Wegbegleiter von Kamala Harris "Diese 90 Minuten werden in Echtzeit zerpflückt"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kamala Harris darf in der Präsidentschaftsdebatte gegen Donald Trump keine Fehler machen. Denn das könnte wahlentscheidend sein. Ein Interview mit ihrem Biografen Dan Morain über die Stärken und Schwächen der Demokratin.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Noch nie sollen sich Donald Trump und Kamala Harris persönlich begegnet sein. Am Dienstagabend (Ortszeit) ist es nun so weit. Der frühere Präsident und die amtierende Vizepräsidentin treffen in einem TV-Duell aufeinander – eine Paarung, mit der vor einigen Wochen noch niemand gerechnet hatte.
Seit Joe Biden zugunsten von Harris als Kandidat zurückgetreten ist, hat der Wahlkampf der Demokraten neuen Schwung bekommen. Doch das Rennen zwischen Trump und Harris bleibt eng. Der TV-Debatte kommt daher hohe Bedeutung zu.
Der Journalist Dan Morain hat Kamala Harris schon zu ihrer Zeit in Kalifornien begleitet und schließlich eine Biografie über sie veröffentlicht. Im Interview erklärt er, worauf es für Harris bei diesem wohl wichtigsten politischen Auftritt ihres Lebens ankommt. Er verrät drei Tipps, mit denen Kamala Harris nicht nur die Debatte gegen Trump, sondern auch den Kampf um die Präsidentschaft gewinnen könnte.
t-online: Mister Morain, Sie haben Kamala Harris als Journalist über viele Jahre hinweg begleitet und mehrere Wahlkämpfe von ihr miterlebt. Was für eine Kamala Harris werden wir heute auf der Debattenbühne in Philadelphia erleben?
Dan Morain: Kamala Harris ist ungeheuer schlagfertig. Als ehemalige, langjährige Generalstaatsanwältin weiß sie, wie man schnell reagiert. Wir müssen aber bedenken, dass Donald Trump ein sehr ungewöhnlicher Debattengegner ist. Schon oft hat er in vergleichbaren Momenten seine Fähigkeit bewiesen, Menschen komplett aus der Fassung und aus der Balance bringen zu können. Kamala Harris sollte Donald Trump nicht unterschätzen.
Besteht die Gefahr, dass sie zu überheblich an diese Aufgabe herangehen wird?
Nein, ich bin mir sicher, dass sie das nicht tun wird. Sie ist klug. Und es wäre nicht klug, ihn zu unterschätzen. Diese Fernsehdebatte ist ein immens wichtiger, weil womöglich ausschlaggebender Moment in diesem Präsidentschaftswahlkampf.
In Senatsanhörungen grillte Kamala Harris früher die Mitglieder der vergangenen Trump-Regierung und sogar einen Richter des Obersten Gerichtshofs. Wie aber unterscheidet sich die Situation im Fernsehstudio von einem Senatssaal?
Sie hat es mit Donald Trump zu tun. Und eine Debattenbühne vor einem Millionenpublikum ist weder ein Senats- noch ein Gerichtssaal. Eine Präsidentschaftsdebatte, besonders mit Trump als Gegner, ist einzigartig. Es gibt nichts Vergleichbares. Trotzdem, als gute Staatsanwältin weiß Kamala Harris, wie man eine Beziehung zur Jury aufbaut.
Sie meinen, weil in vielen amerikanischen Gerichtsprozessen nicht Richter, sondern die Geschworenen, also ganz normale Bürger die Urteile fällen?
Ja, gute Anwälte und Staatsanwälte schaffen es, mit ihren Argumenten und der Art, wie sie die Fakten präsentieren, von der Jury gemocht zu werden. Und in einer Fernsehdebatte sind die Wähler zu Hause die Jury. Es geht also weniger darum, mit Donald Trump zu debattieren, sondern vielmehr darum, zu den Wählern zu sprechen.
Worauf muss Kamala Harris bei der Debatte besonders achten?
Die Menschen werden dieses Ereignis zwar live verfolgen. Aber diese 90 Minuten werden vor allem in Echtzeit zerpflückt. Überall, in den herkömmlichen, aber vor allem in den sozialen Medien, wie bei TikTok, X oder Instagram, werden Videoschnipsel sofort auftauchen. Kamala Harris’ Wahlkampfteam wird sofort nach prägnanten Szenen suchen, die wir Amerikaner "Soundbites" nennen. Sie wollen ihre starken Momente sofort verbreiten und dem Ganzen einen eigenen Dreh mitgeben, der ihr helfen soll. Und das Lager von Donald Trump wird selbstverständlich genau das Gleiche tun.
Können Sie beschreiben, warum dieses Duell so immens wichtig zu sein scheint?
Wir befinden uns in einem Rennen, bei dem laut allen Umfragen Donald Trump und Kamala Harris Kopf an Kopf liegen. Beide Kandidaten haben also an diesem Abend sehr viel zu verlieren. Was an diesem Dienstag passiert, wird entscheidend sein. Es wird den weiteren Verlauf des Rennens definieren.
