Richterwahl-Debakel Deutliche Kritik aus der SPD an Spahn

Jens Spahn betont nach dem Richterwahl-Fiasko das stabile Bündnis mit der SPD. Doch vom Koalitionsparter kommen erste kritische Stimmen.
Unionsfraktionschef Jens Spahn hat nach dem vorläufigen Scheitern der Richterwahl im Bundestag das Interesse der Union an einem stabilen Bündnis mit dem Koalitionspartner SPD hervorgehoben. Man habe in den vergangenen Wochen Stabilität gezeigt, sagte der CDU-Politiker nach Angaben von Teilnehmern in einer Sondersitzung der Unionsfraktion. Doch seine Rolle in der Richterwahl sorgt für Kritik, auch in der SPD.
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Zuvor hatte der Bundestag beschlossen, alle drei für Freitag geplanten Wahlen von Richtern für das Bundesverfassungsgericht von der Tagesordnung abzusetzen. Spahn wurde mit den Worten zitiert: "Das bleibt der Auftrag." Doch mit seiner Zuversicht stand der CDU-Politiker, der im Moment auch wegen der Masken-Affäre in seiner Zeit als Gesundheitsminister Ärger hat, weitgehend allein da.
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SPD-Fraktionsmanager Dirk Wiese hat Zweifel an der Autorität des Unionsfraktionsvorsitzenden Jens Spahn in den eigenen Reihen geäußert. "Der heutige Tag lässt bei mir ernsthaft Sorge über Jens Spahns Durchsetzungskraft in der eigenen Fraktion aufkommen", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion dem "Stern". "Die Union hatte uns grünes Licht für die heutige Wahl gegeben und es gab – bis heute Morgen – keinerlei Anzeichen dafür, dass die Union als Ganzes Abstand von der Wahl nimmt", sagte der Sozialdemokrat. "Wir hatten eine feste Verabredung."
Wegen massiven Widerstands in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf wurden die Abstimmungen über die insgesamt drei Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Wie es nun weitergeht, ist offen.
SPD will Juristin zu Unions-Fraktion schicken
Die SPD will an ihrer Kandidatin festhalten. Am Freitagabend gab es nach Informationen des Tagesspiegel eine virtuelle Krisensiztung bei den Sozialdemokraten. Offenbar wird erwogen, ob der Bundestag zu einer Sondersitzung im August zusammenkommen soll. Im Streit um die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht will die SPD auf die Union zugehen und ihre Kandidatin vor der CDU/CSU-Fraktion auftreten lassen. Dies geht aus einem Vorabbericht der "Bild am Sonntag" hervor. Die Juristin würde sich persönlich den Fragen der Abgeordneten stellen, um deren Bedenken auszuräumen, berichtet die "Bild am Sonntag" vorab.
Richterwahl-Fiasko: Harsche Kritik an Jens Spahn
"Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben", warf Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann dem im Plenum vor ihr sitzenden CDU/CSU-Fraktionschef vor. Wenn Spahn keine Mehrheiten für Brosius-Gersdorf herstellen könne, sei er als Unionsfraktionschef "gescheitert und ungeeignet, das Amt noch weiter auszuführen". Der ließ regungslos auch die wütenden Angriffe von AfD und Linke über sich ergehen. Aber die für Spahn gefährlichste Ansage kam vom Koalitionspartner SPD.
"Wir als SPD haben in den vergangenen Wochen bei wirklich schwierigen Entscheidungen, die unsere ganze Fraktion sich verdammt schwergemacht hat, gestanden", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, und spielte etwa auf die Zustimmung der Sozialdemokraten zum umstrittenen Aus für den Familiennachzug für eingeschränkt Schutzberechtigte an.
Und Wiese fügte mit einem warnenden Unterton an die Union hinzu: "Ich erwarte zukünftig, dass bei solchen schwierigen Entscheidungen auch andere stehen."
Peter Müller, früherer Ministerpräsident des Saarlandes und von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht, hat das Scheitern der Wahl von neuen Verfassungsrichtern im Bundestag am Freitag scharf kritisiert und es Unions-Fraktionschef Jens Spahn angelastet. "So etwas darf nicht passieren", sagte Müller im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung": "Dies ist ein eklatantes Führungsversagen der Union."
Ihm mache es Sorge, so der frühere CDU-Politiker und Richter, "dass die politische Mitte in Deutschland nur noch begrenzt handlungsfähig ist". Dass es Vorbehalte gegen Personalvorschläge für Karlsruhe gebe, sei zwar "nichts Neues", sagte der 69-jährige Müller: "Nur: Bisher wurde das im Vorfeld geklärt." Man könne doch nicht der SPD zusagen, die Wahl einer Richterkandidatin mitzutragen, so Müller, "um später festzustellen, dass die notwendigen Mehrheiten in der eigenen Fraktion dafür nicht vorhanden sind".
