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Wahl in Russland: So will der Kreml Bürger zur Stimmabgabe zwingen


Anstehende Präsidentschaftswahl
So will der Kreml Russlands Bürger an die Wahlurne zwingen


Aktualisiert am 07.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Russlands Krieg gegen die Ukraine war das (vorläufige?) Ende des Russischen Balls in Wien.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin, Russlands Präsident (Archivbild): Er will an der Macht bleiben. (Quelle: Valery Sharifulin/dpa)

Russlands Präsident Wladimir Putin will an der Macht bleiben. Um den Anschein einer legitimen Wahl zu erwecken, greift er in die Trickkiste. Doch dieses Jahr könnte die Mühe umsonst sein.

In weniger als zwei Wochen ist es so weit, dann stehen in Russland die Präsidentschaftswahlen an. Diese gelten als Scheinwahlen, denn der Sieger steht schon vor der Schließung der Wahllokale am 17. März 2024 fest: Russlands Präsident Wladimir Putin will sich eine weitere Amtszeit als Kremlchef verschaffen. 2021 ließ er dafür bereits ein Gesetz umschreiben, das ihm nun theoretisch einen Machterhalt bis 2036 sichert. Oppositionspolitiker ließ er festnehmen oder im Vorfeld ausschließen. Sein Sieg gilt somit als sicher.

Dennoch ist dem Kreml daran gelegen, öffentlich den Anschein zu erwecken, als würde Putin rechtmäßig gewählt werden – und das mit einer möglichst hohen Wahlbeteiligung. Wie das russische Exilmedium "Meduza" unter Berufung auf die russische Präsidialverwaltung berichtet, soll diese in diesem Jahr 70 bis 80 Prozent betragen. Putins Wunsch liege sogar noch um einiges höher, bei über 80 Prozent. Doch die Bevölkerung in Russland weiß, wie es um die Wahlen in Russland bestellt ist, dementsprechend wenige Menschen wollen noch ihre Stimme abgeben.

Um Putins Wunsch einer hohen Wahlbeteiligung dennoch zu verwirklichen, bedient sich die Präsidialverwaltung "Meduza" zufolge eines Tricks. Dieser wurde demnach bereits in den Jahren zuvor angewandt, doch die Sorge sei groß, dass er in diesem Jahr nicht mehr funktionieren und somit eine hohe Wahlbeteiligung ausbleiben könnte.

Video | So wählen Russlands entlegenste Bewohner
Quelle: Glomex

Sie müssen für die Wahl trommeln

Die Präsidialverwaltung in Russland greift bei ihrer Planung der Wahlbeteiligung auf Personen zurück, die dem Kreml nahestehen. Das berichtet "Meduza" unter Berufung auf zwei Quellen, die Einblick in die Arbeit der Behörde haben: Bei den Gesprächspartnern handele es sich demnach um eine Person in der Nähe der Führung von Putins Partei "Einiges Russland" (UR) und um einen regionalen Beamten. Deren Angaben zufolge müssten Mitarbeiter des öffentlichen Sektors, staatlicher Unternehmen und regierungstreuer Firmen eine bestimmte Anzahl an Menschen aus ihrem Umfeld zur Wahl bewegen.

Die höchste Anzahl an Freunden und Familienangehöriger müssten Mitglieder der Partei "Einiges Russland" mobilisieren. Wie "Meduza" unter Berufung auf eine der Partei nahestehende Person berichtet, gelte dort die "1+10-Regel". Das heißt, ein Parteimitglied müsse zehn weitere Personen zur Wahl anmelden. Staatsbedienstete müssten drei Personen in die Wahllokale bringen und Mitarbeiter großer Unternehmen müssten zwei Personen mobilisieren. Als Begründung führen die Verantwortlichen an, dass die Personen durch Putins Herrschaft Privilegien genießen oder Geld erhalten würden und daher "verpflichtet seien, dem Staat zu helfen".

Ein Register verpflichtet zur Stimmabgabe

Um zu kontrollieren, dass sich die Parteimitglieder und Beamte an die Regeln des Kremls halten, hat die Präsidialverwaltung ein engmaschiges Kontrollsystem eingeführt. Wie "Meduza" berichtet, muss etwa ein Abgeordneter der UR dem Präsidialamt bereits Wochen vor der Scheinwahl die Vor- und Nachnamen der Personen mitteilen, die er zur Wahl mobilisiert habe. Auch deren Telefonnummern und E-Mail-Adressen seien zu übermitteln. Diese würden dann digitalisiert und in Datenbanken gesammelt.

