosten fΓΌr Wohnen, Gesundheit und Ausbildung in den vergangenen drei Jahrzehnten stark gestiegen sind.
In Europa staunt man, warum so viele Menschen am Abgrund stehen in der grΓΆΓten Volkswirtschaft der Welt, die die letzten zehn Jahre einen Boom erlebt hat.
Ja, wir leben in einem der reichsten LΓ€nder, aber auch in einem sehr ungleichen Land. Ohne Hochschulabschluss ist es schwer, einen guten Job zu bekommen und ΓΌberhaupt noch Teil der Mittelklasse zu bleiben. Die FinanzmΓ€rkte Γ€ndern sich und werden komplexer. Es wird schwieriger fΓΌr normale BΓΌrger, die richtigen finanziellen Entscheidungen zu treffen. Und schlieΓlich hat sich der Arbeitsmarkt stark verΓ€ndert durch die Gig Economy, in der viele Jobs keine gute Absicherung bieten. Vielleicht mΓΌssen die Amerikaner lernen, dass unsere FΓ€higkeit zu arbeiten nicht das einzige Mittel ist, um ein gutes Leben zu fΓΌhren.
Rechnen Sie damit, dass diese Krise daran etwas Γ€ndern wird, dass viele Amerikaner von paycheck zu paycheck leben?
Das hoffe ich zumindest. Aber ich will gar nicht generell Leute verurteilen dafΓΌr, dass sie von paycheck zu paycheck leben, weil ich weiΓ, dass es fΓΌr viele schwer ist, ΓberschΓΌsse zu haben. Kurzfristig werden wir sicher Folgen sehen und die BΓΌrger werden grΓΆΓere Vorkehrungen treffen. So war das auch nach der Wirtschaftskrise der DreiΓigerjahre, die schwere Narben hinterlassen hat und die folgende Generation wieder sparsamer wurde. Aber je stΓ€rker die Wirtschaft wieder anzieht, desto mehr dΓΌrften die Lektionen verblassen. Wir empfehlen auf unserer Website, wie man mit Finanzen in der Notsituation umgehen sollte β und ich hoffe, dass die Menschen auch etwas von den Notgeldern beiseite legen.
Die US-Regierung verteilt jetzt Helikoptergeld. Schecks ΓΌber 1.200 Dollar an US-BΓΌrger. Ist das der richtige Schritt?
Richtig, weil viele den Schock allein nicht abfedern kΓΆnnen. Aber wie weit kommen sie mit dieser Summe? Vielleicht eine Mietzahlung oder eine Hypothek. Wir mΓΌssen also die Menschen, die nicht arbeiten kΓΆnnen, langfristiger unterstΓΌtzen. Amerika droht Hunger, den es ohne die erwΓ€hnten Essensausgaben schon geben wΓΌrde. Da braucht es mehr UnterstΓΌtzung durch die Regierung, mehr Hilfen fΓΌr kleine Unternehmen und ich hoffe sehr, dass das Land im Anschluss Vorbereitungen trifft, um fΓΌr die nΓ€chste Krise besser gerΓΌstet zu sein.
Interessieren Sie sich fΓΌr US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt ΓΌber seine Arbeit im WeiΓen Haus und seine EindrΓΌcke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. Hier kΓΆnnen Sie die "Post aus Washington" kostenlos abonnieren, die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
Kann das Helikoptergeld ein Schritt zu einem Grundeinkommen fΓΌr die BΓΌrger sein? Im Vorwahlkampf der Demokraten war dies ein Thema: 1.000 Dollar pro Monat fΓΌr jeden BΓΌrger.
Solch ein Programm ist etwas fΓΌr wohlhabende LΓ€nder, weil es so viel kostet. Mein GefΓΌhl ist allerdings, dass solch ein Vorhaben wahrscheinlich kurzfristig gar nicht mΓΆglich ist, weil die Krise die ΓΆffentlichen Schulden so dramatisch ansteigen lassen wird. Staaten wie die USA werden bald ΓΌberlegen mΓΌssen, wie sie ihre Schulden begleichen.
Schon vor der Krise waren die USA mit mehr als 23 Billionen Dollar extrem verschuldet.
Ja, Donald Trump, der wahrlich kein Linker ist, hat die Schulden schon stark ansteigen lassen und durch die ganzen Hilfspakete wird die Schuldenlast wirklich extrem in die HΓΆhe geschraubt. Das wird den Spielraum der Politik in der Zukunft sehr stark einschrΓ€nken. Denn woran wir die Verbraucher stets erinnern, gilt ja auch fΓΌr die Volkswirtschaften: FrΓΌher oder spΓ€ter muss jeder seine Schulden begleichen.
- Das Interview mit Annamaria Lusardi fΓΌhrte US-Korrespondent Fabian Reinbold am Telefon.