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Polit-Beben in Österreich: Der Absturz des Sebastian Kurz


Sebastian Kurz tritt ab
Der Gescheiterte

Von Patrick Diekmann

02.12.2021Lesedauer: 6 Min.
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Nach seinem Rücktritt als Kanzler war Kurz in der ÖVP zunehmend isoliert.Vergrößern des Bildes
Nach seinem Rücktritt als Kanzler war Kurz in der ÖVP zunehmend isoliert. (Quelle: getty-images-bilder)

Österreich kommt nicht zur Ruhe: Nach seinem Rücktritt als Kanzler gibt Sebastian Kurz nun alle politischen Ämter auf. Damit erschüttert er nicht nur seine Partei, sondern hinterlässt auch einen Scherbenhaufen in der Regierung.

Reue oder Bedauern äußert Ex-Kanzler Sebastian Kurz in seiner Abtrittsrede an diesem Donnerstag nicht. Im Gegenteil: Er beharrt auf seiner Unschuld. Seine Ansprache wirkt auf viele Zuhörer so, als habe er schon länger mit der Politik abgeschlossen – emotionslos.

Dabei ist Kurz' Rückzug von allen politischen Ämtern die nächste politische Bombe, die in Österreich platzt – für viele kam er überraschend. Nach einem kometenhaften Aufstieg zum jüngsten Bundeskanzler und zum Heilsbringer der konservativen ÖVP erlebte Kurz in den vergangenen Monaten einen beispiellosen Absturz. Am Ende ist der 35-Jährige vor allem an sich selbst und seinen eigenen Intrigen gescheitert – und löst mit seinem Abtritt eine Regierungskrise zur Unzeit aus.

"Wie bei 'House of Cards', nur trauriger"

Kurz selbst sieht das anders. In seiner Abtrittsrede stellt er sich als Opfer von Justiz und Medien dar. "Ich hatte fast ein bisschen das Gefühl, gejagt zu werden", meint der ÖVP-Politiker. Es sei nicht mehr um den "Wettbewerb der besten Ideen" gegangen, sondern um "die Abwehr von Vorwürfen, Unterstellungen und Verfahren". Die Geburt seines Kindes vor wenigen Tagen habe ihm letztlich gezeigt: Es gebe Wichtigeres im Leben als Politik.

Kann man ihm, dem Machtmenschen Sebastian Kurz, glauben, dass er seine politische Karriere für die Familie aufgibt? Ein Teil der Wahrheit ist sicher, dass der Druck auf ihn zuletzt unerträglich groß geworden und er in seiner Partei zunehmend isoliert war.

Im Mai hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Kurz eingeleitet. Die Vorwürfe: Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, seine Karriere mit geschönten Umfragen gefördert zu haben. Demnach sollen Kurz-Vertraute Kooperationen mit Medienvertretern und Meinungsforschern geschlossen haben, um sich positive Berichterstattung, basierend auf geschönten Schein-Umfragen, zu kaufen. Dafür soll mehr als eine Million Euro aus Steuergeldern ausgegeben worden sein. Ein Skandal.

Vorläufiger Tiefpunkt waren Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale im Oktober. "Die österreichische Politik ist wie 'House of Cards', nur trauriger", sagte ein Bürger in Wien dem ZDF, kurz nachdem Kurz als Kanzler und Regierungschef zurückgetreten war.

Vom Heilsbringer zum Skandalkanzler

In der Tat gleicht die Politik Österreichs in den vergangenen Jahren einem Thriller mit immer neuen Wendungen. Die aktuelle Korruptionsaffäre begann durch die Beschlagnahmung des Mobiltelefons von Thomas Schmid – einem engen Kurz-Vertrauten – im Zuge der sogenannten Ibiza-Affäre.

Die Behörden untersuchten die Chatverläufe auf Schmids Telefon und fanden dabei Hinweise auf eine Falschaussage von Kurz vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss. Ermittlungen wurden eingeleitet.

