Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ĂŒbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Bidens Werk und Trumps Beitrag
Was fĂŒr eine Erleichterung! Im WeiĂen Haus ist unter Joe Biden nichts mehr wie bei seinem VorgĂ€nger. Doch Donald Trump meldet sich zurĂŒck. Kann so wirklich alles wieder normal werden?
In Washington geht eine Woche zu Ende, wie ich sie noch nie erlebt habe.
Was los war? Der neue PrĂ€sident unterzeichnete Tag fĂŒr Tag Dekrete und machte groĂe Versprechen, fĂŒhrte viele Telefonate mit dem Rest der Welt, es gab auch reichlich Streit im Kongress. Es passierte viel, aber man konnte alle StrĂ€nge im Blick behalten. Denn alles geschah ganz ohne das groĂe Chaos, das jede, aber auch wirklich jede Woche unter dem alten PrĂ€sidenten geprĂ€gt hatte.
Die Tage in Washington verlaufen spektakulĂ€r unspektakulĂ€r. Nach extremen Jahren tastet man sich zurĂŒck in eine NormalitĂ€t, die einen noch immer staunen lĂ€sst.
Joe Biden arbeitet nach Plan. Morgens ein Geheimdienstbriefing, mittags Termine, nachmittags dann ein Thema, zu dem er vor den Kameras ein Dekret unterzeichnet: Dienstag GefĂ€ngnisreform, Mittwoch Klimawandel, Donnerstag Obamacare. Er macht das, was er angekĂŒndigt hat. Vorbei die Zeiten, wo ein Tweet morgens beim FrĂŒhstĂŒcksfernsehen oder nachts um eins alle PlĂ€ne â der Berater wie der Journalisten â ĂŒber den Haufen warf.
Auch Biden twittert, allerdings nur sorgsam von Mitarbeitern vorformulierte Botschaften. Am Mittwoch etwa: "Das Handeln meiner Regierung wird stets von der Wissenschaft geleitet sein." Herrlich langweilig!
Bevor ich das erste Mal das neue WeiĂe Haus betrat, musste ich auĂerhalb des GelĂ€ndes einen Covid-Schnelltest machen. Völlig normal, wenn man in diesen Zeiten in die Machtzentrale der Welt will, sagen Sie? Richtig. Nur gab es das bislang einfach nicht. Im WeiĂen Haus des VorgĂ€ngers wurde ich nicht einmal getestet (nur wer ins Oval Office musste, der schon) und den Mitarbeitern wurde das Maskentragen ausgeredet. Beides ist vorbei. Endlich!
Als ich reinkam, brachte im Briefing Room gerade ein Mitarbeiter die Bildschirme in Position. Die Pressekonferenzen finden wieder tĂ€glich statt, die neue Sprecherin beantwortet Fragen statt abzulenken und versichert, dass Streit mit der Presse zur Demokratie gehöre. Eine PlattitĂŒde? Nicht wenn man es auf eben jener BĂŒhne sagt, die vier Jahre lang erst fĂŒr Angriffe auf die Medien missbraucht wurde und dann verwaist war.
Die Corona-Briefings geben uns die Fachleute wie Anthony Fauci jetzt virtuell. Ohne dass ein PrĂ€sident ihnen die BĂŒhne streitig macht und dabei vermeintliche Wundermittel preist.
Es ist die erste Arbeitswoche, in der ich nicht stÀndig an den US-PrÀsidenten denken muss und was dieser wohl als nÀchstes anstellen wird. Das ist, ich kann es nicht anders sagen, eine Wohltat. Vielleicht geht es Ihnen ja Àhnlich?
Der VorgĂ€nger gewĂ€hrte einem keine Pause. Er konnte es nicht verkraften, auch nur fĂŒr wenige Stunden einmal nicht im Mittelpunkt zu stehen. Und tat alles dafĂŒr, dass es nie so weit kam. Bei Biden sind Ă€hnliche seelische BedĂŒrfnisse nicht auszumachen.
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Washington hat sich nach dieser NormalitÀt gesehnt. Am Sonntag erlebte ich eine bezeichnende Szene. Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Stamm-Bagel-Laden, da rollte eine lange Kolonne aus schweren Chevy Suburbans heran. Es war der PrÀsident. Der war zuvor in der Kirche gewesen und schickte seinen Sohn Hunter mit ein paar Dollarnoten in der Hand hinaus, um Bagels zu holen, wÀhrend er selbst durch die getönte Scheibe winkte.
