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Eine der größten Gesten des 20. Jahrhunderts

Von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 07.12.2020Lesedauer: 4 Min.
Willy Brandt kniet in Warschau: Hinterher sagte der Bundeskanzler, er habe sich die Geste nicht ausgedacht, nicht vorbereitet, nicht geplant.
Willy Brandt kniet in Warschau: Hinterher sagte der Bundeskanzler, er habe sich die Geste nicht ausgedacht, nicht vorbereitet, nicht geplant. (Quelle: Montage: t-online/imago-images-bilder)
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Willy Brandt beherrschte die Kunst, Geschichte ohne Worte zu schreiben: Er folgte in Warschau der Eingebung des Augenblicks, sank auf die Knie und bat so Polen um Vergebung. Dafür pries ihn die Welt, aber daheim gab es Kritik.

Der Tag begann damit, dass die deutsche Delegation einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten niederlegte, um Polens Freiheitskämpfer zu ehren. Guter Brauch bei so ziemlich jedem Staatsbesuch, zumal in einem Land, das unter Hitler-Deutschland beispiellos gelitten hatte. Dann zog der Tross weiter zum Mahnmal, das für die Aufständischen im Warschauer Ghetto errichtet worden war. Ein Historiker erzählte dem deutschen Bundeskanzler, wie die im Ghetto Eingepferchten lieber hier sterben wollten, als zum Ermorden in eines der Vernichtungslager deportiert zu werden. Von den Deutschen, von wem sonst.

Hat Willy Brandt zugehört? Allenfalls flüchtig. Was zog ihm durchs Gemüt, dem deutschen Emigranten, vor Hitler geflohen? Wie sollten wir das wissen.

Dann geschah dieses Unerwartete, Ungeheuerliche.

Hinterher sagte Willy Brandt, nein, er habe sich die Geste nicht ausgedacht, nicht vorbereitet, nicht geplant. Aber er habe das Empfinden gehabt, dass hier, an diesem Ort mit dieser Schreckensgeschichte, Worte nicht genügten.

Der Weltkrieg war erst 25 Jahre her

Von diesem Empfinden ließ er sich tragen und sank auf die Knie. Verharrte etliche Sekunden, die offenbar niemand zählte. Blickte geradeaus und erhob sich sachte wieder. Willy Brandt konnte dieses steinerne Gesicht aufsetzen. Er wirkte dann ganz in sich gekehrt. Weltabgewandt. Als nähme er die ihn Umgebenden gar nicht wahr. Vermutlich suchte er Zuflucht in diesem Selbstrückzug, wenn er innerlich bewegt war, aufgewühlt. Mit diesem Gesicht drehte er sich um und ging an diesen vielen Regierungspolen und Regierungsdeutschen vorbei, an den Kriegsveteranen, Historikern und Journalisten, die eine Gasse bildeten, im Wissen, dass sie dabei waren, als ein Mann Geschichte ohne Worte schrieb.

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An diesem Montag ist der Kniefall genau 50 Jahre her. 50 Jahre sind eine weite Zeitspanne und die Welt war damals eine völlig andere. Deutschland geteilt. Die Welt geteilt. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erst 25 Jahre her.

Willy Brandt war seit einem Jahr Bundeskanzler und seine sozial-liberale Regierung suchte Versöhnung mit den Ländern, die unter Hitler-Deutschland am meisten gelitten hatten: voran die Sowjetunion, dann Polen, dann die Tschechoslowakei. Versöhnung geschieht politisch mit Verträgen.

Mit Buchstaben und Worten.

Zur Versöhnung gehörte die Anerkennung der Wirklichkeit. Anerkennung bedeutete Verzicht auf 102.958 Quadratkilometer Landes, das zu Deutschland gehört hatte: Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Danzig, Stettin, Breslau, die Hälfte des alten Preußen. Der Verzicht zerriss Deutschland.

Im Ausland gelobt, im Inland verkannt

Verzicht ist Verrat, schmähten Konservative aller Schattierungen. Formal existierte dieses Nachkriegsdeutschland in den Grenzen von 1937. Aber wie sollten die Deutschen das Verlorene zurückholen? Durch Krieg? Durch Drohungen? Durch Wortgeklingel? Das Gleiche galt für das andere Deutschland, die DDR, mit der Brandt auch einen Vertrag schließen wollte.

Die Welt dort draußen pries Deutschland für diesen Kanzler und ehrte ihn mit dem Friedensnobelpreis. In der Welt dort drinnen konnte sich Brandt nicht einmal sicher sein, dass er eine Mehrheit für die Ostverträge im Bundestag bekommen würde. Die SPD verließen einige Abgeordnete aus Protest gegen die Entspannungspolitik. Die Regierungsmehrheit schmolz und ging verloren.

Das Land war gespalten, die Zeitungen nahmen Partei, im Bundestag fanden Debatten voller Leidenschaft statt, durchdrungen von infamen Unterstellungen. Dazu die vielen Demonstrationen auf den Straßen für und gegen Brandt. Ein Land in Aufruhr und unerträglicher Spannung. Am 24. April 1972 stellte die CDU/CSU im Bundestag den Antrag auf ein konstruktives Misstrauensvotum: Abwahl Brandts, Neuwahl eines Nachfolgers aus den Reiher der Opposition. Ein unerhörter Vorgang.

Demokratie in höchster Erregung.

Wir waren jung, wir gingen auf die Straße. Wir hingen am Fernsehapparat.

Wir dachten: Es ist vorbei. Sie kriegen ihn klein. Die anderen sind stärker. Er kommt zu früh, er will zu viel. Er war unser Willy.

Die Geschichte wäre anders verlaufen

Das Misstrauensvotum scheiterte. Dafür sorgten Intrigen. Absprachen. Dafür sorgten Bestechung und Betrug. Später kam heraus, dass zwei CDU/CSU-Abgeordnete materielle Gründe fanden, gegen den Antrag ihrer Fraktion zu stimmen – für Geld von der Stasi in Ost-Berlin. So stimmten nur 247 Abgeordnete für die Abwahl des Kanzlers, zwei zu wenig, denn 249 wären nötig gewesen.

Das Richtige war ohne Falsches nicht zu haben. Was wäre gewesen, wenn Rainer Barzel, der heute vergessen ist, Willy Brandt abgelöst hätte? Die Geschichte wäre anders verlaufen, so viel ist klar. Die Verträge wären nicht zustande gekommen. Die Entspannungspolitik wäre Makulatur gewesen. Der Kniefall wäre folgenlos geblieben. Besonders populär war er im Dezember 1970 ohnehin nicht. In einer Umfrage fand der "Spiegel" heraus, dass nur 41 Prozent der Deutschen ihn für angemessen, aber 48 Prozent für übertrieben hielten.

Die Umstände sind im Laufe der 50 Jahre nebensächlich geworden, so ist das eben. Geblieben ist diese spontane Geste, dieses Niedersinken auf die Knie, eine eigentlich religiöse Handlung, die sich ein Agnostiker einfallen ließ, der mit der Hitlerei nichts zu tun gehabt hatte, der selber vor den Nazis fliehen musste, und der auf sich nahm, wofür er keine Verantwortung trug.
So wurde am 7. Dezember 1970 aus Willy Brandt ein großer Deutscher und ein großer Kanzler.

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