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Sylt nach Hitlergruß und rechtsextremen Parolen: Empört euch endlich!


Hitlergruß auf Sylt
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch

MeinungVon Tobias Eßer

24.05.2024Lesedauer: 3 Min.
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Gäste der Diskothek "Pony" auf Sylt: In einem viralen Video zeigt der Mann ungeniert den Hitlergruß.Vergrößern des Bildes
Gäste der Diskothek "Pony" auf Sylt: In einem viralen Video zeigt der Mann ungeniert den Hitlergruß. (Quelle: dpa/Axel Heimken, X)

Sylt-Urlauber grölen rechtsextreme Parolen und zeigen den Hitlergruß in der bekannten Diskothek "Pony". Menschenfeindliche Parolen sind in allen Schichten wieder salonfähig geworden.

Keine 40 Jahre ist es her, da hielt der italienische Schriftsteller Primo Levi seine letzte öffentliche Rede mit dem Titel "Die Pflicht, Zeugnis abzulegen". Levi hatte wenige Jahre zuvor den Holocaust als Gefangener in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Auschwitz-Monowitz überlebt. In seiner Rede mahnt er die Jugend, die Gründe für den Aufstieg des Nationalsozialismus niemals zu vergessen: "Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Und darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben".

Levi starb im Jahr 1987. 37 Jahre später, im Jahr 2024, geht ein Video aus Sylt in den sozialen Netzwerken viral. Es zeigt Männer und Frauen, offensichtlich gut gekleidet, in der schicken Diskothek "Pony". Sie grölen "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus". Einer der Feiernden zeigt den Hitlergruß. Die ihn umgebenden Menschen scheint das nicht zu stören.

Es wird klar: Primo Levi lag mit seiner Annahme ganz richtig: Es kann wieder geschehen. Der Vorfall in Sylt zeigt: Wer glaubt, Rechtsextremismus sei allein ein Problem der unteren Einkommensschichten oder abgehängter Bürgerinnen und Bürger, der irrt – er ist salonfähig und seit Jahrzehnten auch bei den selbst ernannten Reichen und Schönen vertreten. Er bricht nur selten dann an die Oberfläche, wenn die Augen der Welt auf dieses Milieu gerichtet sind.

Video | Urlauber skandieren Nazi-Parolen
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Quelle: t-online

"Judenwitze" schon in der Schule

Ich kenne dieses Milieu schon seit Langem. Aufgewachsen im gutbürgerlichen Bonn, habe ich mich selbst auf Partys zwischen Ralph-Lauren-Hemden und Burberry-Mänteln bewegt. Nach den ersten Bieren und den ersten Gläsern Moët-Champagner gab es auch unter den Menschen mit Segelschuhen und teuren Designerhemden viele, die "aus Spaß" die Hand zum Hitlergruß erhoben oder Sprüche vom Stapel ließen, wie man sie sonst nur aus den Reihen der rechtsextremen AfD kennt.

Auch an meiner Schule, einem humanistischen Gymnasium mit Schülerinnen und Schülern, von denen viele aus gutem Hause stammten, war Rechtsextremismus immer ein Thema – zumindest auf dem Schulhof. Auch dort wurden ab der Mittelstufe "Witze" über Juden, über Schwarze, über Muslime gemacht. Antisemitismus war kein Randphänomen, sondern brachte die Lacher der Mitschülerinnen und Mitschüler zwischen Tischtennisplatten und Schul-Kiosk ein. Natürlich sind diese dummen Sprüche auch Resultat der bewussten Grenzüberschreitung unter Jugendlichen, den Boden für menschenfeindliches Gedankengut nähren sie dennoch.

Dass menschenfeindliche Aussagen auch heute noch an Gymnasien verbreitet sind, bestätigte 2023 eine Studie des Instituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung der Universität Potsdam: 23,9 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler an Gymnasien stimmten ausländerfeindlichen Aussagen "völlig" oder "eher" zu. Zwar ist die Zahl niedriger als an anderen Schulformen, aber dennoch zeigt knapp ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler an Gymnasien rechtsextreme Tendenzen.

Der Hitlergruß als gezielter Tabubruch

In vielen Universitätsstädten – so auch in Bonn – gibt es konservative Studentenverbindungen oder rechte bis rechtsextreme Burschenschaften, die das Weltbild vieler männlicher Abiturienten prägen. Dabei sind es nicht immer diejenigen Burschenschaften, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werden, die mit rechtsextremem Gehabe auffallen. Auch "auf Kneipen" – also Trinkabenden – der "normalen" Verbindungen hörte ich des Öfteren rechtsextreme Parolen oder sah, wie andere Studenten bierselig den rechten Arm zum Hitlergruß streckten. Darauf angesprochen, taten sie ihr Verhalten als Ironie ab. "Das ist doch nur Spaß."

Doch Spaß ist es sicher nicht – sondern Ausdruck einer sich zunehmend von der Demokratie entfernenden gesellschaftlichen Mitte. Das zeigt auch die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2023. Acht Prozent der Gesellschaft teilen ein rechtsextremes Weltbild, 20 Prozent sind einem Graubereich zuzuordnen, "die also kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, aber auch nicht klar demokratisch orientiert sind", sagte die Mitautorin der Studie, Beate Küpper, der "Tagesschau".

Rechtsextrem zu sein, sei nicht mehr etwas, das hinter vorgehaltener Hand passiere. "Das rechtsextreme Selbstverständnis wird mittlerweile selbstbewusst nach vorne getragen" – und das nicht nur in Plattenbauten in Rostock-Lichtenhagen, sondern auch im "Pony" auf Sylt.

Gegenwehr ist notwendig

Dieses gesellschaftliche Problem erfordert nun die Gegenwehr all jener, die solche rechtsextremen Ausbrüche ablehnen. Empörung darf es nicht erst geben, wenn das Video eines Vorfalls wie auf Sylt publik wird. Zivilcourage ist in dem Moment gefragt, in dem ein Spruch wie "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" skandiert oder der Hitlergruß gezeigt wird. Menschenfeinde müssen überall und immer mit Widerspruch gegen ihre ekelhaften Äußerungen rechnen. Passiert das nicht, haben wir als Gesellschaft verloren.

"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch", schrieb Bertolt Brecht im Theaterstück "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", einer Allegorie auf die Machtergreifung und den Machtausbau Hitlers und der Nazis. Das Zitat ist immer noch aktuell.

Verwendete Quellen
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