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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Es ist schon wirklich schlimm genug

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
die Debatte um Jens Spahn und die Maskenkäufe hat inzwischen einen Punkt erreicht, der niemanden glücklich machen kann, dem etwas an Aufklärung und Milliarden Euro liegt. Das hat mit Jens Spahn und seinen Leuten zu tun, denen die ganze Affäre natürlich höchst unangenehm ist. Es hat aber auch etwas mit der Opposition zu tun, mit manchen bei Linken und Grünen. Ihr Geraune droht mittlerweile vom Kern der Sache abzulenken. Der ist aber schon wirklich schlimm genug – und muss dringend aufgearbeitet werden.
Der Dienstag im Bundestag hat erneut gezeigt, dass der derzeitige Umgang mit der Maskenaffäre keine wirkliche Aufklärung bringt. Margaretha Sudhof war zu Gast im Haushaltsausschuss, die Autorin des eigentlich internen Berichts zur Maskenbeschaffung im Gesundheitsministerium, den inzwischen zum Glück alle lesen können, weil Medien recherchiert haben.
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Allerdings ist die Öffentlichkeit nach zwei Stunden Befragung ungefähr so schlau wie vorher. Die Union fühlt sich darin bestätigt, dass ihrem Jens Spahn nichts vorzuwerfen ist. Und die Opposition ist weiterhin vom Gegenteil überzeugt. In ihren Stellungnahmen vor den Kameras warfen sich beide Seiten hinterher die größtmöglichen Vorwürfe an die Köpfe.
Linken-Chefin Ines Schwerdtner wiederholte das mittlerweile beliebteste Geraune: Jens Spahn könnte sich durch sein Handeln bereichert oder irgendeinen anderen Vorteil verschafft haben. "Die Fragen von Vorteilsnahme für einzelne Firmen konnten nicht entkräftet werden, im Gegenteil", behauptete Schwerdtner. Es ist ein gewaltiger Vorwurf, eine Straftat. Nur sind dafür keinerlei konkrete Anhaltspunkte bekannt, geschweige denn Beweise. Christian Haase, Haushaltspolitiker der Union und Spahn-Parteifreund, warf Linken und Grünen deshalb im Gegenzug "Verschwörungstheorien" vor, einen "Wettstreit" um die "schrillste Opposition" und "tiefen Populismus".
Das alles beherrschte anschließend die Schlagzeilen. Was unter anderem dazu geführt hat, dass eine andere Aussage von Spahns Parteifreund Haase untergegangen ist. Er wurde gefragt, ob die Befragung den Vorwurf bestätigt habe, dass Frau Sudhof bei ihrer Arbeit parteipolitisch motiviert gewesen sei. Sie ist Beamtin, hat aber ein SPD-Parteibuch, weshalb einige in der Union ihre Arbeit als parteiisch kritisiert hatten – und damit eben auch die heftigen Vorwürfe in ihrem Bericht gegen Jens Spahn. Doch Christian Haase antwortete an diesem Dienstag: "Nein, da hat es keinen Grund für gegeben."
Es ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie die Debatte mittlerweile abdriftet. Der Vorwurf der Vorteilsnahme, also der Korruption, ist zu diesem Zeitpunkt schlicht überzogen. Es sind bislang keinerlei Belege dafür bekannt. Das bedeutet nicht, dass man nicht weiter prüfen sollte. Doch die Opposition macht es Spahn und der Union mit der unbelegten Behauptung leicht, gleich die gesamte Kritik als Verschwörungstheorie zu diskreditieren. Auch die berechtigte Kritik.
Das gilt in ähnlicher Form auch für die Obsession von Linken und Grünen mit den Schwärzungen und anderen üblichen Regeln der Geheimhaltung. Das war auch am Dienstag wieder so. Die Regierungskoalitionen hatten die Befragung von Sudhof als "Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft. Das darf man bedauerlich finden, gerade als Journalist. Nur es ist auch ziemlich logisch, wenn eine Autorin über ihren Bericht sprechen soll, der unter dieselbe Geheimhaltungsstufe fällt.
