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Drogenkriminalität Deutschland: Unterwegs mit einem Drogendealer


Das Geschäft mit dem Rausch
Unterwegs mit einem Dealer: "Die Araber strecken alles mit Tabletten"

Von Sophie Loelke

Aktualisiert am 18.01.2024Lesedauer: 7 Min.
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Drogenverkauf: Die Dunkelziffer an Handelsdelikten im Zusammenhang mit Drogen ist wahrscheinlich hoch, sagt Drogenfahnder Schremm.Vergrößern des Bildes
Drogenverkauf: Die Dunkelziffer an Handelsdelikten im Zusammenhang mit Drogen ist wahrscheinlich hoch, sagt Drogenfahnder Schremm. (Quelle: STPP/imago-images-bilder)

Josephs finanzieller Gewinn als Drogendealer ist hoch auf Kosten der Gesundheit. Eigentlich will er diese illegalen Geschäfte gar nicht machen, doch sein Traum von Deutschland lässt ihn nicht los.

Viele wollen heute etwas von Joseph: Ketamin, Koks, Ecstacy oder Speed. Er hat alles dabei. In seiner schwarzen Bauchtasche. Joseph ist einer von vielen Drogendealern in Berlin – aber das nicht ganz freiwillig.

In den meisten Clubs muss er vorsichtig sein beim Verkauf. Wechselt ein Geldschein zu offensichtlich den Besitzer, könnte die Security aufmerksam werden – und dann fliegt er raus. Das wäre schlecht fürs Geschäft. Also nimmt er die Scheine und bestellt ein Bier. Wenige Minuten später setzt sich der Käufer neben ihn, bekommt den Stoff. Und mit ihm den ersehnten Rausch. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten – zumindest für den Moment.

"Das weiße Gift" überschwemmt die Hauptstadt

Denn das, was Joseph da verkauft, hat Folgen: In Berlin ist die Zahl der Rauschgiftdelikte und Drogentoten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Besonders der Handel mit dem "weißen Gift" Kokain nimmt signifikant zu. Das bereitet auch Olaf Schremm große Sorgen. Er ist Leiter des Drogendezernats Berlin und sagt: "In der Stadt gibt es regelrecht eine Kokainschwemme. Im letzten Jahr starben sogar erstmals über 200 Menschen in Zusammenhang mit Drogen insgesamt in Berlin." Und die Dealer zu schnappen, sei nicht leicht. "Oft sind sie uns einen Schritt voraus, zum Beispiel durch den Onlinehandel", klagt Schremm.

Das gesamte Interview mit Drogenfahnder Schremm zur Ermittlungsarbeit lesen Sie hier.

Video | Droht bereits beim Erstkonsum eine Abhängigkeit?
Quelle: Glomex


Am Tag nach seinem Clubbesuch sitzt Joseph schon wieder bei einem Espresso im Café. Er ist etwas kaputt von der letzten Nacht. In Erzähllaune ist er trotzdem. Er berichtet von den letzten Partys, dem Tanzen, der Musik – und seinem Job. Meistens arbeitet er in den Clubs von Freitag bis Montag, jetzt während Corona je nach Partyangebot. Den Rest der Woche kommen seine Kunden zu ihm nach Hause oder er ist selbst kreuz und quer in Berlin unterwegs. "Ich habe ein paar Stunden geschlafen, das geht schon", sagt er und kippt Zucker zum Koffein.

"Dealer ist nicht mein Traumberuf"

Schon vor etlichen Jahren ist Joseph aus seiner Heimat Tunesien nach Berlin gezogen. "Viele Tunesier haben Freunde hier, die mit den Drogen auf einmal extrem reich geworden sind. Zuerst schuften sie hart auf Baustellen, um dann genug Geld für eine größere Menge Kokain zu sparen", verrät er. Doch sein Ziel war das nie. Er hatte andere Träume.

"Ich wollte einfach in diese Stadt und hier studieren – aber das hat nicht geklappt." Geblieben ist er trotzdem. Die erste Zeit war er noch legal im Land, hatte einen normalen Job. Als vor zwei Jahren weder Aufenthaltsgenehmigung noch Arbeitserlaubnis verlängert wurden, entschied er sich, zu dealen. Zuerst gab Josephs Kumpel ihm kleine Mengen verschiedener Drogen. Er begleitete ihn damit in die Clubs, knüpfte Kontakte und lernte das Business kennen – und stieg so tief ein in die Techno-Szene.