Bei den Passanten, vom Secret Service auf Abstand gehalten, konnte ich die Erleichterung selbst aus den maskenverdeckten Gesichtern lesen: Die Augen glÀnzten, es wurde gerufen und gewunken.
Bidens VorgĂ€nger war in der linksliberalen Hauptstadt immer ein Fremdkörper geblieben. Nur ein einziges Mal in vier Jahren war er auswĂ€rts essen â im Steakhouse seines eigenen Hotels. Jetzt ist das allgegenwĂ€rtige GefĂŒhl: Washington hat wieder einen PrĂ€sidenten.
Wem das alles zu kuschelig klingt, den kann ich beruhigen: Was wir gerade erleben, sind nur kurze Flitterwochen zwischen PrĂ€sident Biden und der breiten Ăffentlichkeit.
Noch genĂŒgt es, dass der Neue den gröĂtmöglichen Kontrast zum Alten darstellt. Doch sehr bald schon geht es fĂŒr Biden darum, dass er die Krisen löst. Die Impfmisere, Corona mit bald 500.000 Toten, die stockende Wirtschaft mit 18 Millionen Arbeitslosen, das sind jetzt seine Krisen.
Interessieren Sie sich fĂŒr die US-Politik? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt einen Newsletter ĂŒber seine EindrĂŒcke aus den USA und den Machtwechsel von Donald Trump zu Joe Biden. Hier können Sie die "Post aus Washington" kostenlos abonnieren, die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.
Mit einer hauchdĂŒnnen Mehrheit im Kongress, welche die Republikaner mithilfe der Dauerrede allzu leicht blockieren können, in einer angeschlagenen Demokratie und einer zerrissenen Ăffentlichkeit wird dies sehr schwierig.
Und dann ist da ja noch dieser Mann, dessen Name in der Kolumne noch gar nicht fiel: Donald J. Trump â einst PrĂ€sident der Vereinigten Staaten. Wird er zur Rechenschaft fĂŒr den Anschlag auf das Kapitol gezogen? Sagt sich seine Partei doch noch von ihm los?
Es sieht gerade nicht so aus: Mit einer Impeachment-Verurteilung ist nicht mehr zu rechnen. Die Republikaner schwenken nur drei Wochen nach dem Sturm aufs Parlament in groĂer Mehrheit wieder ein auf die altbekannte Linie der letzten Jahre: Trump first.
Der Trump-treue Chef im ReprĂ€sentantenhaus, Kevin McCarthy, wagte sich bei der Impeachment-Anklage vor zwei Wochen noch immer so weit vor, dass er sagte, Trump trage Verantwortung fĂŒr die Gewalteskalation am Kapitol. Das war ein interessanter Moment, der verdeutlichte, wie sehr der 6. Januar Trumps Stellung erschĂŒttert hatte.
Doch jetzt wirkt sein Auftritt wie ein alter Schnipsel aus dem Videoarchiv. Denn am Donnerstag flog McCarthy eigens nach Florida, um beim Paten in Mar-a-Lago vorzusprechen und Abbitte zu leisten.
McCarthy will Trump als Zugpferd im Wahlkampf 2022, wo die Republikaner im ReprĂ€sentantenhaus wieder die Mehrheit ergattern wollen â und McCarthy dann mĂ€chtiger Sprecher der Kammer werden will.
Aus diesem Anlass landete auch die erste Mail von Trump als Ex-PrĂ€sident in meinem Posteingang â unsere Mailadressen hat er offensichtlich mit nach Florida genommen, abgesandt von seiner neuen Wahlkampforganisation "Save America": Amerika retten, drunter gehtâs bei ihm wohl nicht mehr.
Ein kurzes Statement, ein Foto mit McCarthy, garniert mit der Unwahrheit, Trump selbst sei so beliebt wie noch nie. Ein Lebenszeichen des LĂŒgners, eine Erinnerung an seine alle Normen sprengende PrĂ€sidentschaft und ein Ausrufezeichen, dass mit ihm weiter zu rechnen ist. So viel zur Annahme, dass in den USA nun alles wieder normal wĂŒrde.