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Corona-Krise: Kanzlerin Merkel lässt die Frauen im Stich


Corona-Krise
Kanzlerin Merkel lässt die Frauen im Stich

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 14.05.2020Lesedauer: 6 Min.
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Angela Merkel verlässt den Bundestag: Die Kanzlerin hat anscheinend keinen Plan, wie der drohende Rückfall in traditionelle Rollenverteilungen aufgehalten werden kann, findet t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel verlässt den Bundestag: Die Kanzlerin hat anscheinend keinen Plan, wie der drohende Rückfall in traditionelle Rollenverteilungen aufgehalten werden kann, findet t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Frauen werden durch die Corona-Krise zurück in traditionelle Rollen gedrängt. Die Kanzlerin schweigt das Problem weg. Zeit, laut zu werden.

Erinnern Sie sich noch an Renate? "So jetzt aber Tempo! Bald wird Peter da sein, mit einem Bärenhunger. Sie wissen ja, eine Frau hat zwei Lebensfragen: 'Was soll ich anziehen?' und: 'Was soll ich kochen?'" Die Renate aus der Dr.-Oetker-Werbung wusste schon gleich nach ihrer Heirat, was sich gehört, denn "wer da aber nun glaubt, dass eine Frau sich auf ihren Lorbeeren ausruhen kann – ha! – der irrt sich ganz gewaltig. Im Gegenteil. Ein Mann will täglich aufs Neue gewonnen sein!", und schließlich heißt es ja: "Backen macht Freude! Eigentlich hat Sie es ja viel besser als Er: Sie d-a-r-f backen."

Mir kommen solche 50er-Jahre-Werbespots derzeit häufiger in den Sinn, weil das Coronavirus nicht nur unsere Gesundheit und Wirtschaft gefährdet, sondern auch den mühsam errungenen feministisch-empanzipatorischen Fortschritt. Es drängt uns Frauen, die wir einen Großteil der Corona-Krise im Sozialen tragen, zunehmend zurück ins Privatleben – und das obwohl wir eine Frau an der Regierungsspitze haben.

Rückfall in traditionelle Rollenverteilungen

Bei der Befragung von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag am Mittwoch konnte einem angst und bange werden, denn die Kanzlerin hat anscheinend keinen Plan, um den drohenden Rückfall in traditionelle Rollenverteilungen aufzuhalten. Das liegt daran, dass sie die Gefahr nicht einmal erkennt. Die Frage dazu von der frauenpolitschen Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, beantwortete sie mit einem schwammigen Hinweis darauf, das "wir eigentlich noch gar nicht so lange einen Rechtsanspruch zum Beispiel auf einen Kitaplatz haben", der eine "ganz, ganz wichtige Sache und glücklicherweise auch eine sehr, sehr gut angenommen Sache" ist. Sie werde sich "mit aller Kraft" dafür einsetzen, dass wir "keine Retraditionalisierung etwa bekommen", sondern einen Weg der gleichen Chancen für Männer und Frauen. "Mich spornt das an".

Hm. Das ist nicht nur phrasenhaft und inhaltslos, sie muss zwischendurch auch noch einwerfen, dass es übrigens auch viele Väter gebe, die sich mit dem Homeschooling beschäftigt hätten und "nicht nur Mütter"; als hätte das jemand bestritten. Wobei sie zustimme, dass wenn man die Summe der Stunden nehme, "wahrscheinlich die Mütter in sehr viel stärkerem Maße belastet sind". Wahrscheinlich? Ja, was denn sonst? Für die Erkenntnis braucht es im Grunde noch nicht einmal Studien.

Es folgte ein Hinweis der Kanzlerin auf die Koalition, die sich vorgenommen habe, etwas für den geplanten "Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter" zu tun. "All diese Dinge müssen fortgesetzt werden." Prima. Nur hilft das den Frauen in der jetzigen Krise kein Stück. Zudem sei man froh, so Angela Merkel weiter, über den beschlossenen Ausbau der Notbetreuung in Kitas. "Und wir werden das natürlich sehr genau beobachten." Na, dann ist ja alles gut. Zum nächsten Thema.

Streit- und Konfliktpotenzial steigt

Weil die Kanzlerin mit solchen Fragen offenkundig wenig anfangen kann, ist auch im Corona-Kabinett nach wie vor kein Platz für Familien- und Frauenministerin Franziska Giffey. "Ich sehe da überhaupt keinen Nachholbedarf", betonte die Regierungschefin. Die Familienministerin sei zwar nicht im Kernkabinett, aber doch im "erweiterten Corona-Kabinett" und könne sich auch sonst durchaus bei ihr und darüber hinaus Gehör verschaffen. Aha.

Folgt dann daraus, dass Annegret Kramp-Karrenbauer das nicht kann? Gehört sie deshalb als Verteidigungsministerin ins Kern-Coronakabinett? Oder nur damit die Panzerhaubitze 2.000 und das Gewehr G27 keinen Husten und Schnupfen bekommen?

Frauen sind entweder als Pflegerinnen oder Lebensmittel-Verkäuferinnen systemrelevant und/oder sie sind zu Hause und kümmern sich um das Essen des Siebenjährigen, die Matheaufgaben der Zehnjährigen und die Thrombosespritze der Oma. Weil alle nun länger zu Hause sind, kommt zusätzliches Waschen, Putzen, Kochen und Einkaufen dazu – neben dem Homeoffice, versteht sich.