"Ich war sauer. Habe gedacht, ich arbeite trotzdem hier. Ich brauch eure Papiere nicht! Aber das ist wirklich nicht mein Traumberuf." Sobald er eine Genehmigung bekommt, wolle er wieder normal arbeiten.

Drogen verkaufen inmitten des alltäglichen Treibens

Josephs Smartphone liegt neben ihm, während er erzählt. Alle paar Minuten vibriert es. Er schaut dann immer etwas zu fahrig darauf. Mitten im Gespräch kommt ein Anruf, den er auch annimmt. "Klar, kommt gern vorbei", sagt er dann. Wenig später sitzen der Anrufer und seine Freundin auch schon mit am Tisch. Sie sind Anfang 20, studieren und gehören laut dem aktuellsten Drogen- und Suchtbericht zu den rund sieben Prozent der 18- bis 25-Jährigen, die regelmäßig illegale Drogen konsumieren.

Später erzählt Joseph, dass seine Kunden keine Junkies seien: "Ich verkaufe an ganz normale Leute: Studenten, die arbeitende Gesellschaft. Einfach alle, die gerne mal feiern gehen."

Vor dem Deal halten die drei Smalltalk.

"Wohin geht´s heute Nacht für euch?"
"Ein Rave irgendwo außerhalb von Berlin."
"Cool. Was braucht ihr dafür?"
"Ein Gramm Emma und Mephedron, wenn du das hast?"

Das Mädchen reicht ihm die Scheine. Schnell sind die kristallinen Drogen, die in kleinen durchsichtigen Kapseln liegen, eingesteckt. Keinem der anderen Café-Gäste fällt etwas auf.

"Ich bin nicht deren Vater"

Hat er bei den Geschäften ein schlechtes Gewissen? Schließlich kann der Konsum leicht in eine Abhängigkeit führen. "Nein, die Leute entscheiden eigenverantwortlich, was sie kaufen und konsumieren. Ich bin nur der Anbieter, nicht deren Vater", sagt Joseph. Als Aufsichtsperson gibt er sich trotzdem oft, spricht dann über die Wirkung seiner Drogen. "Wenn ich Pillen habe, die sehr hoch dosiert sind, sage ich, sie sollen erstmal nur ein Viertel nehmen. Beim Ketamin rate ich, es nicht mit Alkohol zu kombinieren." Oft hat er schon Abstürze miterlebt, sein Kumpel sogar einen Todesfall.

"Wenn mich Leute im Club nach mehr Drogen fragen und mir ihr Geld quasi vor die Füße werfen, selbst aber nicht mehr klarkommen, verkaufe ich nichts. Ganz klar." Er sorge dann dafür, dass sich die Freunde um die Person kümmern. "Mir wird ja auch geholfen, wenn ich mal drüber bin."

Zum Abschluss fragt der Bekannte im Café noch, ob er Josephs Nummer einem Freund schicken darf. "Klar. So läuft mein Geschäft."

Die Digitalisierung setzt den Ermittlern Grenzen

Josephs Kunden bestellen bei ihm hauptsächlich über die App Telegram. Bei diesem datensicheren Nachrichtendienst kann die Polizei nicht an die Chats gelangen und diese zurückverfolgen. Drogenfahnder Schremm sieht darin große Herausforderungen. "Die Digitalisierung setzt uns Grenzen. In geschlossenen Nutzergruppen wie auf Telegram können wir nicht so einfach Informationen sammeln. Und selbst wenn wir dann an einen Lieferanten gelangen, ist der nur das kleinste Glied der Kette. Dahinter stehen oft ganze Hierarchien. Um an den Obersten zu gelangen, ist intensivste Ermittlungsarbeit gefragt." Diese Strukturen in Berlin sind nicht leicht aufzudecken. Aber die eine große Bande wie im Film ist ein Mythos. Stattdessen organisieren sich die Dealer in kleinen Gruppen", erklärt Schremm.

Joseph hingegen gehört keiner dieser Gruppen an, er ist selbstständig. So auch sein Kumpel, der ihm vor zwei Jahren half, ins Drogengeschäft einzusteigen. Dieses Geschäft, von dem Joseph nun auch Teil ist, umfasste für 2019 deutschlandweit 53.400 Rauschgift-Handelsdelikte, 285.000 Tatverdächtige und 31 Labore – ein Anstieg in jedem Bereich, die Dunkelziffer ist viel höher, zeigt der BKA-Jahresbericht.

