Anschlag von Mölln vor 25 Jahren "So etwas kann sich auch heute noch wiederholen"
Die Täter kamen im Schutz der Dunkelheit – und ließen ihren überraschten Opfern keine Chance. 25 Jahre nach den rassistischen Mordanschlägen in Mölln ist rechte Gewalt immer noch ein großes Problem.
Am Donnerstag vor 25 Jahren warfen zwei Rechtsextremisten in der schleswig-holsteinischen Provinzstadt Mölln nachts Brandsätze in zwei Häuser türkischer Mitbürger. "Es war eine heimliche und verdeckte Aktion. Rechtsextreme waren und sind im Westen viel isolierter als im Osten. Szenen wie in Rostock-Lichtenhagen, wo die Menschen den Rechten applaudierten, als sie ein Flüchtlingsheim anzündeten, gab es in Mölln nicht", sagte Extremismus-Experte Dr. Klaus Schroeder im Gespräch mit dem Nachrichtenportal t-online.de.
In einem der Häuser starben drei Menschen, darunter zwei junge Mädchen. Zum Jahrestag gedenken Hinterbliebene sowie Vertreter von Staat und Religionsgemeinschaften mit einer Kranzniederlegung der Opfer. Erwartet wird auch Bundes-Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD).
Großes Problem im Osten
Der Anschlag von Mölln war einer der Höhepunkte in einer Welle rassistischer Gewaltakte nach der deutschen Einheit. Nur wenige Monate später starben im nordrhein-westfälischen Solingen fünf türkische Menschen bei einem von Rechtsextremen verübten Attentat. Die Welt blickte geschockt auf Deutschland. "Der Rechtsextremismus in Deutschland ist heute besonders im Osten ein großes Problem. Bedrohliches Gedankengut findet sich dort oft bei jungen Männern", sagt Schröder. "Die Anschläge von Mölln waren Gewalttaten aus Hass und man kann nicht ausschließen, dass sich so etwas auch heute noch wiederholen kann."
Deshalb tut der Ort viel, damit die Anschläge nicht in Vergessenheit geraten. An der Gedenkveranstaltung am Abend nimmt auch der türkische Botschafter in Berlin teil, Ali Kemal Aydin. Auf Seiten der Angehörigen beteiligt sich nach Angaben der Stadt unter anderem Ibrahim Arslan, der damals Großmutter, Schwester und Cousine verlor und bis heute leidenschaftlich gegen Rassismus und für Opferbelange eintritt. Sein Verhältnis zu Vertretern von Politik und Stadt ist angespannt, er kritisiert sie scharf.
"AfD muss sich von rechten Dumpfbacken distanzieren"
Der Rechtsextremismus bedroht heute noch viele Menschen in Deutschland. "Die Anzahl der Gewalttaten, die vom Links- und Rechtsterrorismus ausgehen, ist ungefähr gleich. Linke Gewalttaten sind häufig viel durchdachter und besser geplant. Aber durch Rechtsextremismus gab es in den letzten 25 Jahren viel mehr Todesopfer als durch den Linksextremismus", so Schröder. Infolge der Flüchtlingskrise ist die Anzahl rechter Gewalttaten wieder gestiegen. Hier müsse man laut Schröder aber vorsichtig mit der Definition sein: "Die Polizei zählt es als Sprengstoffanschlag, wenn ein betrunkener Rechtsextremer einen Feuerwerkskörper auf ein Flüchtlingsheim wirft."
Während die rechten Gewalttaten anstiegen, gingen die Angriffe auf Asylunterkünfte 2016 leicht zurück. Die Polizei meldet 995 Delikte, im Jahr zuvor waren es 1031. Dafür sei laut Schröder auch das harte Durchgreifen der Polizei verantwortlich. Die Verantwortung für die rechte Gewalt sieht der Extremismusexperte auch bei Politik und den Medien. "Wir müssen genauer differenzieren. Nicht jeder AfD-Wähler ist rechtsextrem, auch wenn es diese in der Partei durchaus gibt", sagt Schröder. "Die AfD muss sich mehr von den rechten Dumpfbacken distanzieren." Die Medien würden dagegen beispielsweise die Kriminalität von Zuwanderung verharmlosen und nicht breit thematisieren, was zu Unsicherheit in der Bevölkerung führe.
Bilder von damals weiterhin präsent
In Mölln hat sich die Geschichte der rechtsextremen Anschlägen im Stadtbild eingeprägt. Noch heute gibt es das Gebäude in der Mühlenstraße – in der kleinen Stadt unweit von Lübeck heißt es schlicht "das Brandhaus". Der niedrige mehrstöckige Altbau in der Altstadt wurde nach den Ereignissen wieder aufgebaut, er trägt jetzt den Namen von Bahide Arslan. Die Großmutter von Ibrahim starb damals im Alter von 51 Jahren, ebenso wie seine zehnjährige Schwester Yeliz und seine 14 Jahre alte Cousine Ayse Yilmaz.
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Eine Gedenktafel und eine Kunstinstallation an der Fassade erinnern heute an die Geschehnisse, am Donnerstag wird dort ein Kranz niedergelegt. Damals schockierten die Bilder der qualmenden Ruine das ganze Land. Für Möllns Bürger sind sie auch ein Vierteljahrhundert später noch präsent. Es seien Ereignisse, die "das Leben unserer Stadt damals grundlegend erschütterten", heißt es im Grußwort der Stadt zum Jahrestag.
Ausländer lebten in Angst
Die Täter wurden einige Tage nach dem Anschlag festgenommen, die Bundesanwaltschaft übernahm den Fall. Die zur Tatzeit 25- und 19-jährigen Neonazis aus Mölln und dem nahe gelegenen Gudow wurden wegen Mordes und Mordversuchs zu lebenslänglich und zehn Jahren Jugendhaft verurteilt. In jener Nacht fuhren sie mit einem Auto umher und warfen gezielt Molotowcocktails in von Ausländern bewohnte Häuser. Der Ältere bekannte sich per Telefon mit "Heil Hitler"-Rufen bei der Polizei zu den Taten.
Damals stürzten das Attentat von Mölln und die vorangegangenen Ausschreitungen eines rechten Mobs in Rostock das Land in eine tiefe Verunsicherung. Die Ereignisse, die von einer Debatte über den Zuzug von Asylbewerbern überschattet wurde, ließen viele Migranten in der Bundesrepublik in großer Angst leben.
"Wollen nicht, dass es nochmal passiert"
Ähnlich wie nach Aufdeckung der Mordserie des NSU-Trios gerieten Politik und die Sicherheitsbehörden massiv in die Kritik. Viele Deutsche waren fassungslos, vielerorts wurden Demonstrationen und Lichterketten zum Symbol des Widerstands gegen Rassismus. Auch im Ausland waren kurz nach der Einheit die Sorgen groß, dass das größere und mächtigere Deutschland die Gespenster seiner düsteren NS-Vergangenheit nicht los wird.
25 Jahre nach dem fatalen Brandnacht haben die Täter von Mölln ihre Haftstrafen inzwischen verbüßt. Ibrahim Arslan und die anderen Überlebenden aber lassen die damaligen Erlebnisse nicht los. "Es ist für einen Überlebenden so, als wenn der Tag wieder jeden Tag neu geschieht", sagte der heute 32-Jährige kürzlich dem Sender Deutschlandfunk Kultur. "Und weil wir nicht wollen, dass das noch mal passiert, sind wir jedes Jahr in Mölln."