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Alice Weidel: AfD-Chefin stellt Strafanträge wegen Beleidigung


Trotz Kritik am Gesetz
Weidel stellt Strafanträge wegen Beleidigung im Netz


Aktualisiert am 02.06.2025 - 16:31 UhrLesedauer: 10 Min.
Alice Weidel: Die AfD-Vorsitzende stellt reihenweise Strafanträge wegen Beleidigung.Vergrößern des Bildes
Alice Weidel: Die AfD-Vorsitzende stellt reihenweise Strafanträge wegen Beleidigung. (Quelle: Montage: t-online)
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Viele Menschen glauben, Alice Weidel dürfte "Nazischlampe" genannt werden. Und viele Menschen denken, die AfD würde Politikerbeleidigungen nicht verfolgen. Beides ist falsch.

Als es am 27. Februar in einem Haus in einem Städtchen bei Kiel klingelte, dachte der Bewohner sicher nicht an Alice Weidel. Drei Polizisten mit drei Briefumschlägen standen vor der Tür – für eine Gefährderansprache: Er solle sich doch mäßigen in Posts in sozialen Netzwerken, rieten die Beamten. Denn der Mann hatte auf Elon Musks Plattform X Alice Weidel als "Nazischlampe" bezeichnet, und die Post in den Umschlägen waren Anhörungen dazu.

Es geht um den umstrittenen Paragrafen zu "Politikerbeleidigung", korrekter "gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung". Es ist der Paragraf 188 des Strafgesetzbuches. Er kann greifen, wenn bei Nutzern im Netz die Emotionen durchgehen und sie unter der Gürtellinie über Politiker schimpfen. Die Empörung ist oft noch größer, wenn solche Äußerungen strafrechtliche Folgen haben. Im vergangenen Jahr machte ein Mann Schlagzeilen, als die Polizei zu einer Hausrduchsuchung anrückte. Begründung: Er hatte den damaligen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) "Schwachkopf" genannt. Der Fall lieferte viel Munition gegen den umstrittenen Paragrafen.

AfD: Paragraf hat nur Zweck, Bürger von Kritik abzuhalten

In einem Gesetzesentwurf zur Abschaffung des Paragrafen vom Januar erklärte die AfD, der "einzige erkennbare Zweck solcher Maßnahmen" liege "in ihrer abschreckenden Wirkung auf Dritte". Menschen sollten "von vornherein davon abgehalten werden (...), ihre Kritik zu äußern". AfD-Chefin Alice Weidel hatte es in einer Rede im Dezember noch drastischer formuliert: Wenn deutsche Bürger aufbegehrten, dann lauerten auf sie "Internetspitzel und Meldestellen einer mit Steuergeld gepeppelten NGO-Stasi", die Justiz werde von einer "so panischen wie mimosenhaften politischen Klasse missbraucht, um aufsässige Bürger (...) mit Strafanträgen, Geldbußen und Hausdurchsuchungen zum Schweigen zu bringen."

Doch nun zeigen Recherchen von t-online: Die AfD und ihre Parteichefin wettern zwar gegen Politiker anderer Parteien, wenn diese sich mithilfe des Paragrafen 188 wehren, sie kritisieren auch Meldeportale, die es Betroffenen erleichtern, Postings verfolgen zu lassen und sie präsentieren sich dabei als Partei der Meinungsfreiheit. Werden Alice Weidel oder andere AfD-Politiker aber selbst im Netz beleidigt, greifen sie auch gerne auf den Paragrafen 188 zurück – und profitieren dabei von Meldeportalen. "Waffengleichheit" wird das in der AfD genannt.

t-online hat mit rund 15 Menschen gesprochen, gegen die wegen Beleidigung von AfD-Politikern ermittelt wird oder wurde, und mit Anwälten, die mit Hunderten Fällen aus der AfD befasst sind. Kaum einer der Betroffenen beklagt sich, – aber alle ärgern sich über die Doppelmoral einer Partei, die die "politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte" werfen will.

Weidel beklagte sich bei "Anne Will" über Gerichtsentscheidung

Diese Aussage zur politischen Korrektheit, die Alice Weidel 2017 auf einem Parteitag getroffen hat, ist der Auslöser, dass sie heute oft als "Nazischlampe" beleidigt wird und deshalb massenhaft Verfahren laufen. Ein Videoschnipsel mit Weidel, der seit einer "Anne Will"-Sendung durchs Netz geht, trägt maßgeblich dazu bei.


