t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikKolumne - Fabian Reinbold

Donald Trump: US-Präsident ist am Tiefpunkt – aber noch nicht am Ende


Post aus Washington
Trump ist am Tiefpunkt – aber nicht am Ende

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold

Aktualisiert am 03.07.2020Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Donald Trump im Weißen Haus: Am Tiefpunkt und unfähig zur Selbstkorrektur.Vergrößern des Bildes
Donald Trump im Weißen Haus: Am Tiefpunkt und unfähig zur Selbstkorrektur. (Quelle: Tom Brenner/reuters)

Das Coronavirus verbreitet sich explosionsartig in den USA – und auch sonst entgleitet Donald Trump zunehmend die Kontrolle. Doch wer glaubt, er habe die Wahl bereits verloren, begeht einen Fehler.

In Washington wechselt man bereits in den Countdown-Modus: Heute sind es noch genau vier Monate bis zur Wahl.

Donald Trump gegen Joe Biden. Und ein Amerika, das taumelt. Das Coronavirus ist außer Kontrolle, fast jeden Tag setzen die USA einen neuen traurigen Rekord an Neuinfektionen. Die größte Volkswirtschaft der Welt versucht in einem Drahtseilakt, Millionen kaum abgesicherter Arbeitnehmer wieder in Lohn und Brot zu bringen, neue und alte Wunden der Diskriminierung haben der politischen Dynamik einen scharfen Drall gegeben. Trump und Biden gehen mit all dem völlig unterschiedlich um. Sehr viel mehr könnte am 3. November also nicht auf dem Spiel stehen.

Vier Monate vor dem Wahltag kann eine Zahl die Gemengelage am besten auf den Punkt bringen. Sie landete am Dienstag in meinem Postfach. Absender: die unparteiischen Meinungsforscher des Pew Research Center. Die Zahl: Nur noch 12 Prozent der Bürger geben an, dass das Land sich in die richtige Richtung entwickle. Anders ausgedrückt: Sieben von acht der eigentlich so optimistischen Amerikaner sehen ihr Land auf dem falschen Weg. Was für ein gewaltiges Frustpotenzial, was für eine Sprengkraft für das Rennen Trump-Biden!

Die Zahlen zum Duell bleiben eindeutig: Biden liegt deutlich vor Trump, bundesweit sind es um die zehn Prozentpunkte. Und in den einzelnen "swing states", wo es wegen der Besonderheiten des Wahlmännergremiums letztlich um Sieg oder Niederlage geht, liegt er mit sieben, acht Prozentpunkten vorn. Selbst bei den Spendeneinnahmen hat Biden im Mai und im Juni erstmals überholt, wenn auch knapp.

Biden ist auf Höhenflug, Trump am vorläufigen Tiefpunkt seiner Präsidentschaft angelangt. Wäre heute Wahl, würde der Demokrat wohl wirklich gewinnen. Doch die Wahl ist eben nicht heute.

Beide, Trump und Biden, sind auf ihre eigene Art schwache Kandidaten. Beide haben ihre Stärken, aber müssen jeweils auf ein bestimmtes Szenario hoffen.

Biden hat sich aus dem Keller seines Hauses im kleinen Staat Delaware nach oben gerobbt, nicht aus eigener Kraft, sondern weil sich Trump als Krisenmanager selbst unmöglich gemacht hat. Biden wirkt so alt, wie er ist: 77. Er hat merklich abgebaut, er versemmelt die Pointen, er strahlt keine Dynamik aus, ist immer für einen Patzer gut. Je mehr er öffentlich auftritt, desto mehr Angriffsfläche bietet er. Deshalb ist er schwach.

Aber: Er gilt als zutiefst anständig, er versteht es zu trösten und Leid anzuerkennen – diese emotionale Stärke haben viele Amerikaner gerade nötig. Er eignet sich viel schlechter als Feindbild als 2016 die unbeliebte Hillary Clinton. Und der größte Vorteil in dieser Wahl: Er ist nicht Trump, das reicht vielen schon.

Biden muss hoffen, dass in vier Monaten der Urnengang das wird, was die Umfragen jetzt sind: ein Referendum über Trumps Versagen beim Management der amerikanischen Krisen.

