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Polen: Grenzkontrollen sind gefährliche Symbolpolitik


Tagesanbruch
Der nächste Dominostein fällt

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 07.07.2025 - 09:49 UhrLesedauer: 7 Min.
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Ein polnischer Soldat steht an der Grenze Polens zu Belarus in Ozierany Małe: Schwer gesichert ist der Grenzzaun, Gewalt gegen Flüchtlinge soll an der Tagesordnung sein. (Quelle: Andrzej Iwanczuk/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Sommer, Sonne, Urlaub – ab heute sind im halben Land Ferien. Das macht gute Laune. Zumindest denjenigen, die nicht im Stau schwitzen. Tut mir leid, aber ich habe auch eine schlechte Nachricht: Genau das droht in diesem Jahr vielen an den deutschen Grenzen. Denn der Traum vom schlagbaumlosen Europa ist ausgeträumt. In sechs unserer Nachbarländer gibt es wieder Grenzkontrollen. Ab heute kommt ein siebtes hinzu: Polen.

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Das hat viel mit egoistischer Symbolpolitik zu tun – Polens und auch Deutschlands. Denn die von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) Anfang Mai eingeführten verschärften Grenzkontrollen wirken, aber nicht so, wie von ihm gerade behauptet. Tatsächlich sind sie der Grund, warum in Polen die Regierung von Donald Tusk nun ihrerseits die Grenze zu Deutschland kontrollieren lässt. Das dürfte nicht nur zu mehr Staus führen. Auf der Strecke bleiben dabei auch das EU-Recht und schutzsuchende Menschen.

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Fast halbiert hat sich die Zahl der Asylanträge im ersten Halbjahr dieses Jahres, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gerade bekannt gab. 61.336 waren es im Vergleich zu 121.426 Erstanträgen im Vorjahreszeitraum. Natürlich behauptet Dobrindt nun, das liege an seinen seit dem 8. Mai verschärften Grenzkontrollen. Dobrindt verfügte, dass seitdem auch Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen wollen, zurückgewiesen werden dürfen. Nach EU-Recht müsste hier zumindest geprüft werden, welches Land für ihr Asylgesuch zuständig ist. Der Effekt dieser Maßnahme auf den Rückgang der Asylanträge dürfte dennoch gering sein. Gerade einmal 285 Menschen, die das betraf, wurden zurückgewiesen (Stand 1. Juli).

Ein Verwaltungsgericht in Berlin entschied im Juni zudem im Fall von drei Somaliern in einem richtungsweisenden Urteil: Ihre Zurückweisung war rechtswidrig. Dobrindt störte die Ohrfeige der Richter nicht, er ignorierte sie schlicht. Das sei nur eine Einzelfallentscheidung, behauptete er. Doch die Begründung des Gerichts hat, so schätzen es Experten ein, weit darüber hinaus Bedeutung. Inzwischen gibt es noch in drei weiteren Fällen Verfahren. Die Union, daran sei an dieser Stelle erinnert, bezeichnet sich selbst als Rechtsstaatspartei. Nun, davon ist aktuell nicht viel zu spüren.

Die Ursachen für die rückläufigen Asylzahlen in Deutschland liegen woanders: Aus Syrien kommen seit dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad deutlich weniger Flüchtlinge. Auch die inzwischen strengen Grenzkontrollen entlang der Westbalkan-Route machen sich bis nach Deutschland bemerkbar. Wirkungsvoll ist auch das gewaltsame Zurückdrängen von Flüchtlingen in nordafrikanischen Transitländern wie Tunesien, mit denen die EU Abkommen geschlossen hat. Man könnte daher auch sagen: Dobrindt hat Glück, denn seine Symbolpolitik war gut getimt. Sie fällt in eine Zeit, da Europa sich immer mehr zu einer abgeschotteten Insel der Seligen entwickelt. Auf diese zu gelangen, wird zunehmend schwer.

Doch die Union hatte im Wahlkampf nun mal vollmundig eine "180-Grad-Wende" in der Asylpolitik versprochen. Getrieben von der AfD wollte sie den Menschen zeigen: Für eine harte Politik an den Grenzen müsst ihr nicht die Radikalen wählen. Im Koalitionsvertrag musste sie der SPD dann zwar zugestehen, sich in der Grenzpolitik mit den Nachbarstaaten abzustimmen. Dobrindt behauptet seitdem stets, dass er sich eng mit seinen Kollegen der Nachbarländer austausche und diese Verständnis für seine Maßnahmen hätten, sie gar begrüßten.