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"Ein Gericht hat geurteilt, dass man mich 'Nazischlampe' nennen darf."


Alice Weidel bei "Anne Will" im Februar 2020.


In der Sendung sagte Weidel da im Februar 2020: "Ein Gericht hat geurteilt, dass man mich 'Nazischlampe' nennen darf." Für Kritiker Weidels eine Einladung zur Nachahmung – für ihre Unterstützer hingegen eine himmelschreiende Unverschämtheit. Immer, wenn der Staat gegen AfD-Politiker oder -Unterstützer vorgeht, beklagen AfD-Anhänger dies als vermeintlich große Ungerechtigkeit.

Dabei stimmt der Satz so nicht. "Man" darf Weidel nicht einfach als "Nazischlampe" bezeichnen. Es sei denn, man will Post von der Staatsanwaltschaft riskieren.

Weidel bezog sich bei Anne Will auf einen Beschluss des Landgerichts Hamburg im Jahr 2017. Es ging dabei um die Frage, ob eine Kommentierung des Satirikers Christian Ehring im NDR-Magazin "Extra3" untersagt werden. In der Sendung war jener Teil von Weidels Rede auf dem Parteitag 2017 gezeigt worden, in der sie über "politische Korrektheit" ätzte. Ehring kommentierte im Anschluss: "Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazi-Schlampe doch recht. War das unkorrekt genug?"


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"Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte!"


Alice Weidel beim Parteitag 2017.



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Jawoll, Schluss mit der politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazi-Schlampe doch recht. War das unkorrekt genug?


Christian ehring bei Extr3 als Reaktion zur Weidel-Aussage


Mit ihrem Antrag scheiterte Weidel beim Landgericht Hamburg: Ehrings Aussage war eine zulässige satirische Auseinandersetzung mit der konkreten provozierenden politischen Forderung von Weidel. Die AfD-Politikerin zog eine Beschwerde dagegen zurück.

Dafür griff sie umgehend den nächsten Fall auf: Der damalige Pressereferent der SPD in Bad Segeberg hatte Weidel nach der Entscheidung ebenfalls so bezeichnet, allerdings ohne den Kontext zu ihrer Äußerung in der Parteitagsrede herzustellen. Er musste daraufhin eine Unterlassungserklärung abgeben. Die Kanzlei Höcker verkündete anschließend per Pressemitteilung: "Frau Dr. Alice Weidel muss sich Beleidigung als 'Nazi-Schlampe' nicht bieten lassen."

Doch diese Nachricht schaffte es kaum in die Öffentlichkeit.

Stattdessen kursiert weiterhin der Videoschnipsel mit Weidels Aussage aus der "Anne Will"-Sendung, man dürfe sie "Nazischlampe" nennen, im Netz und animiert Nutzer, das Wort zu wiederholen. Weidel selbst als eine Triebfeder für die Beleidigungen? Ihr Sprecher Daniel Tapp weist einen Zusammenhang zurück: "Klingt zwar vordergründig auf amüsante Weise schlüssig, es erscheint aber aufgrund der Vielzahl sehr unterschiedlicher grober Beschimpfungen gegen ihre Person nicht haltbar."

Anwalt: "Habe Aktenschrank voller Fälle zum Paragrafen"

In jedem Fall hat Weidel im vergangenen und in diesem Jahr massenhaft Strafanträge gegen Personen gestellt, die sie entsprechend titulieren. Eine genaue Zahl gibt Weidel nicht heraus, Tapp sagt aber, es gehe lediglich um die Fälle, "die aus unserer Sicht grobe Beleidigungen enthalten. Eine dreistellige Anzahl ist nicht zustande gekommen."

Eine so hohe Zahl legen allerdings Schilderungen von Anwälten nahe: "Ich habe einen Aktenschrank voller Fälle", sagt der Bremer Anwalt Mario Kroschewski, der Betroffene vertritt. "100 Anzeigen wegen Beiträgen zur AfD, 90 Prozent wegen Frau Weidel." Und noch viel mehr Anrufern habe er gesagt, sie sollten angesichts der Kosten einen Strafbefehl akzeptieren, wenn es ihnen nicht ums Prinzip gehe.

Seine Berliner Kollegin Marjola Wende vertritt 20 Mandanten, gegen die zusammen rund 200 Anzeigen erstattet worden sind, auch hier fast alle aus der AfD, zum Großteil von Weidel. In einem Fall geht es um mehr als 50 Anzeigen gegen eine einzelne Person.

