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Missbrauchsskandale immer größer: Wo steht die katholische Kirche derzeit?


Missbrauchsskandale immer größer
Kirche am Pranger

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

11.02.2021Lesedauer: 6 Min.
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Vom Kölner Amtsgericht heißt es, Termine für einen Kirchenaustritt seien mittlerweile bis Mai vollständig ausgebucht.Vergrößern des Bildes
Vom Kölner Amtsgericht heißt es, Termine für einen Kirchenaustritt seien mittlerweile bis Mai vollständig ausgebucht. (Quelle: IMAGO / Future Image/t-online)

Hat Kardinal Woelki aus Köln einen Missbrauch verschwiegen? Und wo steht die katholische Kirche derzeit? Kolumnistin Lamya Kaddor findet klare Antworten.

Wenn die katholische Kirche zum Thema der ZDF-"heute show" wird, sollten die geweihten Häupter ganz rasch ganz tief in sich gehen. Die Kirche ist zwar für viele Menschen weiterhin wichtig, im deutschen Alltag kommt sie aber fast nur noch ritualisiert zu festlichen Anlässen vor. Wenn sich dem nun ausgerechnet Oli Welke annimmt, dann kann es um nichts Gutes gehen, dann wird die Kirche, die hierzulande unter dem zunehmenden Druck der säkularisierten Gesellschaft steht, weiter in die Enge gedrängt.

Historiker wie der Augsburger Martin Kaufhold befürchten bereits, in wenigen Jahrzehnten könne die katholische Kirche als Institution in Deutschland am Ende sein, wenn sich nichts ändere. Vom Kölner Amtsgericht heißt es, Termine für einen Kirchenaustritt seien mittlerweile bis Mai vollständig ausgebucht.

Blanker Hass aus völkischen Kreisen

Die Verachtung für die katholische wie für die evangelische Kirche kommt gegenwärtig stark aus der Ecke des Antihumanismus. Das Eintreten für Geflüchtete schürt vor allem in völkischen Kreisen teils blanken Hass. "Christus sitzt mit im Flüchtlingsboot", lehrt der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki. Im Mai 2016 ließ er in einer aufsehenerregenden Aktion eine sieben Meter lange Holz-Schaluppe von Malta nach Köln holen, um für Solidarität mit Menschen zu werben, die auf lebensgefährlichen Routen unter anderem damit über das Mittelmeer ihrer Heimat entfliehen.

In die abgrundtief falsche Agitation gegen diese Menschlichkeit mischt sich die berechtigte Abscheu über die Fälle von sexuellem Missbrauch durch Pfarrer. Hinzu kommt der Zorn über die Versuche von Kirchenoberen, die Aufklärung solcher Verbrechen zu verzögern, zu verschleppen, zu vertuschen. Und darüber legt sich dann noch teils bodenlose Arroganz und Impertinenz. Der bisherige Tiefpunkt war im Kölner Erzbistum erreicht, als der dortige Weihbischof Ansgar Puff ausgerechnet den nationalsozialistischen Propagandaminister Josef Goebbels namentlich zitiert, um seine Kirche zu verteidigen und Kritikerinnen und Kritiker zu desavouieren.

"Gottes Werk und Teufels Beischlaf"

In Köln kommt unter den Augen von Kardinal Woelki gerade alles zusammen, sodass die "heute show" Sprüche texten kann wie: "Gottes Werk und Teufels Beischlaf“. Doch es geht in Köln zuallererst nicht um die Kirche. Es geht nicht um den Weihbischof, nicht um Priester und nicht um den Kardinal. Zuallererst geht es um das Leid von Kindern, von schutzbedürftigen Geschöpfen, deren Wehr- und Arglosigkeit durch erwachsene Männer ausgenutzt wird, die rücksichtslos danach trachten, ihren sexuellen Trieben nachzugehen. Das geht mir in den Debatten allzu oft unter.