Zur Person
Dan Morain war über mehrere Jahre der verantwortliche Redakteur der Leitartikelseite der kalifornischen Zeitung "The Sacramento Bee". 27 Jahre lang schrieb er außerdem für die "Los Angeles Times". Seit 1992 berichtet er über den US-Kongress. Im Jahr 2021 erschien seine Biografie "Kamala’s Way – An American Life". Derzeit arbeitet Morain an seinem zweiten Buch, das sich mit dem Umgang mit psychischer Gesundheit in der amerikanischen Geschichte befasst.
Sie haben Kamala Harris in Debatten erlebt, da kannte sie landesweit noch kaum jemand. Im Bundesstaat Kalifornien kandidierte sie für das Amt der Bezirksstaatsanwältin, dann für das der Generalstaatsanwältin oder später auch für den US-Senat. Woran erinnern Sie sich vor allem?
Ich moderierte das Debatten-Panel, als Kamala Harris für das Amt der Generalstaatsanwältin im Jahr 2010 kandidierte. Sie trat damals gegen einen sehr viel erfahreneren Anwalt an, den Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles County, Steve Cooley. Sie war die Außenseiterin. Cooley führte in allen Umfragen und hatte viel Unterstützung auf bundesstaatlicher und auf nationaler Ebene bei den Republikanern. Alles sah danach aus, als würde er gewinnen. Aber sie hat sich in dieser Debatte sehr gut geschlagen.
Warum?
Kamala Harris hatte in einem entscheidenden Moment einfach nur geschwiegen. Ihr Gegner war mit einer Frage konfrontiert worden, die mit seinen erworbenen Pensionsansprüchen zusammenhing. Cooley sagte, dass er als Generalstaatsanwalt trotz eines sehr hohen Gehalts auch seine Pensionsansprüche aus seinen vorangehenden Ämtern in Anspruch nehmen werde. Kamala Harris sagte auf Nachfrage nur: "Go for it, Steve" und lachte. Also im Sinne von: "Los, nimm alles mit, Steve!" Das war eine Szene, die später in Wahlkampfvideos verwendet wurde. Sie profitierte davon. Man kann also sagen, dass sie diese Debatte gewonnen hat. 2016 habe ich ihre Debatte im Rennen um den US-Senat verfolgt. Auch dort hat sie sich gut gegen Loretta Sanchez, eine erfahrene Kongressabgeordnete, geschlagen und ebenfalls gewonnen. Aber das hier ist ein ganz anderes Spiel.
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Was genau macht die Debatte gegen Trump so anders?
Auf so einer großen Bühne stand sie noch nie. Trump aber schon mehrmals. Er führte Debatten gegen Hillary Clinton im Jahr 2016 und gegen Joe Biden im Jahr 2020 und jetzt 2024. Er hat diese Erfahrung, sie nicht. Sie muss höllisch aufpassen.
Es gibt auch schwache Momente von Kamala Harris. Als sie bei den Demokraten 2020 als Präsidentschaftskandidatin antrat, machte sie in den Debatten keine gute Figur und kam ins Schlingern.
Ja, ihre Schwachstelle ist, dass sie manchmal zu verkopft ist. Dann gibt sie Antworten, die keinen Sinn ergeben. Dagegen muss sie sich unbedingt wappnen. Sie muss klar sprechen, in einer Art und Weise, die jeder versteht. Donald Trump wird sie auf vielen Ebenen angreifen.
Auf welchen zum Beispiel?
Er wird sagen, dass sie viel zu linksliberal sei. Dabei ist sie in Wahrheit ja eine Mainstream-Demokratin. Sie muss also auf diesen Vorwurf vorbereitet sein.
Aber ist nicht auch ein Problem, dass sie als Teil der Regierung mitverantwortlich ist für die hohen Preise und die Probleme mit der illegalen Migration? Trump wird ihr das vorwerfen.
Ohne Zweifel. Aber das ist Politik. Sie muss darauf vorbereitet sein. Ich bin sicher, dass sie das weiß. Aber dennoch, sie war noch nie auf dieser Bühne, er schon. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr denke ich, dass er die Oberhand haben wird.
Sie haben in Ihrer Biografie über Kamala Harris geschrieben, dass sie fleißig und immer gut vorbereitet sei. Donald Trump hingegen handelt scheinbar viel aus dem Bauch heraus. Welche Strategie ist die bessere?
Das macht tatsächlich einen großen Teil von Trumps Anziehungskraft aus. Er sagt, was er denkt. Natürlich ist das inszeniert, aber es wirkt eben nicht inszeniert. Er kann sehr gut mit Kameras umgehen. Er stand nicht erst als Präsident, sondern schon vorher in seinen Fernsehshows und in zahlreichen Interviews Tausende Male vor der Kamera.
Journalisten geben Politikern keine Ratschläge. Aber was wären Ihre drei Tipps für Kamala Harris in der Debatte gegen Donald Trump?
Erstens: Sie muss auf alle Angriffe vorbereitet sein, auch auf die unerwarteten. Zweitens: Sie muss klar und prägnant sprechen. Und drittens: Sie muss ihn attackieren und für seine eigene Bilanz zur Rechenschaft ziehen.
Wo schauen Sie heute Abend die Debatte?
Bei Freunden im Wohnzimmer, gleich gegenüber von meinem Zuhause auf der anderen Straßenseite.
- Interview mit Dan Morain