Trump ist schwach, weil er stets nur sich und seine eigene, ihm ohnehin treu ergebene Wählerbasis im Blick hat, aber darüber hinaus gerade selbst den wichtigsten Wählergruppen wenig anzubieten hat: den Wechselwählern in den Vorstädten und den Rentnern. Er redet die Corona-Krise bis heute klein, facht die Rassismusproteste noch an, zur Selbstkorrektur ist er nicht fähig – es ist schon erstaunlich, was seine Verbündeten in den vergangenen Tagen für einen Aufwand betreiben mussten, damit er zumindest einmal sagt, dass Masken in der Corona-Krise nicht das allerschlechteste sind.

Er ist stark, weil seine Anhänger ihn vergöttern und Leidenschaft immer eine der gefragtesten Währungen im Wahlkampf ist. Er hat mehr Wahlkampfhelfer im ganzen Land als Biden und mehr Geld auf der hohen Kante.

Trump wird versuchen, Biden in den Dreck zu ziehen, hinab dorthin, wo alle Politiker ähnlich korrupt erscheinen – und damit nicht besser als er selbst. Vor allem aber muss er hoffen, dass die Wirtschaft irgendwie doch wieder zündet.

Trump wäre nicht Trump, wenn er es nicht selbst verraten hätte: Gestern sprach er in einer eilends einberufenden "Pressekonferenz" (in Anführungsstrichen, weil er keine Fragen beantwortete): "Wir werden ein drittes Quartal haben, wie die Welt es noch nicht gesehen hat. Die Zahlen kommen dann direkt vor der Wahl heraus."

Es gibt also Stärken, Schwächen, Hoffnungen auf beiden Seiten – und eine unvorhersehbare Dynamik. Mit leichtem Schaudern lese ich die verfrühten Siegesmeldungen der linksliberalen Kommentatoren. In der "New York Times" vom Mittwoch heißt es, "Trump sei erledigt", in der "Washington Post" vom Donnerstag spekuliert eine Kolumnistin nur noch, wie hoch die "blaue Welle" (also der naturgewaltartige Triumph der Demokraten) denn nun ausfallen werde.

Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Und jetzt wird auch schon wieder munter prognostiziert: Die Kollegen des geschätzten "Economist" etwa greifen wieder zur Methode der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Zu 89 Prozent soll Biden da die Wahl nach aktueller Prognose gewinnen. Umfragen sind ja schön und gut, aber diese Wahrscheinlichkeitsprognosen führen in meinen Augen in die Irre.

Was bleibt denn hängen, wenn man liest, jemand gewinne mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent? Dass das eine ziemlich sichere Nummer ist. Aber genau das ist es eben nicht.

2016 haben genau solche Prognosen – mehr als die Umfragen – völlig falsche Erwartungen geweckt. In meinem Giftschränkchen habe ich noch die letzte Prognose der "New York Times" vom damaligen Wahlabend. Mit diesen Zahlen schickte die Zeitung also einige Leser ins Bett, die dann in einem Amerika aufwachten, das Donald Trump gewählt hatte.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Vier Monate sind eine halbe Ewigkeit. Ganz generell, in der Ära Trump sowieso und in diesem atemberaubenden Jahr 2020, wo so vieles ins Rutschen gerät, umso mehr. Für viele Amerikaner beginnt der Wahlkampf ohnehin erst, wenn die offiziell gekürten Kandidaten ab September das Land mit ihren Werbekampagnen überziehen.

Selbst die tiefe Unzufriedenheit der Bürger über den Zustand ihres Landes kann nicht nur den Präsidenten treffen, dessen Krisenmanagement versagt hat. Sie könnte sich auch gegen Biden richten, der vor 48 Jahren in den Senat gewählt wurde und dort saß, bis er 2008 Barack Obamas Vizepräsident wurde – insofern verkörpert er das ungeliebte politische Establishment wie sonst kaum jemand.

Also: So bemerkenswert die aktuelle Dynamik in der US-Politik auch ist, allzu selbstsichere Prognosen zum Wahlausgang verbieten sich.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website