Einer dieser erwachsenen Männer, ein Düsseldorfer Pfarrer, der sich in den 70er-Jahren an einem Kindergartenkind vergangen hatte, stand bis zu seinem Tod 2017 im hohen Alter von fast 90 Jahren dem heutigen Kardinal Woelki persönlich sehr nahe. Die Düsseldorfer Gemeinde selbst spricht von einer "langen Freundschaft", die beide verbunden hatte.

Wie nah standen sich Woelki und der Pfarrer?

Der junge Rainer Woelki sammelte in dessen Umgebung seine ersten Erfahrungen im kirchlichen Dienst. Als er die kirchliche Karriereleiter erklomm, unterstützte er den Pfarrer, 2012 begleitete der ihn wiederum zur Kardinalserhebung in den Vatikan. Man kann sich also vorstellen, dass der Mensch Rainer Woelki diesen Mann anders kennengelernt hat und deswegen vielleicht Hemmungen hatte, mit der gebotenen Härte seines Amts gegen ihn vorzugehen, wie es ihm zum Vorwurf gemacht wird. Menschlich ist das nachvollziehbar. Doch hier hat vor allem ein Kind gelitten. In der katholischen Kirche, die sich als moralische Instanz begreift, muss das immer gewichtiger sein als jedwede andere Überlegung.

Das Leid von Kindern als Opfer sexualisierter Gewalt, unter der diese ein Leben lang leiden werden, kann nichts aufwiegen. Nichts kann die Zerstörung einer unschuldigen Seele ungeschehen machen. "Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm", heißt es in der Bibel im Buch 1. Korinther Kapitel 12 Vers 27. Ich bin bekanntlich keine Christin, aber ich verstehe das so: Wer einem Menschen Schaden zufügt, beschädigt den Leib des Sohnes Gottes. Sollte ich mich irren, bitte ich um freundliche Hinweise.


Pfarrern, die pädophil sind, sieht man ihre Neigungen nicht an. Sie sind oftmals freundliche und zuvorkommende Menschen, die sich rührend um die Belange von Kindern wie Erwachsenen und Senioren kümmern. Entsprechend geschockt und sprachlos sind Gemeindemitglieder, wenn deren Untaten dann herauskommen. "Was? Der? Kann nicht sein!" Viele pädophile Menschen leiden selbst schwer unter ihrem inneren Drang. Doch das kann niemals Grund sein, ihnen gegenüber rechtlich Nachsicht walten zu lassen, wenn sie ihren Drang ausleben. Ethik und Moral sind da eindeutig.

Woelki: "Verantwortung werde ich auch mir abverlangen"

Das muss auch ein Kardinal Woelki begreifen. Sollte er daran weiterhin zweifeln, wäre es wohl besser, er nähme sich bei seinen bereits verlautbarten Erwägungen selbst ernst, und träte – wenn auch schweren Herzens – den Rückzug an. "Die Übernahme von Verantwortung, die ich von allen anderen verlange, werde ich auch mir abverlangen", sagte er der "Rheinischen Post". Mit einem Rückzug ließen sich nicht nur die Beschädigungen an seiner eigenen Seele stoppen, sondern auch die an der katholischen Kirche und letztlich an der Religion insgesamt. Der Fall hat einfach Ausmaße angenommen, die ein Mensch nicht bewältigen kann. Die eigenen Gläubigen glauben ihm kein Wort mehr, der Diözesanrat verweigert die Zusammenarbeit mit ihm – wie will ein Erzbischof so sein Amt ausfüllen?

Institution kann Leid der Kinder nicht untergeordnet werden

Distanziertere Kirchenleute wenden oft ein, es gehe um das große Ganze, um die Kirche als heilige Institution. Doch das Beschützen einer – Glaube hin, Glaube her – letztlich von Menschenhand geschaffenen Institution kann ebenso wenig dem Leid von Kindern untergeordnet werden. Zumal all das Bemühen um den Schutz der Kirche und die Bewahrung ihrer Autorität in der Missbrauchskrise seit zehn Jahren scheitert – wie unter anderem die andauernden Kirchenaustritte vermuten lassen.