Das hielt Grünen-Haushaltspolitikerin Paula Piechotta aber nicht davon ab, die Sache im Anschluss ironisch als Hinweis darauf zu werten, "wie offen und transparent die Union bei diesem Thema mit der Öffentlichkeit kommunizieren möchte". Es ist das gleiche Muster, mit dem Linke und Grüne auch die ursprünglichen Schwärzungen von Teilen des Sudhof-Berichts kritisiert hatten. Dabei sind solche Schwärzungen etwa wegen Persönlichkeitsrechten, Geschäftsgeheimnissen oder laufenden Gerichtsprozessen üblich.
Der eigentliche Witz ist: Für den Vorwurf der Opposition, Gesundheitsministerin und Spahn-Parteifreundin Nina Warken wolle Vor-Vorgänger Spahn offenbar schonen, braucht es die wacklige Argumentation mit den Schwärzungen gar nicht. Denn Warken wollte den Sudhof-Bericht erst überhaupt nicht freigeben, nicht mal in geschwärzter Form an den Haushaltsausschuss, wie es letztlich doch geschehen ist.
Trotzdem spielen die Schwärzungen seit Tagen eine riesige Rolle in der Berichterstattung und der Oppositionskritik. Dabei steht fast alles wirklich Kritikwürdige – und das ist der zweite Witz – auch in der geschwärzten Fassung des Sudhof-Berichts. Und zusätzlich in mehreren Berichten des Bundesrechnungshofs.
Der rügte gerade erst wieder in dieser Haushaltswoche die "massive Überbeschaffung". Die Zahlen sind schwindelerregend: Spahn beschaffte 5,8 Milliarden Masken für 5,9 Milliarden Euro. Nur 1,7 Milliarden Masken wurden in Deutschland verteilt, mehr als die Hälfte aller Masken musste oder muss vernichtet werden.
Allein die Verwaltung der Überbeschaffung kostete den Bund bislang mit 517 Millionen Euro mehr als doppelt so viel wie das gesamte Autobahnmaut-Desaster von CSU-Politiker Andreas Scheuer (243 Millionen Euro). Hinzu kommt, dass Händler den Bund in rund 100 Gerichtsverfahren auf insgesamt 2,3 Milliarden Euro verklagen. Und da sind Zinsen und Verfahrenskosten noch gar nicht eingerechnet, die kommen hinzu, wenn der Bund wirklich verurteilt wird.
In ihrem Bericht hat Margaretha Sudhof ihre Einschätzung zur Frage gegeben, wie es zu diesem "Drama in Milliardenhöhe" kommen konnte. "Fehlendes ökonomisches Verständnis" und "politischer Ehrgeiz" hätten dazu geführt, dass dem Bund "erhebliche Kosten und Risiken" entstanden seien, schreibt sie.
Doch selbst wer sich diese Bewertung Sudhofs nicht zu eigen machen möchte, findet im Bericht reichlich Stoff für Kritik – und offene Fragen. Eine lautet zum Beispiel: Ist Jens Spahn am Wochenende des 7. und 8. März 2020 tatsächlich ohne Abstimmung mit dem Krisenstab oder dem Finanzministerium losgezogen und hat selbst Händler angeschrieben, um Masken zu beschaffen? Der Sudhof-Bericht legt das nahe, selbst sein eigenes Haus hat er demnach erst nachher über seine "Wochenend-Aktivitäten" informiert, wie es dort heißt.
Das würde nicht nur viel über Spahns Krisenmanagement aussagen. Es ist auch deshalb wichtig, weil er selbst zugegeben hat, sich über Warnungen aus seinem Haus hinweggesetzt zu haben, die Maskenbeschaffung zusätzlich ins Gesundheitsministerium zu holen. Denn das ist dafür nicht ausgerüstet – anders als das Innen- und Verteidigungsministerium, die eigene Beschaffungsämter haben.