"Alle Regionalverwaltungen verfügen über diese Daten und die Wahlbeteiligungsprognosen basieren darauf", zitiert das Exilmedium eine der Präsidialverwaltung nahestehende Quelle. Die Personen könnten dann über ein elektronisches Wahlsystem ihre Stimme abgeben.

In Regionen, in denen es diese Möglichkeit gebe, werde die Wahlbeteiligung mithilfe von QR-Codes kontrolliert. "Die unmittelbaren Abteilungsleiter verteilen sie an ihre Untergebenen und sagen ihnen: Ihr müsst wählen gehen, ich bin mit meiner Position und meinem Vorgesetzten für eure Wahlbeteiligung verantwortlich", schildert eine mit dem Vorgang vertraute Person "Meduza". Die Personen, die die Wahlen überwachten, müssten dann ihre Anwesenheit mithilfe der QR-Codes überprüfen.

Auch die unabhängige russische Wählerrechtsorganisation Golos berichtet in diesem Zusammenhang über eine Smartphone-App, mit dem "Einiges Russland" die Wahlbeteiligung von Angestellten im öffentlichen Dienst überwachen will. Demnach überprüfe die Partei mittels der Geo-Standortbestimmung von Smartphones, ob die Menschen sich am Wahltag auch tatsächlich zu den Wahlbüros aufmachen. Die Anwendung sei nur für Menschen verfügbar, deren Telefonnummern in einer Datenbank der Partei registriert sind. Golos sieht in dieser Art der Datensammlung eine Verletzung des Wahlgeheimnisses. Schon bei den Parlamentswahlen im September 2023 sei sie getestet worden.

Psychologischer Trick verfängt nicht mehr

Zwar kritisieren einige Quellen im Gespräch mit "Meduza", dass die Kontrollen nicht konsequent durchgeführt und auch keine Strafen drohen würden. Doch laut einem Politstrategen des Präsidialamtes setze man vor allem darauf, dass die Menschen glauben, ihnen würden Konsequenzen drohen. "Obwohl es an manchen Orten überhaupt keine Kontrolle geben wird, wird es psychologisch funktionieren. Schließlich wissen die Leute nicht genau, ob ihr Code überprüft wird oder nicht, und gehen für alle Fälle vor", zitiert das Exilmedium den Strategen.

Der Aufwand der Präsidialverwaltung ist im Vorfeld der Wahlen enorm. Beobachter und Experten wie das Institute of the Study of War (ISW) gehen davon aus, dass die Verwaltung darauf abzielt, die Wahl als völlig legitim und Putin als weithin populär darzustellen. Der Kremlchef würde so vor seinen Anhängern und Verbündeten, wie etwa dem islamischen Regime im Iran oder Belarus' Diktator Alexander Lukaschenko, sein Gesicht wahren.

Doch die Strategie der Präsidialverwaltung könnte dieses Jahr nicht aufgehen. Dem Kreml loyale Untergebene würden zwar, wie auch in den vergangenen Jahren, ihre Stimmen abgeben. Doch besonders in den Unternehmen laufe die Mobilisierung bislang schlecht, berichtet "Meduza" unter Berufung auf einen Strategen, der mit dem Kreml zusammenarbeitet und mit der Unternehmensmobilisierung in den russischen Ölkonzernen vertraut ist. "Die Leute wollen nicht wählen", sagt er.

Arbeiter gewinnen die Oberhand

Zuvor habe das Mobilisierungsprogramm in den Unternehmen funktioniert, weil viele Menschen Angst davor hatten, ihren Job zu verlieren. Doch mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich das Blatt gewendet. "Jetzt verstehen die Arbeiter: Es gibt einen Mangel auf dem Arbeitsmarkt, also wird niemand sie wegen Wahlverweigerung entlassen", erläutert der Stratege. Eine sehr häufige Antwort laute nun: "Fahr zur Hölle! Ich will nicht wählen, also was wirst du mit mir machen? Wirst du an meiner Stelle arbeiten?"

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Wie viele Russinnen und Russen sich also tatsächlich an die Wahlurne zwingen lassen, ist unklar. Ein weiterer Politikstratege sagte "Meduza" jedoch, dass dies wohl auch gar nicht nötig sei. Die Zahl der Wahlbeobachter sei, wenn sie überhaupt vorhanden seien, auf ein Minimum beschränkt. "Und Sergej Kirijenko, stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung, wird den Beamten persönlich verbrennen, der nicht das erforderliche Erscheinungsbild erbringt", so der Stratege.

Die von den Behörden angegebene Wahlbeteiligung in Russland könnte bei der anstehenden Scheinwahl somit wohl bei über 70 oder 80 Prozent liegen – unabhängig davon, ob die Bürgerinnen und Bürger hingehen, oder nicht. Weil Putin es so will.

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