Bekommen hat diese Anzeigen ein Mechatroniker aus Franken, der ein paar Jahre vor der Rente steht. Wegen seiner Erfahrungen mit den Anzeigen schreibt er inzwischen auf X AfD-Politiker direkt an, wenn sie wieder einmal die Abschaffung des Paragrafen 188 fordern. Besonders tut sich damit der stellvertretende AfD-Sprecher Stephan Brandner hervor. Brandner hat er schon mehrfach gefragt: "Übernimmst Du meinen Strafbefehl?"

7.200 Euro wegen zehn Tweets

Brandner ist bei der AfD federführend für den Gesetzentwurf "zur Stärkung der Meinungsfreiheit und Abschaffung des Tatbestands der Politikerbeleidigung in Paragraf 188". Zugleich berichtet auf X auch ein Rentner, dass er 300 Euro zahlen musste, nachdem Brandner eine Verfolgung wegen des Wortes "Schrumpfpimmel" wünschte. Brandner hat auf eine t-online-Anfrage zu seinen Strafanträgen nicht geantwortet.

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Der Franke, der mit mehr als 50 Anzeigen Spitzenreiter sein dürfte und anonym bleiben will, musste 7.200 Euro für das erste Paket von angezeigten Beleidigungen zahlen – 90 Tagessätze zu 80 Euro. Der Strafbefehl kam zum Valentinstag, bezog sich auf 10 Postings, 13 weitere wurden eingestellt. Bei den übrigen angezeigten Beiträgen laufen die Verfahren noch. Die Anzeigen betrafen allesamt Postings zu AfD-Politikern: Mehrfach war Weidel die Verletzte, wie es juristisch heißt, aber auch Tino Chrupalla, Stephan Brandner, Alexander Gauland, Petr Bystron oder Beatrix von Storch stellten Strafanträge gegen den Mann.

Beatrix von Storch.
Beatrix von Storch. (Quelle: S. Gabsch /imago-images-bilder)

Von Storch finanziert Politikerbeleidigung

Beatrix von Storch stellt selbst Strafanträge – und hat zugleich verhindert, dass ein AfD-Anhänger eine Strafe zahlen muss. Ein Mann, der Annalena Baerbock beleidigt hatte ("beim Trampolinspringen zu oft gegen die Decke geknallt"), wurde zu 800 Euro Strafe verurteilt. Von Storch hat davon 400 übernommen und für den noch fehlenden Betrag einen Aufruf gestartet, auf ein AfD-Konto zu spenden.

Er und seine Anwältin Wende gehen davon aus, dass inzwischen gezielt bei einzelnen Nutzern die Posts aus mehreren Jahren durchforstet werden. t-online liegen neue Verfahren wegen Tweets vor, die 2022 abgesendet wurden. Weidels Sprecher Daniel Tapp erklärt auf t-online-Anfrage, in der AfD würden fremde Social-Media-Kanäle nicht durch Mitarbeiter auf Beleidigungen durchsucht. Allerdings prüfe und unterschreibe Weidel die Fälle nicht selbst, "das wäre schon aus Zeitgründen nicht möglich". Das werde delegiert.

Der Großteil der Anzeigen in den Fällen von Anwältin Wende ist nach deren Angaben auf Hinweise an das Portal "Hessen gegen Hetze" zurückzuführen. Laut hessischem Innenministerium, bei dem diese Meldestelle angesiedelt ist, war Weidel als Betroffene dort auch zuletzt Spitzenreiterin. 559 Mal kam die Meldestelle im Zeitraum von November 2024 bis Januar zum Ergebnis, dass Postings zu Weidel tatsächlich mutmaßlich strafbar nach Paragraf 188 sind. "Der weit überwiegende Teil wird von uns ignoriert", so Weidels Sprecher Tapp.

Zu der AfD-Chefin wurde weit mehr gemeldet als zu irgendjemand anderem – zu Friedrich Merz waren es 134 derartige Hinweise, zu Grünen-Politiker Robert Habeck 34. Die Zahlen nannte das Innenministerium im Februar dem "Tagesspiegel", neuere Daten konnte es auf eine t-online-Anfrage von Mitte Mai zunächst nicht liefern. Nur jeder elfte Hinweis zu strafrechtlich relevanten Beiträgen kommt von einer selbst betroffenen Person: Es sind rechte wie linke Aktivisten, die der Meldestelle rege schicken, wenn sie Beleidigungen von Politikern im Netz entdecken.