Es ist nur eine von tatsächlich vielen Fragen zur Maskenbeschaffung, die offen zutage liegen. Ganz ohne, dass man etwas in die Sache reingeheimnissen oder unbelegte Maximalvorwürfe erheben müsste. Auch in Skandalen gibt es Graustufen. Nicht jeder Vorwurf trifft, nicht jeder Vorwurf hilft in der Sache.
Es wird nun eine weitere Sitzung des Haushaltsausschusses mit Margaretha Sudhof geben, Ende Juli. Viel mehr Klarheit dürfte auch sie nicht bringen. Weil die Union Spahn schützt. Und weil Teile der Opposition offensichtlich das Gefühl haben, die Aufmerksamkeit mit möglichst knalligen Vorwürfen hochhalten zu müssen.
Etwas anderes, was Grünen-Politikerin Paula Piechotta am Dienstag gesagt hat, ist deshalb sehr richtig: "Am Ende werden wir an der Stelle nur weiterkommen mit einem Untersuchungsausschuss." Nur dort könnten Menschen unter Eid vernommen werden. Und zwar nicht nur Sudhof, Spahn und Warken, sondern auch Händler und Logistiker. Die so gewonnenen Informationen könnten am Ende sogar dabei helfen, in den 100 Gerichtsprozessen möglichst viel der 2,3 Milliarden Euro plus Zinsen und Prozesskosten zu retten, die dort auf dem Spiel stehen.
Das Problem: Linke und Grüne haben allein nicht die Mehrheit, um ihn einzusetzen. Jens Spahn hat dem "Stern" gerade selbst gesagt, dass er keine Angst vor einem Untersuchungsausschuss hätte. Er sollte ihn selbst mit der Regierungskoalition beschließen. Auch andere Politiker haben das schon überstanden, vor allem, wenn sie nichts zu verbergen hatten. Aber es ist zu viel ungeklärt, und es steht zu viel Geld auf dem Spiel.
Termine des Tages
Wie macht sich Friedrich Merz? Darum wird sich heute ab 9 Uhr die Generaldebatte im Bundestag drehen. Die Opposition rechnet in der Debatte über den Etat des Kanzleramts traditionell mit der Regierung ab. Und Merz wird seine erste Generaldebatte als Bundeskanzler ebenfalls dazu nutzen, sich und seine Regierung zu bewerten. Er ist heute 65 Tage im Amt. Vier Stunden sind für die Diskussion eingeplant. Anschließend wird sich Merz erstmals in einer Regierungsbefragung den Fragen der Abgeordneten stellen.
Was macht die Nato? Am Nachmittag empfängt Friedrich Merz den Nato-Generalsekretär Mark Rutte im Kanzleramt. Es geht natürlich um Sicherheitspolitik und die Herausforderungen der Nato, die bekanntermaßen riesig sind. Abends wird trotzdem gefeiert: Merz und Rutte nehmen im Verteidigungsministerium am Festakt "70 Jahre Deutschland in der Nato" teil, wo auch Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenminister Johan Wadephul reden werden.
Was macht die Polizei? Der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, stellt seinen Bericht vor.
Historisches Bild
Als "Tarzan" wurde Johnny Weissmüller berühmt. Vorher war er ein Sportass. Mehr lesen Sie hier.
Lesetipps
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Die Sitzung des Haushaltsausschusses mit Masken-Sonderermittlerin Margaretha Sudhof war geheim. Was sie vor der Tür selbst gesagt hat und was sonst noch bekannt ist, berichtet meine Kollegin Julia Naue.
Mit einer neuen Partei will Elon Musk Donald Trump herausfordern und die USA umkrempeln. Der Wahlkampf der "America Party" dürfte schmutzig werden, schreibt mein Kollege Martin Küper.
Zum Schluss
So kann man's auch sehen …
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche. Morgen schreibt Ihnen wieder Florian Harms.
Ihr Johannes Bebermeier
Chefreporter
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Mit Material von dpa, AFP.
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