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Experte zur Corona-Krise: "Das ist keine Pest, die alle dahinrafft"


Therapeut über die Corona-Krise
"Ich hoffe, dass die gesellschaftliche Stimmung nicht kippt"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 01.04.2020Lesedauer: 6 Min.
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Ein am Coronavirus erkrankter Patient aus Frankreich wird auf dem Hubschrauberlandeplatz des Universitätsklinikums Bonn aus einem Rettungshubschrauber verladen.Vergrößern des Bildes
Ein am Coronavirus erkrankter Patient aus Frankreich wird auf dem Hubschrauberlandeplatz des Universitätsklinikums Bonn aus einem Rettungshubschrauber verladen. (Quelle: dpa-bilder)

Die Corona-Krise ist auch eine psychische Belastung für große Teile der Bevölkerung. Was macht das Virus mit unserer Gesellschaft? Psychotherapeut Andreas Heinz wirbt für Nachsicht mit Politikern.

Der Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland durchzieht weite Teile der Gesellschaft. Damit sich das Virus nicht explosiv ausbreitet, gibt es Kontaktverbote, viele Menschen sitzen unter Quarantäne abgeschottet von der Außenwelt fest. Zudem gibt es Berufsgruppen, die in der Krise besonders unter Druck stehen.

Was macht die Pandemie mit unserer Gesellschaft? Darüber haben wir mit Andreas Heinz gesprochen. Der Psychiater und Psychotherapeut ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité.

t-online.de: Herr Heinz, die Corona-Pandemie hat großen Einfluss auf den Alltag und das Sozialleben der Bevölkerung. Werden die psychologischen Folgen der Krise von der Politik unterschätzt?

Andreas Heinz: Nein. Es geht ja gerade darum, dass vernünftige Maßnahmen getroffen werden und auch wir Professionelle im Bereich psychischer Erkrankungen stehen im Austausch mit der Politik. Die Ausgangsbeschränkungen sind für alle Menschen unangenehm und schmerzhaft. Aber man braucht jetzt Solidarität füreinander und Verständnis dafür, dass die Virusinfektion einige Mitbürger besonders trifft oder treffen würde.

Wo sehen Sie aktuell Formen dieser Solidarität?

Es ist beispielsweise gut, wenn es Nachbarschaftskontakte gibt und Leute aufeinander achten. Man beklagt sich auf der Arbeit oft über die zahlreichen Telefonate in dieser Zeit, aber das ist auch ein ständiges Rückversichern, ob es den Kollegen noch gut geht. Kontakte sind in der Krise sehr wichtig, auch wenn es mal ein Anruf zu viel ist.

Die politischen Maßnahmen sind immer eine Abwägung zwischen der Einschränkung der Bürgerrechte und dem Infektionsschutz. Stimmt die Balance in Deutschland?

Ich schaue gespannt nach Schweden, die beispielsweise bezüglich Ausgangsbeschränkungen weniger vorschreiben. Aber internationale Vergleiche sind immer mit Vorsicht abzuwägen. Wir werden sehen welche Vor- und Nachteile das mit sich bringt.

Und in Deutschland?

Generell würde ich die Bevölkerung um Verständnis füreinander und für die bitten, die jetzt Entscheidungen fällen müssen. Es kann sein, dass die eine oder andere Maßnahme zielführender hätte sein können. Aber wir alle sind fehlbar und leben in einem Land, in der die politischen Organe über Krisenmaßnahmen offen diskutieren. Und gerade fühle ich mich eigentlich ganz geborgen in unserer Demokratie.

Warum?

Transparenz, demokratische Kontrolle und eine gewisse Unterstellung positiver Intentionen beim Gegenüber hilft eigentlich immer. Ich bekomme aber auch irritierende Videos mit Verschwörungstheorien zugeschickt, die niemandem helfen.

Wie lange kann eine Gesellschaft Kontaktsperren durchhalten?

Das ist eine schwierige Frage. Das weiß ich nicht.

Ab wann sind durch soziale Isolation Schäden für die individuelle Psyche erkennbar?

Die Bevölkerung in Deutschland lebt gegenwärtig nicht komplett sozial isoliert. Das ist ein Vorteil. Sie können sich zu zweit treffen, wenn auch nicht in größeren Gruppen. Das fehlt vielen natürlich, weil sie beispielsweise keinen Sport mehr in der Gruppe machen können. Die Maßnahmen sind allgemein eine große Einschränkung, aber die Probleme sehe ich eher bei Menschen, die ohnehin schon einsam sind.

Nun sind die Ausgangsbeschränkungen in Italien, Spanien und Frankreich noch massiver als in Deutschland.

Das ist schon ein großer Unterschied. Aktuell ist es in Deutschland noch möglich, Kontakte persönlich zu halten. Es ist aber schwierig, Prognosen zu machen, ab welchem Zeitraum soziale Isolation schädlich ist. Die Quarantäne tut den Menschen nicht gut, das ist klar. Mit zunehmender Zeit wird es für viele schwerer werden, aber es gibt einen gewissen gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Krise, der einiges ausgleicht. Ich hoffe, dass wir uns diesen Zusammenhalt bewahren.

Die Maßnahmen der Bundesregierung halten Sie aber für richtig?

Ja, es geht gerade darum, die Zahl der Neuinfektionen so klein zu halten, dass wir immer ausreichend Beatmungsplätze in den Krankenhäusern haben. Aber eines muss der Bevölkerung klar sein: Wir stoppen mit der sozialen Isolation nicht das Virus, sondern halten die Zahl der Neuerkrankungen möglichst gering. Dadurch wird der Zeitraum, in dem uns das Virus begleiten wird, länger. Das ist keine Pest, die alle dahinrafft. Aber wir müssen dafür sorgen, dass unser Gesundheitssystem alle Patienten angemessen versorgen kann.

