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Deutschland: Typische Rhetorik im Zeitalter der Skandale


Interview mit Steffen Burkhardt
Typische Rhetorik im Zeitalter der Skandale

Von dpa
Aktualisiert am 06.02.2014Lesedauer: 3 Min.
Medienwissenschaftler Steffen BurkhardtVergrößern des BildesSteffen Burkhardt, Medienwissenschaftler in Hamburg (Quelle: dpa-bilder)
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Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat zugegeben, über viele Jahre ein Schweizer Konto verheimlicht zu haben. Für die vergangenen zehn Jahre habe sie rund 200.000 Euro Steuern plus Säumniszinsen nachgezahlt. Der Medienwissenschaftler Prof. Steffen Burkhardt analysiert im Interview, was der Skandal für Deutschland bedeutet.

Herr Prof. Burkhardt, Frau Schwarzer bekommt gerade viel Häme ab - wann reagieren Menschen auf Skandale besonders empfindlich?

Menschen reagieren auf Skandale dann besonders empfindlich, wenn der Paulus zum Saulus wird, wenn Moralapostel also Grenzen überschritten haben. Bei Alice Schwarzer, die mit großer Präsenz für ihre moralischen Vorstellungen zu Kernfragen des gesellschaftlichen Lebens gestritten hat, trifft das zweifelsohne zu. Sie ist nicht länger Moralinstanz und jetzt Angriffen aus drei Lagern ausgesetzt. Erstens: den Menschen, die sie schon immer mundtot sehen wollten, weil sie ihre Wertvorstellungen ablehnen. Zweitens: enttäuschten Anhängern. Und drittens: denjenigen in Deutschland, die für Steuergerechtigkeit eintreten und über die Gier von ihr entsetzt sind. Diese drei Diskursfraktionen führen zu einem explosiven Gemisch an Emotionen und Meinungen, das die Skandalisierung befeuert.

Was macht das mit dem öffentlichen Diskurs im Land, wenn vermeintlich moralische Institutionen mit skandalösem Verhalten auffliegen?

Großen sozialen Umbrüchen gehen Skandalwellen voraus. Das kann man an der Französischen Revolution studieren, am Zusammenbruch des Kaiserreichs und der DDR. Ob Pädophile bei der katholischen Kirche oder den Grünen, ob Margot Käßmann, Günter Grass, Alice Schwarzer, Christian Wulff oder der ADAC: Die Skandalisierung nahezu aller moralischen Institutionen unseres Landes ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels. Wir haben, wie nur wenige Länder weltweit, einen Journalismus, der auf Missstände des Systempersonals hinweist. Und zweitens haben die Deutschen ein gutes Bewusstsein dafür, dass etwas in unserem Land nicht stimmt. Historisch betrachtet könnte man sagen, dass den Deutschen die Obrigkeitstreue abhandengekommen ist. Sie lassen sich weder vom Papst noch von anderen moralischen Instanzen vorschreiben, wie sie die Welt zu sehen haben. Nehmen Sie den Skandal um Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst. Die Limburger lassen sich von ihm nicht mehr auf der Nase herumtanzen. Ihr Verhalten wäre vor 100 Jahren undenkbar gewesen.

Wer profitiert von solchen Skandalen?

Von den Skandalen profitiert neben einzelnen Akteuren vor allem die Gesellschaft. Dank aktueller Skandale wissen wir, dass Steuerhinterziehung ein weit verbreitetes Problem ist. Wir haben auch gelernt, dass wir uns nicht blind auf den ADAC verlassen können. Und wir haben erkannt, dass die Katholische Kirche sexuellen Missbrauch vertuscht und die Täter nicht aus dem Verkehr gezogen hat. Über Skandale erfahren wir von Schweinereien in unseren Lebensmitteln oder von unserer Bespitzelung, gegen die unsere Regierung nicht konsequent vorgeht. Aber neben uns allen gibt es auch einzelne Profiteure, manchmal sogar die Skandalisierten selbst: Denken Sie an Thilo Sarrazin, der dadurch den Absatz seiner Bücher verstärkt hat.

Haben wir es mit einer neuen Dimension von Verfall zu tun?

Nein. Historische Analysen zeigen, dass es immer wieder Phasen gibt, in der es viele Skandale gibt. Man muss sich hier nur das Deutsche Kaiserreich mit seinen unzähligen massenmedialen Skandalen anschauen. Neu ist: Durch das Internet sind die Skandale besser dokumentiert und für alle jederzeit zugänglich. Das Bewusstsein für Skandale ist mit der Selbstbespiegelung der Mediengesellschaft gestiegen.

Warum ist eigentlich immer wieder nur von "Fehlern" zur Rechtfertigung die Rede, wo eigentlich tiefere Ursachen vorliegen?

Skandalisierte wie Frau Schwarzer sprechen immer wieder nur von "Fehlern" zur Rechtfertigung, um von eigentlich tieferen Ursachen ihres Fehlverhaltens abzulenken. Das ist pure Rhethorik, die alle Krisenberater ihren Schützlingen eintrichtern. Dann wird von "ganzem Herzen bedauert" und zehn Sendungen später hockt man wieder in Talkshows. Getreu dem Motto "Ein Fehler passiert uns allen mal" soll davon abgelenkt werden, dass wir uns nicht alle mal eben ein Millionenkonto in der Schweiz eingerichtet haben. Das wirklich Problematische an dieser Entschuldigungs-Rhetorik ist die Tatsache, dass sie den Fokus der öffentlichen Debatte auf Personen lenkt und nicht auf die gesellschaftlichen Fehler, die das individuelle Fehlverhalten ermöglichen. Ganz konkret: Wie kann es sein, dass Steuerhinterziehung und Schwarzgeldkonten im Zeitalter globaler digitaler Überwachung möglich sind? Sind sie politisch erwünscht?

Zur Person
Steffen Burkhardt ist Professor für Medienforschung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Seine Studie "Medienskandale - Zur moralischen Sprengkraft öffentlicher Diskurse" gilt als Standardwerk politischer Kommunikation. Er analysiert darin den Zusammenhang von Skandalen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Zurzeit arbeitet er an einem Buch zum Strukturwandel des Privaten.

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