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Streit über Richterwahl: Spahn und Merz stecken in der Klemme


Tagesanbruch
Für ihn wird es jetzt eng

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 14.07.2025 - 07:36 UhrLesedauer: 7 Min.
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Jens Spahn und Friedrich Merz: Eigentlich sollte Fraktionschef Spahn Kanzler Merz den Rücken freihalten, im Moment bereitet er ihm vor allem Probleme. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

eigentlich sollte es eine Woche der Wohlfühltermine werden. Ein sanfter Übergang in die Sommerpause. So hat sich das Friedrich Merz wohl gedacht. Nur noch sechs offizielle Termine stehen im Kalender des Kanzlers, solche, die schöne Bilder produzieren wie der am Dienstag: Da geht's hinauf auf die Zugspitze mit dem Kabinett vom Söder Markus. Oder am Donnerstag noch schnell nach London zum Antrittsbesuch in die Downing Street beim netten Keir Starmer. Am Freitag den Hauptstadtjournalisten die Bilanz der ersten 70 Tage bei der Sommerpressekonferenz schmackhaft machen, erzählen, was schon erreicht wurde und was noch alles geplant ist. Und dann endlich ab in die zweimonatige parlamentarische Ferienzeit.

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Doch Merz' schöner Plan geht nicht auf. Schon am gestrigen Sonntagabend im ARD-Sommerinterview wurde es ungemütlich. Statt nur über den Investitionsbooster zu reden, die vermeintliche Wende in der Migrationspolitik oder sein Auftreten als Außenkanzler, musste der Kanzler die meiste Zeit dem Eindruck entgegentreten, seinen Laden nicht im Griff zu haben. Schuld daran war die abgesagte Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern am vergangenen Freitag.

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Tatsächlich könnte die Erschütterung, die diese Absage ausgelöst hat, zum ersten großen Beben der schwarz-roten Regierung anwachsen. Und das ausgerechnet in der Sommerpause. Die Architektur der Koalition wankt und zeigt, wie fragil die Statik des schwarz-roten Gebäudes in Wahrheit ist. Aber auch wie wenig gefestigt die Position eines Mannes, der qua Amt maßgeblich für diese mitverantwortlich ist: Unionsfraktionschef Jens Spahn.

Wirklich gut passen die Bausätze von Sozialdemokraten und Union nicht zusammen, das war allen Beteiligten von Anfang an klar. Die Union ist unter Merz wieder konservativer, die SPD in den Scholz-Jahren sozialstaatsorientierter geworden. Trotzdem blieb den beiden Parteien nach der Wahl nichts anderes übrig, als gemeinsam eine tragfähige Koalition zu basteln. Doch schon der Bauplan enthielt etliche Leerstellen: Dringend notwendige, weitreichende Strukturreformen etwa für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung fehlten im Koalitionsvertrag, sie wurden in Kommissionen verschoben, getreu dem Motto: Wer nicht mehr weiterweiß, bildet einen Arbeitskreis. Dennoch: Unions- wie SPD-Führung war klar, beide Seiten müssen sich zusammenreißen und zeigen, dass sie kompromissfähig sind und gemeinsam Probleme lösen können.

Ärgerlich nur, dass die eigenen Abgeordneten sich ihrer Verantwortung weitaus weniger bewusst zeigen: Schon Merz’ erster Wahlgang scheiterte. Obwohl seine Koalition über zwölf Stimmen mehr verfügt, als für eine Mehrheit notwendig sind, fehlten ihm Anfang Mai sechs. Genau wird man es wohl nie erfahren, aber wahrscheinlich waren dafür nicht nur skeptische SPD-, sondern auch Unionsabgeordnete verantwortlich.

Schon damals konnte Jens Spahn sein Versprechen nicht halten: Mit ihm an der Spitze werde die Union zum "Stabilitätsfaktor in unruhiger Zeit", hatte er im Mai nach seiner Wahl als Fraktionschef angekündigt. In der vergangenen Woche bewies er erneut das Gegenteil. Da musste die Wahl von drei Verfassungsrichtern – zwei Kandidaten von der SPD, einer von der CDU – abgesagt werden, weil etliche Unionsabgeordnete nicht für die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf stimmen wollten.