Religiöse Organisationen müssen heute und in Zukunft um Zustimmung bei den Menschen werben. Sie fällt ihnen nicht mehr automatisch in den Schoß wie in den tausenden Jahren zuvor. Grundvoraussetzung für dieses Werben ist Authentizität. Damit kann es nicht weit her sein, wenn Kirchenvertreter wie in Köln sonntags schonungslose Aufklärung predigen, und sich werktags querstellen.

Missbrauch vier Jahre nicht gemeldet?

Kardinal Woelki hält seit Herbst das Gutachten einer renommierten Anwaltskanzlei zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Köln mit wenig überzeugenden Argumenten zurück. Die "Bild"-Zeitung behauptete Anfang der Woche, es gäbe einen weiteren Fall von sexueller Gewalt an Kindern durch einen Priester, der unter der Verantwortung von Kardinal Woelki erst vier Jahre nach dem Geständnis des Täters zur Anzeige gebracht worden sei; das Erzbistum widerspricht allerdings. Der Vatikan mag dem Kardinal diese Woche bescheinigt haben, dass er im Fall seines väterlichen Freunds in Düsseldorf keine Pflichtverletzung begangen habe. Doch selbst wenn das aus kirchenrechtlicher Sicht objektiv und korrekt beschieden worden wäre, hätte dem Vatikan klar sein können, dass das weder als objektiv noch als korrekt aufgefasst würde. Über sich selbst zu Gericht zu sitzen, ist selten überzeugend. Prompt sprach der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller im "Kölner Stadt-Anzeiger" von "Willkürjustiz".

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Das Drama um das Kölner Erzbistum wurzelt in einem problematischen Selbstverständnis innerhalb von Religionen allgemein. Die katholische Kirche wie Vertreterinnen und Vertreter anderer Glaubensrichtungen haben mit der Muttermilch aufgesogen, dass sie eine moralische Instanz sind. Bei der katholischen Kirche kommt explizit das Erbe des Unfehlbarkeitsdogmas hinzu, während es bei anderen religiösen Organisationen implizit kaum anders ist. Vertreterinnen und Vertreter von Religionen wähnen sich gerne als besondere Menschen, die andere überragen.

Ausmaß des Falls betrifft nicht nur Kirche

Doch das stimmt nicht. Menschen sind und bleiben Menschen, die Fehler haben und zum Teil schlimme Verbrechen begehen. Ob Priester, Pfarrerinnen, Rabbiner, Imaminnen oder andere FunktionsträgerInnen des Glaubens, sie alle erfüllen bloß Aufgaben – wichtige zwar, aber keine entrückten.

Der Fall Köln hat nach mehreren Monaten solche Ausmaße angenommen, dass er nicht mehr nur die katholische Kirche betrifft. Er belastet Religionen inzwischen generell, indem er das wachsende Misstrauen gegen alles Religiöse nährt. "Religionen sind die Geißel der Menschheit", kommentieren die einen die Vorgänge in Köln im Netz, die anderen meinen: "Religionen sind überbewertet".

Religionsvertreterinnen und -vertreter haben in der Geschichte vieles falsch gemacht. Aber bei Weitem nicht alles. Religionen leisten für gläubige Menschen unermesslich viel Gutes. Das muss nicht jeder nachvollziehen können, aber in einer diversen Gesellschaft sollte das jeder respektieren. Um das Gute zu bewahren, ist es jetzt vorrangig, den Fall Köln zügig abzuräumen, sprich: zu klären! Da er aber bei Weitem nicht die einzige Baustelle innerhalb von Religionen ist, ist die katholische Kirche nicht allein zum Handeln aufgefordert. Der Fall Köln sollte Mahnung für alle Religionsgemeinschaften sein, für Ordnung in den eigenen Reihen zu sorgen und Schaden von Menschen abzuwenden – insbesondere von den verletzlichsten.

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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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