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So steigt das Streit- und Konfliktpotenzial. Großeltern und andere sind aus virologischen Gründen aus der Kinderbetreuung raus, Kinder dürfen jetzt zwar fast überall wieder zu Schule gehen, aber oft nur einmal pro Woche für 90 Minuten. Eine Entlastung von Frauen war bei dieser Entscheidung definitiv nicht das Ziel.

Weniger Fachbeiträge von Frauen

Neueste Untersuchungen zeigen bereits, dass solche unbezahlten Aufgaben in der Corona-Krise vor allem von Frauen übernommen werden. Angesichts der Sozialstruktur unserer Arbeitswelt und der nach wie vor verbreiteten Geschlechterstereotype kann einen das kaum verwundern. Schon vor der Corona-Krise war klar, dass Frauen deutlich mehr Sorgearbeit leisten als Männer. Selbst wenn viele Männer längst bereit sind, Hausarbeit zu machen, öffnet sich dieser "Gender Care Gap" nun.

Aber man muss nicht klischeehaft auf die Situationen im Haushalt gucken, denn auch der "Gender Publication Gap" zum Beispiel scheint sich zu öffnen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachten bereits, dass in der Corona-Krise weniger Frauen Fachbeiträge publizieren.

Einen interessanten Thread dazu auf Twitter hat der Volkswirtschaftler Rasmus Corlin Christensen verfasst.

Aber wie soll das auch gehen? Nachts statt zu schlafen Beiträge schreiben? "Seit Covid-19 meine Uni am 12. März geschlossen hat, habe ich mehr Sonnenaufgänge erlebt als in meinem ganzen vorherigen Leben", schrieb die Statistikerin und Mutter eines Zweijährigen, Alessandra Minello, für einen lesenswerten Erfahrungsbericht im Fachmagazin "Nature"."Jetzt muss ich vor Tagesanbruch bei der Arbeit sein. Stille und Konzentration sind für mein Denken und Lehren von entscheidender Bedeutung." Noch ein Lesetipp: Die Wirtschaftswissenschaftlerin Olga Shurchkov bloggte auf medium.com: "Zwischen Imbiss und Wutanfällen notiere ich nun rasch Forschungsideen, lese, schreibe Berichte, während ich mein Kind schlechten Gewissens an ein weiteres Gerät setze, und führe Videokonferenzen durch, die von unerwarteten Besuchern gecrasht werden."

Finanzielle Hilfen zur Erziehung?

Wenn unsere Bundesregierung ungeachtet all dessen nun eine Silencing-Strategie gegenüber den Frauen fährt – also sich zum Thema ausschweigt und dieses herunterspielt, wie Angela Merkel – dann können Frauen durchaus in Panik geraten, wenn sie es noch nicht längst sind, und endlich aufbegehren. Das gilt verstärkt für Frauen, die Alleinerziehende sind.

Seit kurzem haben auch sie vielfach einen Anspruch auf Notfallbetreuung ihrer Kinder – unabhängig davon, ob sie in systemrelevanten Berufen arbeiten oder nicht. Aber so ein Anspruch ist bundesweit und ohne Einschränkung nötig. Er hätte von Anbeginn der Krise an gelten sollen. Doch offenbar musste der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) erst eine Petition starten, damit etwas passiert. Warum? Vielleicht weil die Familienministerin nicht im Corona-Kernkabinett ist? Nur so ein Gedanke.

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Wie wäre es mit einem Betreuungsgeld?! Finanzielle Hilfen zur Erziehung könnten einigen Frauen und ihren Familien einen Weg aus familiären Krisen bieten. Der Staat zahlt monatlich eine gewisse Summe, mit der Kinderbetreuung oder Nachhilfeunterricht organisiert werden können. Studierende, Senioren oder andere auf der Suche nach Minijobs stünden dafür bereit. Gewiss löst das nicht die Probleme aller Frauen – aber vielleicht ist es ein konkreter Anfang.

"Gute Konjunkturmaßnahmen"

Langfristig muss es zu einem grundsätzlichen Umdenken kommen. Und anders als für die Coronavirus-Pandemie gibt es für diese Fragen bereits Erfahrungswerte. Schon nach der Finanzkrise und den diesbezüglich aufgelegten Konjunkturprogrammen wurde deutlich gemacht, wie sinnvoll und effektiv eine gendergerechte Gestaltung der Maßnahmen wäre.

Mara Kuhl etwa hat im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung schon 2012 Vorschläge zur gleichstellungspolitischen Qualität von Konjunkturpolitik erarbeitet. Liest man ihre Analyse, macht die Politik gerade wieder dieselben Fehler. "Gute Konjunkturmaßnahmen", schreibt sie, "berücksichtigen die geschlechtliche Struktur bei Zielgruppen und Adressaten und in den geförderten Wirtschaftssektoren. Sie erhalten die Handlungsfähigkeit des Staates und sichern die öffentliche Infrastruktur." Unter anderem schlägt sie vor, die Entscheidungszirkel ausgewogen für Frauen und Expert*innen mit Genderkompetenz zu öffnen.

Damit sind wir wieder beim Corona-Kabinett und dem Versagen der Bundesregierung an dieser Stelle. Solange Politikerinnen und Politiker sowie moderne Männer und Frauen nicht wesentlich lautstärkere Maßnahmen gegen solche Defizite einfordern, werden auch in den Krisen, die da noch kommen werden, immer wieder dieselben Fehler gemacht werden.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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