In diesem Zeitraum stehen einige Berufsgruppen besonders unter Druck, zuletzt sorgte der Freitod von Hessens Finanzminister für tiefe Trauer. Welcher psychologischen Belastung sind aktuell Politiker oder das medizinische Personal ausgesetzt?

Politiker stehen aktuell unter enormem Druck, alle Entscheidungen haben sehr weitreichende Konsequenzen. Zudem hat es schon in den Monaten und Jahren zuvor offenbar vermehrt Beleidigungen und Beschimpfungen gegeben. Angesichts der Krise finde ich die gesellschaftliche Stimmung insgesamt relativ gut, aber ich plädiere dafür, auch mit den politischen Entscheidungsträgern eine gewisse Nachsicht während dieser Pandemie zu haben.


Politiker tragen in jedem Fall eine große Verantwortung.

Ja. Und es kann sein, dass jetzt auch Fehler gemacht werden, aber das ist menschlich. Für die Politiker ist es momentan eine doppelte Drucksituation, die dadurch aufgefangen wird, dass Stimmung in der Bevölkerung mehrheitlich konstruktiv und kooperativ ist. Die Situation ist für viele Entscheidungsträger furchtbar schwierig, weil wir alle nicht genau wissen können, was nun das Richtige ist. Deshalb hoffe ich, dass die gesellschaftliche Stimmung nicht kippt und wir nicht anfangen, auf jeden kleinen Fehler zu fokussieren. Wir erleben gerade Zustände, die wir vorher noch nicht erlebt haben.

Wie wirkt sich der Druck auf das medizinische Personal aus?

Ich sehe diesen Druck aufgrund auch im Gesundheitssystem. Selbstverständlich ist das medizinische Personal bereit, diese Arbeit zu machen. In Krisen muss man durchhalten, auch deshalb haben sich viele für dieses Berufsfeld entschieden. Die Gewerkschaft "verdi" wünscht sich eine besondere Zuwendung für Leute, die sich infizieren können: Das ist nachvollziehbar.

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Wie hat die Corona-Krise Ihre Arbeit als Psychiater verändert?

Wir mussten Patienten entlassen, um ausreichend Kapazitäten für Corona-Kranke zu haben. Die entlassenen Patienten versuchen wir über Telefonate und Video-Gespräche weiter zu versorgen. Was die Klinikorgsnisation angeht, verzichten wir auf persönliche Gespräche und versuchen Klinik-Konferenzen per Telefon zu machen.

Haben Therapeuten mehr Aufnahmeanfragen von Patienten als vor der Krise?

Das ist eher zurückgegangen, die Patienten reagieren in der Krise oft verständnisvoll und zurückhaltend. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich loben. Wir haben natürlich Notaufnahmen, aber die Leute scheinen sich zu überlegen, ob es wirklich notwendig ist, in die Notaufnahme zu kommen im Augenblick. Aber das allgemeine Beratungsbedürfnis der Bevölkerung hat sicherlich zugenommen.

Wie wirkt sich die Bedrohung durch das Coronavirus auf Menschen mit psychischen Erkrankungen aus?

Es ist natürlich eine Belastung. Zum Teil trifft es die Leute schwer, zum Teil weniger. Im Prinzip fehlen natürlich auch hier wie bei allen die sozialen Kontakte. Aber es sind auch Menschen dabei, die beispielsweise durch die Kontaktbeschränkung nicht mehr in ihre Selbsthilfegruppe können. Zudem sind psychisch Erkrankte, je nachdem welche Erkrankung es ist, noch empfindlicher gegenüber Vereinsamung und Isolation.

Verschlimmert die Krise einige Erkrankungen?

Angsterkrankungen und Depressionen können zunehmen. Auch Suchterkrankungen und Psychosen werden in der Regel durch Einsamkeit schlimmer. Wenn Sie sich ohnehin zwanghaft zu oft die Hände waschen, macht Ihnen die Krise nun oft zusätzliche Schwierigkeiten, dieses Verhalten zu begrenzen. Aber menschliche Kontakte tun natürlich grundsätzlich gut.

Was können psychisch Erkrankte tun, um auch in der Krise Hilfe zu erhalten?

Die Rettungsstellen der Krankenhäuser sind weiterhin geöffnet. Aber alle Einrichtungen, die ich kenne, bieten mittlerweile auch eine telefonische Sprechstunde an. Es gibt nun an nahezu allen Stellen Telefonsprechstunden, damit Patienten mit Symptomen nicht in die Ambulanzen laufen müssen und dann eventuell andere anstecken. Das hat Vor- und Nachteile.

Welche?

Auf der einen Seite können Behandlungen am Telefon häufiger stattfinden, die Sitzungen sind oft kurz und intensiv. Aber es ist andererseits etwas anderes, wenn Patient und Arzt sich gegenübersitzen.

Haben Sie denn bereits Erfahrungen gemacht, die Sie persönlich für Ihre Arbeit aus der Krise mitnehmen können?

Ich hoffe sehr, dass die Umstellung auf Video-Psychotherapie dazu führt, dass wir auch ländliche Regionen besser abdecken können. Dort gibt es aktuell viele unterversorgte Regionen. Der Digitalisierungsschub wird zwar zu mehr Entfremdung im persönlichen Kontakt führen, aber es wird auch einen Zugewinn für Menschen geben, die eigentlich sonst fast gar keinen Zugang zu einer Therapie haben. Ich denke, dass das nach der Krise bleiben wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Heinz.

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