Aber damit nicht genug: Der Kanzler selbst beleidigte in den Chats auch innerparteiliche Konkurrenten. So nannte er Reinhold Mitterlehner – seinen Vorgänger im Amt des ÖVP-Obmanns – beispielsweise einen "Arsch". Und das Team um Kurz freute sich in verschiedenen Konversationen auch über die offenbar gekauften Umfragen. Letztere Enthüllung kostete ihn letztlich sein Amt.

All diese Veröffentlichungen schockierten die österreichische Bevölkerung. Viele Menschen ahnten aber bereits, dass das nur ein Teil der Klüngeleien von Sebastian Kurz und seinen Vertrauten ist. In der Summe dokumentieren die Chats auch einen geheimen Plan, der mittlerweile als "Projekt Ballhausplatz" (benannt nach dem Wiener Regierungssitz) bekannt ist. Das Ziel: die Große Koalition bis zur Wahl im Jahr 2017 torpedieren, Kurz ins Amt des Kanzlers bringen und ihn dort halten.

Der Plan ging auf. Nachdem Kurz von Mitterlehner das Amt des ÖVP-Obmanns übernahm, krempelte er die strauchelnde Partei um. Aus Schwarz wurde Türkis, aus alt und staubig sollte jung und neu werden. Unter Kurz rückte die Partei weiter nach rechts, die ÖVP besetzte Themen der rechtspopulistischen FPÖ – und hatte damit Erfolg.

Kurz zählte schon im Jahr 2015 als Außenminister zu einem der lautesten Kritiker des Kurses der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Geflüchtete aus Syrien aufzunehmen. Doch neben einer protektionistischen Migrationspolitik hatte Kurz eigentlich wenig Inhalte, für die er als Politiker stand. Seine Stärke war seine große Selbstinszenierung, eine Ich-Show. Seine Botschaft an die ÖVP-Basis: Ich bin Sebastian Kurz und zeige euch, wie man Wahlen gewinnt.

Kurz scheiterte an sich selbst

Das machte Eindruck, in Österreich und im Ausland. Die Umfragewerte der ÖVP verbesserten sich schnell, im Jahr 2019 gewann sie die Wahl mit über 37 Prozent der Stimmen. Trotz seines vergleichsweise jungen Alters wurde Kurz zum Superstar für viele Konservative in ganz Europa. Er war angetreten, um mit Korruption, Ränkespielen und Postengeschacher in der Politik aufzuräumen. Weil er vergessen hatte, auch im eigenen Haus aufzuräumen, ist er am Ende gescheitert.

Sebastian Kurz galt als politisches Naturtalent und wurde bei der ÖVP entsprechend gefördert. Seine Karriere auf Bundesebene startete er im Alter von 25 Jahren als Staatssekretär für Integration. Wenige Jahre später wurde er 2014 jüngster Außenminister in der Geschichte Österreichs. 2017 gelang ihm der Sprung an die Regierungsspitze. Kurz wurde Kanzler einer Regierungskoalition aus ÖVP und rechter FPÖ. Für die Beteiligung der Rechtspopulisten an der Regierung wurde er vielfach kritisiert. Nach dem Ende der Koalition in Folge der Ibiza-Affäre kam es zu Neuwahlen. Seit Anfang 2020 war Kurz Kanzler eines Bündnisses von ÖVP und Grünen.

Durch die Ermittlungen stand Kurz in den vergangenen Monaten immer mehr am Pranger – der Druck aus der eigenen Partei und von den Grünen als Koalitionspartner in der Regierung wurde immer größer. Das "System Kurz" begann zu wanken, das Team des Ex-Kanzlers geriet in die Defensive.

Als Reaktion warf er die in der Vergangenheit oft erfolgreiche Kommunikationsmaschine an. Vertraute wetterten auf Pressekonferenzen gegen die Justiz, die ÖVP behauptete sogar, dass die ermittelnde Staatsanwaltschaft von "roten Netzwerken" durchzogen sei. Das wirkte nicht nur skurril, sondern war auch für die Grünen in der Regierung nicht länger tolerabel. Mit seinen brutalen Attacken auf die Justiz hat sich der Ex-Kanzler vor allem selbst geschadet.