Mit 32 Jahren nahm Joseph dann auch das erste Mal selbst Drogen – und ist dabei geblieben. Irgendwer muss den Stoff ja testen. Doch zwischen ihm und den meisten Käufern gibt es einen entscheidenden Unterschied: Joseph ist sieben Tage die Woche von Drogen umgeben, kann nicht in einen für die meisten anderen normalen Alltag, einen normalen Job zurück. Er bleibt in der Rolle des Dealers – und des Konsumenten. Aber weil das Leben in Deutschland sein Traum ist, macht er weiter. Er ist nicht stolz, aber anders geht es nicht. Irgendwann wird er wieder eine Arbeitserlaubnis und auch eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, da ist er sicher.

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"Die Araber strecken alles mit Tabletten"

Seine Drogen kauft er inzwischen selbst ein, seinen Kumpel als Hilfe braucht er nicht mehr. Bei einem Deutschen aus Berlin bekommt er den Stoff: "Der hat immer gutes Koks und gutes Ketamin. Die Araber strecken alles mit Tabletten. Das ist schlechtes Zeug." Wie schlecht das Zeug ist, zeigt die BKA-Statistik der Drogentoten. Knapp 1.400 Menschen starben 2019 in ganz Deutschland. Aber oft sterben sie nicht nur an der Droge selbst, sondern dem "Cocktail" verschiedenster Substanzen darin: Abführmittel, Koffeintabletten oder jegliche Schmerzmittel, die auch euphorisierende Wirkungen entfalten können. Einen zu hundert Prozent reinen Stoff zu bekommen, ist höchst unwahrscheinlich. Und hier liegt die Gefahr, denn es gibt wegen der Illegalität kein Kontrollgremium, was dem Konsumenten einen sicheren Trip versichert.

Auch aus dem Grund soll in Berlin bald das Projekt „Drug Checking“ starten. Konsumenten können hier ihre Drogen abgeben und testen lassen – und bekommen zugleich ein Beratungsgespräch. "Wir wollen den Menschen bewusst machen, was sie nehmen und wie es wirkt. Sie sollen kritischer werden und nicht so unbedarft alles konsumieren", sagt Schremm. Vor allem der Konsum mehrerer unterschiedlicher Drogen zusammen ist beliebt – und gefährlich. Ohne das Wissen, wie die Drogen wirken, kann der Körper kollabieren: Die eine Substanz peitscht den Puls in die Höhe, die andere fährt ihn sehr schnell runter. Das verträgt nicht jeder. Aufklärung und Prävention sollen helfen.

An einem Wochenende bis zu 6.000 Euro Umsatz – natürlich steuerfrei

Wenige Stunden nach dem Espresso: Joseph steht wieder in der Schlange vor einem Club. Er wippt zum hämmernden Bass, der über die Mauern dröhnt. "Vor zwei Jahren, als ich noch niemanden kannte, musste ich über Mauern klettern, um reinzukommen", erinnert er sich. Inzwischen kennt er die Türsteher. Kurzer Augenkontakt, dann kommt er ohne Probleme mit seiner gefüllten Bauchtasche hinein. "An einem Wochenende verdiene ich durchschnittlich 3.000 Euro. Es können aber auch mal bis zu 6.000 sein", behauptet Joseph. Zumindest, wenn er selbst nicht mitfeiere. Ein Gramm Kokain verkauft er dabei für 70 Euro, der Einkaufspreis würde bei 40 Euro liegen, rechnet er vor. Ein satter Gewinn.

Im Club steuert er auf direktem Weg zur Toilette. In der engen, dunklen mit Stickern beklebten Kabine riecht es unangenehm, berühren möchte man hier nichts. Doch Joseph holt zwei Kapseln voll mit weißem Pulver hervor: Ketamin – ein Betäubungsmittel – und Kokain. Beides mischt er auf dem abgelegten Handy zusammen und rollt einen 50-Euro-Schein.

Innerhalb von Sekunden ist das feine Pulver in seiner Nase verschwunden. Er zieht hoch und kneift die Augen zusammen. Heute will Joseph lieber mehr feiern als verkaufen. Seine Pupillen sind groß und tiefschwarz.

Haben Sie oder Angehörige und Freunde ein Suchtproblem? Dann wenden Sie sich an das bundesweite Sorgentelefon für Suchtberatung des Deutschen Roten Kreuzes unter 06062-60767. Zu erreichen Freitag bis Sonntag und an gesetzlichen Feiertagen in der Zeit von acht bis 22 Uhr.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Joseph und Vorort-Beobachtungen
  • Interview Drogenfahnder Olaf Schremm
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