Doch Polens Reaktion zeigt nun: Von Begeisterung kann keine Rede sein. Im Gegenteil. Schon im polnischen Präsidentschaftswahlkampf hatte die deutsche Asylpolitik dem rechtskonservativen Kandidaten Karol Nawrocki geholfen. Er forderte eigene Kontrollen an der Grenze zu Deutschland, Polen dürfe nicht nur "Befehle des Nachbarn ausführen". Der frisch gewählte Präsident Nawrocki applaudierte denn auch, als ein rechtsextremer Abgeordneter vor Kurzem Freiwillige dazu aufrief, als Bürgerwehr an der deutschen Grenze zu patrouillieren. Derart getrieben, gab Tusk nun nach und ordnete seinerseits Kontrollen an den deutschen Grenzen an – vorerst bis zum 5. August.

Der Einsatz polnischer Soldaten und Drohnen ist natürlich auch nur Symbolpolitik. Jedem denkenden Menschen in Polen müsste klar sein, dass die Zahl der Geflüchteten, die aus Deutschland in ihr Land streben, gering ist. Es ist eine Retourkutsche für die Zurückweisungen an deutschen Grenzen. Was nun droht, sind nicht nur lange Wartezeiten und Staus für Pendler und Touristen, sondern auch ein unwürdiges Hin- und Herschieben von Asylsuchenden.

Ein 18-jähriger Afghane erlebte dies in der vergangenen Woche bereits im brandenburgischen Guben. Deutsche Grenzpolizisten hatten ihn, als er einreisen wollte, nach Polen zurückgeschickt. Sechs Mitglieder einer Bürgerwehr griffen ihn dort auf und nötigten ihn, nach Deutschland zurückzukehren. Auch ein weiterer Versuch scheiterte: Die polnischen Grenzpolizisten weigerten sich, gegen die Bürgerwehr vorzugehen. Erst als die Bundespolizei den Mann zu einem anderen Grenzübergang bei Bad Muskau nach Polen brachte, gelang die Zurückweisung. Dort gab es weder polnische Bürgerwehr noch Grenzschützer.

Tusks Symbolpolitik offenbart nun die Schwäche von Dobrindts eigentlichem Plan: Ein Dominoeffekt ist nämlich beabsichtigt, also dass die Nachbarländer ihrerseits die Grenzen zu den Ländern dichtmachen, aus denen die Flüchtlinge einreisen. In Interviews hat Dobrindt das auch so gesagt. Allerdings haben am Ende der Kette dann wieder die Länder an Europas Außengrenzen den Schwarzen Peter. Etwa auch Polen.

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Die Wut der Polen über die Deutschen ist daher verständlich. Nicht nur im Westen, auch im Osten steht das Land an seinen Grenzen unter Druck. Dort nämlich karrt der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, der mit Russland verbündet ist, seit vier Jahren gezielt Flüchtlinge an die polnische EU-Außengrenze. Das ist Teil von Putins hybridem Krieg gegen Europa. Polen wehrt sich dagegen mit massiver Gewalt. Hunde und Gummiknüppel kämen zum Einsatz, Asyl werde willkürlich verweigert, prangert etwa die Organisation Ärzte ohne Grenzen an.

Solange es kein funktionierendes System gibt, das den Asylanspruch von Flüchtlingen, die an den Außengrenzen ankommen, prüft und diejenigen, denen er zusteht, gerecht auf die EU-Mitglieder verteilt, wird diese Politik Europa nicht nur unmenschlicher machen, sondern auch spalten. Und das ausgerechnet in einer Zeit, da viele extremistische und autoritäre Kräfte inner- wie außerhalb der EU sich genau das wünschen.

Dabei gibt es zumindest den Versuch einer Lösung: das Gemeinsame Europäische Asylsystem, kurz GEAS. Es soll Mitte 2026 in Kraft treten. Doch unter anderem die Niederlande und Ungarn fordern bereits, davon ausgenommen zu werden. Auch Polen hat Widerstand angekündigt. Statt spaltende Symbolpolitik zu betreiben, sollte Deutschland daher besser all seine Energie darauf verwenden, GEAS zum Erfolg zu führen. Gelegenheit gäbe es dazu schon bald: Mitte Juli lädt der deutsche Innenminister symbolträchtig zum Migrationsgipfel auf die Zugspitze.


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Zu guter Letzt

Vorsicht, wenn die Vorfreude auf den Urlaub überhandnimmt.

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren, staufreien Start in die Woche. Morgen schreibt Ihnen wieder Florian Harms.

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel

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Mit Material von dpa.

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