So etwas hatte es noch nie gegeben. Zwar konnte sich eine Regierung schon häufiger nicht auf einen Kandidaten einigen und tauschte diesen dann aus. Doch das war stets passiert, bevor der dafür eigens eingesetzte Wahlausschuss abstimmte. Im aktuellen Wahlausschuss stellt die Union fünf Mitglieder, die AfD drei, die SPD zwei, Grüne und Linke jeweils einen. Am vergangenen Montag stimmte dieser mit einer Zweidrittelmehrheit für alle drei Kandidaten, also auch für Brosius-Gersdorf.

Das ließ Spahn offenbar glauben, damit stünde auch der Zweidrittelmehrheit für die Wahl der drei Kandidaten im Bundestag am vergangenen Freitag nichts mehr im Weg. Was für ein gefährlicher Irrglaube. Offenbar unterschätzte Spahn, wie schlecht die Stimmung in der Fraktion wegen Merz’ gebrochener Versprechen ist: vom Schuldenpaket bis zur Senkung der Stromsteuer für alle. Offenbar verkannte er auch, wie sehr vom rechten Rand und der katholischen Kirche Stimmung gegen Brosius-Gersdorf gemacht wurde – oder er ignorierte es. Beides spricht nicht für seine Fähigkeiten als Krisenmanager.

Vor allem aber übersah er, wie sensibel das Thema Abtreibung für viele Unionsabgeordnete ist. Das Land ist viele Jahrzehnte lang gut ausgekommen mit der aktuellen Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen: generell verboten, aber unter bestimmten Bedingungen in den ersten zwölf Wochen straffrei.

Trotzdem spricht auch einiges für eine Reform, wie sie ein Gesetzesvorhaben im vergangenen Jahr plante. Es stützte sich auf das Gutachten einer Expertenkommission, der auch Brosius-Gersdorf angehörte. Sie argumentierte darin, es gebe gute Gründe dafür, "dass die Menschenwürdegarantie erst ab der Geburt gilt". Daraus machten offenbar interessierte Kreise nun, dass Brosius-Gersdorf für straffreie Schwangerschaftsabbrüche bis zur Entbindung sei – was sie aber nie gesagt hatte. Im Gegenteil: Das Gutachten spricht explizit auch dem ungeborenen Leben Schutz zu. Es plädiert stattdessen für eine straffreie Abtreibung in den ersten zwölf Wochen. So wie fast zwei Drittel der Deutschen, die laut einer Forsa-Umfrage im vergangenen Jahr eine solche Regelung begrüßten. Mal ganz davon abgesehen bedeutet die Position einer einzelnen Richterin noch lange nicht, dass es dafür auch eine Mehrheit im Zweiten Senat des Verfassungsgerichts gibt.

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Am Donnerstagabend kamen dann plötzlich noch vermeintliche Plagiatsvorwürfe zur Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf auf. Ein umstrittener, selbst ernannter Plagiatsjäger schrieb auf der Plattform X, er habe Übereinstimmungen zwischen ihrer Doktorarbeit und der Habilitationsschrift ihres Mannes gefunden. Spahn kamen die Vorwürfe offenbar gelegen. Er nutzte sie, um die für Freitagmorgen geplante Wahl abzusagen, mit der Begründung: Man brauche mehr Zeit, um die Vorwürfe zu prüfen. Dumm nur, dass da der Plagiatsjäger selbst schon behauptete, er habe nie von Plagiat gesprochen, die Union nutze sein Gutachten, um davon abzulenken, dass sie mit den Positionen von Brosius-Gersdorf ein Problem habe.

Man kann es der SPD kaum verdenken, dass sie in all dem nun eine Schmutzkampagne gegen ihre Kandidatin sieht und sich von Spahn hintergangen fühlt. Noch am Donnerstagabend hatte er ihr zugesagt, der Wahl stünde nichts im Weg. Aus ihrer Sicht hat die Fraktion in den vergangenen Wochen viele bittere Pillen geschluckt und gegen ihre Überzeugung gestimmt, etwa beim Familiennachzug in der Migrationspolitik – alles dem Koalitionsfrieden zuliebe. Nun erwartet sie dies auch von der Union.