Der isolierte Ex-Kanzler

Die Ermittlungen gegen Kurz können sich nun noch Jahre hinziehen, das weiß auch die ÖVP. In der Partei fürchtet man, dass weitere Enthüllungen aus den Chats noch mehr Schaden verursachen könnten. Wie sehr Kurz in jüngster Zeit an Rückhalt verloren hatte, zeigten diverse Kommentare von ÖVP-Landeschefs, die den Schritt als "richtig" und "unausweichlich" bezeichneten. In den vergangenen Monaten wollten sie sich kaum noch an der Seite von Kurz zeigen.

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Wie ihren Aufstieg verdankt die Partei auch ihren gegenwärtigen Absturz Sebastian Kurz. In aktuellen Umfragen liegt sie nur noch bei 20 Prozent. Deshalb wird die ÖVP nun aufräumen: Es ist wahrscheinlich, dass die Regierung umgebildet wird. Viele der aktuellen Minister sind enge Vertraute von Kurz. ÖVP und Grüne haben momentan jedoch kein Interesse an Neuwahlen. Auch Österreich befindet sich mitten in der vierten Welle der Corona-Pandemie. Die ÖVP müsste zudem mit massiven Verlusten rechnen.

Nur logisch ist es, dass der aktuelle Kanzler Alexander Schallenberg nicht im Amt bleibt und auch zurücktritt. Ihm wurde ohnehin nachgesagt, dass er eigentlich nie Kanzler sein wollte und glücklicher als Außenminister war. Schallenberg sollte nur ein Platzhalter für eine Rückkehr von Kurz sein. Auch dieser Plan ist jetzt gescheitert. Inmitten der vierten Corona-Welle hat Österreich nun eine taumelnde politische Führung.

Als möglicher neuer Vorsitzender der Konservativen und als möglicher Bundeskanzler wird nun Innenminister Karl Nehammer gehandelt. Der neue Parteichef solle auch Kanzler sein, hieß es schon vonseiten einzelner ÖVP-Granden. Das dürfte auch zu Konflikten mit den Grünen in der Regierung führen, denn der Ex-Soldat Nehammer gilt als Hardliner beim Thema Migration.

Wie geht es für Kurz weiter?

Kurz dagegen wird nachgesagt, dass er sich nach seinem Abschied aus der Politik nun für einen Plan B in der Wirtschaft entschieden habe. Beobachter der österreichischen Politik hatten in den vergangenen Wochen schon bemerkt, dass es sehr ruhig um Kurz geworden war. Nach seinem Rücktritt als Kanzler war er immerhin noch ÖVP-Fraktionsvorsitzender im Parlament.

Seine Zukunftspläne ließ Kurz, der Jura nicht zu Ende studiert hat, aber am Donnerstag im Unklaren. Er wolle sich im nächsten Jahr neuen beruflichen Aufgaben widmen. Zunächst solle nun seine Familie im Mittelpunkt stehen, gab der Ex-Kanzler zu erkennen. "Ich werde jetzt aufbrechen und meinen Sohn und meine Freundin aus dem Spital abholen."

Kurz tritt zwar von der politischen Bühne ab, wird aber weiterhin auch in den kommenden Jahren im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Die Ermittlungsverfahren gegen ihn laufen weiter. "Genug ist genug", hatte er im Jahr 2019 als Reaktion auf die Ibiza-Affäre um Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gesagt. "Diese Ideen des Machtmissbrauchs, die Ideen zum Umgang mit Steuergeldern und das Verständnis gegenüber der Medienlandschaft in Österreich sind problematisch."

An diesen Worten wird sich Kurz in eigener Sache in Zukunft messen lassen müssen – auch wenn er nun nicht mehr in der ersten Reihe der Politik steht. Es sind Worte, die ihn noch immer einholen können.

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