Rechter Netzaktivist als "Wuppizei" auf Fahndung

Nur wenige sind dabei so offen wie Patrick Kollek, der im Netz unter dem Pseudonym "Wuppi" einer der treibenden Köpfe rechter Kampagnen ist. "Habe ich Instrumente, um meinen Gegner zu f***, dann ziehe ich sie", erklärt er. "Ich habe das volle Recht und die Pflicht, alle Mittel zu nutzen, die mir gegeben sind." Manche seiner Tweets kennzeichnet er dann mit "Wuppizei", 60 Anzeigen habe er erstattet, so Kollek zu t-online, allerdings direkt bei der Polizei. Die Verfahren dienten ihm dazu, je nach Ausgang Argumentationshilfe zu haben, wie unterschiedlich Gesetze ausgelegt würden. "Und ich will das auch mit Anzeigen ad absurdum führen."

Bei "Hessen gegen Hetze" und weiteren Meldestellen, etwa vom bayerischen Staat oder der Jugendstiftung Baden-Württemberg, sichten Mitarbeitende, ob bei den gemeldeten Fällen überhaupt eine Strafbarkeit vorliegt. Dann leiten sie diese überwiegend an die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) beim Bundeskriminalamt (BKA) weiter.

Dort kommen dann tatsächlich Ermittler ins Spiel: Das BKA versucht, die Accountinhaber ausfindig zu machen, um dann die Fälle an die zuständige örtliche Dienststelle weiterzugeben. Die Polizei vor Ort hat deshalb die Fälle in der Regel "vom BKA", selbst sucht das BKA aber nicht nach Beleidigungen im Netz. 47.500 Hinweise auf Hass und Hetze hat das ZMI bis März 2025 erhalten – zum Paragrafen 188, aber auch zu Volksverhetzung oder der Nutzung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen oder zu der Billigung von Straftaten.

Anwältin Wende hatte auch mit einigen Fällen zu tun, die von einer Anwaltsfirma mit einem besonderen Geschäftsmodell kommen: Diese geht für Politiker KI-unterstützt auf die Suche nach Beleidigungen im Netz, macht auch zivile Ansprüche geltend und finanziert sich daraus. Die Verteidigungspolitikerin und FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann hatte im September 2024 bestätigt, dass sie mit diesem Unternehmen, das So Done heißt, 1.894 Sachverhalte seit Februar 2023 angezeigt hat. Als entschiedene Unterstützerin von Waffenlieferungen für die Ukraine ist sie im Netz offenbar für viele eine besondere Hassfigur.

Ohne Strafantrag der Betroffenen meist keine Strafe

Andere Politiker erzählen nicht so offen von ihrer Kooperation mit So Done oder von Fallzahlen. Nur Regierungsmitglieder sind verpflichtet, sie offenzulegen. So wurde – nach AfD-Anfrage – bekannt, dass für die Zeit seit Dezember 2021 der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) 805 Strafanzeigen gestellt hatte, 513 waren es bei der damaligen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), der ehemalige FDP-Justizminister Marco Buschmann hatte 26 Mal Strafverfolgung gewünscht.


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Wie kann das eigentlich sein, dass irgendwelche linken und grünen Politiker, die sich irgendwie beleidigt fühlen, anders damit umgehen können als der freie normale Bürger?


Alice Weidel zum Vorgehen, das sie selbst auch Nutzt.


Weidel nutzte das als Steilvorlage: "Wie kann das eigentlich sein, dass irgendwelche linke und grünen Politiker, die sich irgendwie beleidigt fühlen, anders damit umgehen können als der freie normale Bürger", sagte sie im Dezember 2024 bei ihrer Vorstellung als AfD-Kanzlerkandidatin. Sie empörte sich öffentlich über das Vorgehen anderer Politiker – und nutzt das gesetzliche Instrument intensiv selbst.

Denn ohne Mitwirkung der Politiker würden viele Fälle direkt eingestellt. Paragraf 188 ist zwar ein relatives Offizialdelikt. Das heißt, die Behörden müssen tätig werden. Aber das gilt nicht, wenn kein öffentliches Interesse besteht. Im berühmten Fall der Beschimpfung Habecks als "Schwachkopf" hatte die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse angenommen: Da wurde bei einem Nutzer der Plattform X durchsucht, ehe Habeck überhaupt den Fall auf dem Tisch und einen Strafantrag unterzeichnet hatte. Das Verfahren wegen der Beleidigung wurde dann vorläufig eingestellt, der Mann erhielt wegen Volksverhetzung in einem anderen Posting einen Strafbefehl, gegen den er vorgeht.

