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Angela Merkel verliert die Kontrolle – 16 Jahre sind einfach zu lang


Tagesanbruch
16 Jahre sind einfach zu lang

MeinungVon Florian Harms

08.03.2021Lesedauer: 4 Min.
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Angela Merkel gestern bei einer Videokonferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Rates.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel gestern bei einer Videokonferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Rates. (Quelle: John Thys/Pool AFP/dpa-bilder)

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Alles hat seine Zeit. Und wenn die Zeit abgelaufen ist, aber etwas geht trotzdem weiter, dann wird es zum Hindernis. Angela Merkel hatte im Winter 2019 ihre besten Jahre als Bundeskanzlerin schon lange hinter sich. Sie mühte sich mehr schlecht als recht durch den Regierungsalltag, verwaltete mehr als dass sie gestaltete, geizte mit neuen Ideen, bremste Nachwuchskräfte aus. Im Berliner Regierungsviertel war vom "Dornröschenschlaf" die Rede, und das Bild war nicht vorteilhaft gemeint: Die Chefin verbarrikadierte sich in ihrem Kanzleramt wie hinter hohen Hecken und dämmerte ihrem politischen Abgang entgegen. Den Klimaschutz versäumt, die Energiewende vermurkst, die Digitalisierung vertrödelt, die Konflikte in Nahost und Nordafrika nicht ernst genug genommen, zu wenig Impulse für eine Lösung des Migrationsproblems, die Liste der Versäumnisse wurde immer länger.

Dann kam Corona, und die Kanzlerin erwachte zu neuem Leben. Sie erkannte die Gefahr der Viruskrise früh, sie handelte schnell und entschlossen, und die Bürger dankten es ihr mit großer Gefolgschaft. Von Deutschland als "Pandemie-Weltmeister" war bald die Rede, selten hat sich eine Bundesregierung so großer Zustimmung erfreut wie damals. Leider verloren Merkel und ihre Minister, die Ministerpräsidenten und Staatskanzleichefs in den folgenden Monaten die Kontrolle über die Seuche, sie konzentrierten sich aufs Beschränken und Verbieten und vergaßen darüber das Gestalten und Ermöglichen. Das Ergebnis erleben wir jetzt, Sie sehen es ja jeden Tag in den Nachrichten: schleppende Impfungen, fehlende Tests, nicht ausgezahlte Staatshilfen. Von einem "Versagen made in Germany" schreibt mein Kollege Sven Böll in seinem gepfefferten Kommentar.

Wie konnte es so weit kommen? Hier im Tagesanbruch, aber auch in anderen Leitartikeln ist dieser Frage viel Raum gewidmet worden, und es gibt bestimmt mehr als nur eine Erklärung. Eine davon hat mit der Zeit zu tun. Genauer gesagt: mit abgelaufener Zeit.

Wer ein Regierungsamt bekleidet, muss über besondere Fähigkeiten verfügen: Machtwillen, politischen Instinkt, Ausdauer, eine stabile Gesundheit, fähige Mitarbeiter, manchmal auch Kaltschnäuzigkeit. All das und noch mehr hilft dabei, am Ruder zu bleiben und politisch gestalten zu können. Auch viele Jahre lang. Aber niemand, auch nicht der fähigste Mensch, kann 16 Jahre lang ununterbrochen Höchstleistung erbringen. Jeder wird nach so langer Zeit uninspiriert, antriebslos, träge. Das kann man niemandem vorwerfen, das ist menschlich.

Aber was man jemandem vorwerfen kann: Wenn er oder sie sich zu lange an die Macht klammert und den Moment verpasst, wann es Zeit ist zu gehen. Das ist Angela Merkels Problem, und nach dem politischen Höhenflug im ersten Corona-Jahr wird dieser Fehler nun brutal sichtbar. Die deutsche Bundeskanzlerin hat die Lage nicht mehr Griff, und das ganze Land trägt Schaden davon.

Sicher, nicht jeder Fehler im vermasselten Corona-Krisenmanagement ist der Kanzlerin anzulasten. Aber sie steht an der Spitze, sie gibt den Takt vor, Föderalismus hin oder her. Wer nicht mehr die Energie und die Autorität besitzt, in einer historischen Krise die widerstreitenden politischen Lager zu vereinen, der Bürokratie Beine zu machen und eitle Minister aufs Machen statt aufs Schaulaufen einzuschwören, der ist am falschen Platz. Dessen Zeit ist überreif. Der wird zum Hindernis. Und dieses Hindernis für eine kraftvolle Politik wird mit jedem Tag größer, den es noch bis zur Bundestagswahl am 26. September dauert, wenn endlich eine neue Regierungsmannschaft ans Ruder kommt.

So ist die Lage im März 2021, und diese Lage wirft viele Fragen auf, denen sich mein Kollege Marc Krüger und ich in unserem heutigen Podcast widmen. Außerdem haben wir meine Kollegin Camilla Kohrs eingeladen, die soeben aus Bosnien zurückgekehrt ist: In der Stadt Tuzla und im Lager Ušivak bei Sarajevo hat sie mit Geflüchteten gesprochen und sich deren Schicksale angehört. Warum haben Ayoub aus Marokko und Mehdi Haidari aus Afghanistan ihre Heimat verlassen, was erhoffen sie sich von Europa? Was sie zu sagen haben, ist bemerkenswert. Also hören Sie uns bitte zu, es ist der eintausendste Audio-Tagesanbruch:

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Als Wochenendmusik empfehle ich Ihnen heute mal was richtig Flottes: Das Album "Tourist" von Ludovic Navarre alias St. Germain ist so mitreißend, dass man gar nicht sitzen bleiben kann, vor allem dieser Song reißt mich vom Hocker. So dynamisch wünsche ich mir die deutsche Bundesregierung.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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