Entsprechend festgefahren sind die Positionen – und Spahn, aber auch Merz stecken in der Klemme. Die SPD will ihre Kandidatin auf keinen Fall zurückziehen. Lediglich eine Sondersitzung in der Sommerpause bietet sie der Unionsfraktion an, in der Brosius-Gersdorf Fragen der Bedenkenträger beantwortet. Gleichzeitig forderten Unionsabgeordnete die SPD auf, ihre Kandidatin auszuwechseln. Und die interne Kritik an Spahn und seinem Krisenmanagement wächst.

Geruhsam, so viel ist sicher, werden die ersten Ferienwochen für ihn und Merz nicht. Ärgerlich ist das für Merz vor allem auch deshalb, weil er dem Land bis zum Sommer einen Stimmungswandel versprochen hatte. Der wird nun von Streit überschattet. Und sein Fraktionschef, der ihm eigentlich den Rücken freihalten sollte, immer mehr zur Belastung für ihn. Im Sommerinterview stellte sich Merz immerhin noch demonstrativ hinter Spahn.


Ohrenschmaus

Es begann mit einem Marsch der Unzufriedenen zum Staatsgefängnis. Und endete mit einer Revolution. Heute erinnert sich Frankreich an den Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789, das Land feiert mit einer großen Militärparade seinen Nationalfeiertag. Aus diesem Anlass eine besondere Gratulation von einem ganz besonderen Sänger.


Nett beeindruckt ihn nicht

Maximaler Druck führt zu maximalen Ergebnissen. So lautet Donald Trumps Motto und so ist auch sein Brief an die EU zu verstehen, in dem der US-Präsident ankündigte, ab dem 1. August alle Warenimporte aus der EU mit Zöllen in Höhe von 30 Prozent zu belegen. Der Brief platzte mitten in die noch laufenden Verhandlungen. In Brüssel beraten nun die für Handelsfragen zuständigen Minister, wie die EU darauf reagieren soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte bereits an, trotzdem mit Gegenzöllen bis Anfang August warten zu wollen.

Tatsächlich muss die EU in den verbleibenden 19 Tagen nun einen kühlen Kopf bewahren, geeint auftreten, aber den USA dennoch mit harten Maßnahmen drohen. Das hat sie zwar auch bisher schon getan – nur offenbar nicht vehement genug. Bei einer öffentlichen Kabinettssitzung hatte Trump gerade erst gesagt, die EU sei bei den Verhandlungen "sehr nett". Nett beeindruckt Trump nicht.


Nett beeindruckt aber auch Wladimir Putin nicht. Seit Monaten telefonieren Donald Trump und sein russischer Amtskollege regelmäßig zum Ukraine-Krieg – ergebnislos. Der nette Austausch mit dem US-Präsidenten hat Putin ermutigt, dort noch aggressiver vorzugehen. Tag und Nacht lässt er gerade ukrainische Städte bombardieren. Für die zweite Hälfte des Sommers soll eine weitere Offensive geplant sein.

Trump hat nun angekündigt, dass er Patriot-Waffensysteme an die Europäische Union verkaufen will, damit diese an die Ukraine geliefert werden können. Vor Journalisten in den USA sagte er: "Für uns wird das ein Geschäft sein, und wir werden ihnen Patriots senden, die sie dringend brauchen." Verkündet er bald endlich auch harte Sanktionen gegen den Aggressor? Alles ist möglich.


Sie wollen nichts weniger als den Maschinenraum des Staates umbauen. Das hat sich die Initiative für einen handlungsfähigen Staat um die früheren Minister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD), die Medienmanagerin Julia Jäkel und den früheren Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle vorgenommen. Seit Monaten arbeiten sie unterstützt von mehr als 50 Expertinnen und Experten an einer Anleitung dafür. Jetzt übergeben sie diese an den Schirmherrn der Initiative, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die schwarz-rote Regierung sollte sie sich sehr genau anschauen.


Das historische Bild

1902 verlor Venedig ein Wahrzeichen. Mehr lesen Sie hier.


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Zu guter Letzt

Ferien können auch anstrengend sein. Es sei denn ...

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Start in die Woche – mit vielen Wohlfühlterminen. Morgen schreibt Ihnen unser Politik- und Wirtschaftschef Mauritius Kloft.

Herzliche Grüße

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel

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Mit Material von dpa.

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