Der "Schwachkopf"-Fall wird vielfach von Juristen als große Ausnahme mit einer übereifrigen Staatsanwaltschaft eingeschätzt. Ohne Strafantrag der Betroffenen sehen die Staatsanwälte fast nie ein öffentliches Interesse, wenn es nur um Beleidigung von Politikern geht, erklärt Anwalt Kroschewski. Die Staatsanwaltschaften hätten auch wenig Interesse und Lust auf die Verfahren. Seine Kollegin Wende bestätigt das: "Die meisten Sachen liegen schon lange, und wenn es nur um ein, zwei Sachen geht, wird meistens eingestellt." Im Norden Deutschlands sei das noch eher der Fall als im Süden.

Vom Amtsgericht Dachau liegt t-online ein Strafbefehl über 40 Tagessätze zu 50 Euro gegen eine Frau vor, die geschrieben hatte: "Die #Nazischlampe ist doch eine Nachttischlampe." Damit habe sie sagen wollen, dass nicht mehr das beleidigende Wort genutzt werden sollte, sondern das harmlosere "Nachttischlampe", sagt die Frau t-online. Gegen den Strafbefehl hat sie ohne Anwalt mit einem handgeschriebenen Brief Einspruch eingelegt. "Ich kann mir keinen leisten, ich kann auch die Strafe nicht zahlen. Ich muss dann ins Gefängnis." Weil sie es geschrieben hat – und weil Weidel Strafantrag gestellt hat.

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"Paragraf so sinnlos wie Ohrläppchen am Ellenbogen"

Generell sei die Frage, ob die betroffenen Politiker wirklich in ihrem politischen Leben beeinträchtigt würden, meint Anwältin Wende. "Für Verleumdungen, wenn etwa Bestechlichkeit behauptet wird, ist das gut vorstellbar." Beleidigungen seien aber nie tatbestandserfüllend, so Wende: "Ich halte den Paragrafen 188 in der Form, wie er formuliert ist, für so sinnlos wie ein Ohrläppchen am Ellenbogen."

Mario Kroschewski führt zudem aus: "Bei der AfD kann man sogar vermuten, dass es eher noch politisch genutzt wird, um die Opferrolle zu stärken." Er sage aber allen Mandanten, sie sollten nicht nur aus strafrechtlicher Sicht überlegen, was sie sagen. Viele Äußerungen bereiteten ein Klima, das auch die Hürde zu Gewalttaten senken könnte. Genau das war ein maßgeblicher Grund, weshalb der Paragraf 188 der Politikerbeleidigung 2021 überhaupt neu gefasst wurde.

Es war eine Reaktion auf den Mord an Walter Lübcke im Jahr 2019, gegen den es im Netz eine brutale Hasskampagne gegeben hatte. Außerdem sollten Politiker auf kommunaler Ebene stärker geschützt werden, neben Verleumdungen und Drohungen wurden deshalb Beleidigungen mitaufgenommen. Der Paragraf wurde als Instrument zum Schutz der demokratischen Strukturen beschlossen. Die AfD hingegen stellte ihn als Angriff auf die Demokratie dar, obwohl sie ihn selbst nutzt.

Weidel-Sprecher Tapp: "Auch wenn die AfD den Paragrafen der Politikerbeleidigung grundsätzlich ablehnt, wäre es töricht, wenn sich die AfD bis zur Abschaffung nicht zur Wehr setzen würde. Hier geht es auch um rechtliche Waffengleichheit.“

Dass die AfD den Paragrafen so offensiv verteufelt, führen die Anwälte aber auch als Argument an bei der Verteidigung ihrer Mandanten: "Man darf natürlich eine Rechtslage, die man ablehnt, auch nutzen. Die Frage ist dann aber, wie ernsthaft man sich betroffen fühlt", so Kroschewski. Das Handeln von AfD-Politikern widerspreche dann dem Verfolgungswillen. Die Berliner Juristin Marjola Wende: "Ich argumentiere auch, dass Äußerungen der vermeintlich Geschädigten eine konkludente, also stillschweigend-zustimmende Rücknahme des Strafantrags bedeuten. Das Argument wird durch AfD-Politiker immer gewichtiger, die ständig fordern, den Paragrafen abzuschaffen."

Vielleicht haben die drei Weidel-Anzeigen mit dem Besuch der Beamten an der Haustür im Städtchen bei Kiel deshalb auch keine weiteren Folgen gehabt: Die Staatsanwaltschaft hat sie eingestellt.

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