Will Spahn die Unionsfraktion auf rechts drehen?
Tatsächlich hatten Spahn und auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann beim Thema Richterwahl nicht – wie zunächst angedeutet – liefern können. Erst hatten sie den Nominierungen der SPD zugestimmt und noch Anfang der Woche Mehrheiten signalisiert. Am Freitag mussten sie dann aber einräumen, dass ihre Fraktion in erheblichen Teilen nicht hinter ihnen steht.
Schlimmer noch: Bei den Sozialdemokraten wächst angesichts der Unionsbehauptung, dass Plagiatsvorwürfe gegen die nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf laut geworden seien, wieder das Misstrauen, dass Spahn seine Fraktion in eine rechtspopulistische Ecke steuern will. Zumal der "Plagiatsjäger" Stefan Weber es wenig später falsch nannte, dass er solche Vorwürfe erhoben habe.
So hatte es bereits Kritik an Spahns Äußerungen über den Umgang mit der AfD und die Maskenaffäre gegeben. Spahn hat auch mit Unmut in der Fraktion über die hohe Schuldenaufnahme zu kämpfen. Kein Wunder, dass die in Umfragen schlecht dastehende SPD die Chance nutzt und wie SPD-Co-Chef Lars Klingbeil "Führung und Verantwortung" anmahnt.
Union gibt SPD Mitschuld
In der Union wiederum gibt man aber auch der SPD-Fraktionsführung eine Mitschuld. Denn man habe die Kritiker in den eigenen Reihen zunächst mit dem Hinweis besänftigen können, dass Frauke Brosius-Gersdorf keine Vizepräsidentin in Karlsruhe werde, sagte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Steffen Bilger.
Aber sowohl Wiese als auch SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hätten diese Zusicherung in dieser Woche wieder relativiert, beklagte die Union. Dies habe den Nährboden für eine Ablehnung von Brosius-Gersdorf geschaffen. Auf jeden Fall gilt es als wenig glückliche Entscheidung beider Fraktionsführungen, die Abstimmung überhaupt zu einem Zeitpunkt anzusetzen, an dem über Erfolge der Regierung gesprochen werden sollte.
Nun gehört es zur Tradition selbstbewusster Fraktionen, dass es immer wieder Momente gibt, in denen die Abgeordneten der Fraktionsführung einmal nicht folgen. Aber die erst kurze Geschichte dieses schwarz-roten Bündnisses kennt bereits die im ersten Wahlgang gescheiterte Kanzlerwahl. Mutmaßliche SPD-Abweichler ließen dabei den damaligen Fraktionschef Klingbeil schlecht aussehen. Seit dem SPD-Parteitag muss der Vizekanzler und Co-Parteichef zudem gegen den Eindruck kämpfen, dass seine Partei nur begrenzt hinter ihm steht. Auch das ist kein Zeichen der Stärke.
Richterwahl-Fiasko erinnert an Ampel-Chaos
Ohnehin sind die Autoritätsprobleme nicht auf die Regierungsfraktionen beschränkt. Mächtige Ministerpräsidenten machen Kanzler und Vizekanzler ganz offen dafür verantwortlich, bei den Beschlüssen über die Stromsteuer dafür gesorgt zu haben dass tagelang nicht über Entlastungen gesprochen wurde, sondern vor allem über das berichtet wurde, was nicht kam – die Senkung der Stromsteuer auch für die Verbraucher zum 1. Januar 2026.
Noch wird vieles in der schwarz-roten Koalition als zwar ärgerlich, aber nicht regierungsentscheidend angesehen. Man sei weit von einem Ende der Regierung entfernt, über das die AfD schon orakele, heißt es in beiden Koalitionslagern übereinstimmend.
Aber erste Erinnerungen an die Ampel werden wach: Es ist der Eindruck entstanden, dass das Gespür für Stimmungslagen in den eigenen Reihen und die Wirkung politischer Beschlüsse in der Öffentlichkeit auch fehlt. Möglicherweise wird Kanzler Merz deshalb künftig weniger häufig betonen, dass sein Kabinett bis auf wenige Ausnahmen aus Newcomern bestehe. Die können zwar für frischen Wind sorgen – bringen aber eben auch eine Menge mangelnder Erfahrung mit den Tücken des alltäglichen Regierungsgeschäfts mit.
- Nachrichtenagenturen Reuters und dpa