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Erbschaftsteuer umgehen: Tricks und Schlupflöcher der Superreichen


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Tagesanbruch
Der Skandal, der niemanden aufregt


Aktualisiert am 09.08.2024Lesedauer: 5 Min.
Luxusmeile Königsallee in Düsseldorf (Symbolbild): Wer reich geboren wird, hat dank der Erbschaftsteuer sehr gute Karten, noch reicher zu werden.Vergrößern des Bildes
Luxusmeile Königsallee in Düsseldorf (Symbolbild): Wer reich geboren wird, hat dank der Erbschaftsteuer sehr gute Karten, noch reicher zu werden. (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

tendieren auch Sie dazu, so wie ich vieles auf den letzten Drücker zu erledigen? Meine Steuererklärung zum Beispiel hätte schon längst verschickt sein können. Doch wahrscheinlich brüte ich noch am letzten Wochenende vor Abgabeschluss über der korrekten Anzahl der Homeoffice-Tage oder suche Belege für Handwerkerleistungen. Die Aufschieberitis könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass ich meist ordentlich Steuern nachzahlen darf. Motivierend ist anders.

Wie gemütlich wäre es da, wenn ich einfach beim Finanzamt beantragen könnte, dass man mich dieses Mal bitte verschone? Schließlich hätte ich gerade leider gar nicht genug Geld auf dem Konto, um meine Steuerschulden zu begleichen, dickes Sorry! Hören Sie den Finanzbeamten auch schon laut lachen? Mit (vorgetäuschter) Bedürftigkeit kommt man bei der Einkommensteuer nicht weit.

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Anders ist das bei der Erbschaft- und Schenkungssteuer. Hier lassen sich allerlei Tricks und Schlupflöcher nutzen – vor allem, wenn man ein Unternehmen erbt. Ist das mehr als 26 Millionen Euro wert, darf man in Deutschland einen Steuererlass beantragen. Damit dem stattgegeben wird, müssen Firmenerben zwar nachweisen, dass sie die Überweisung ans Finanzamt aus eigenen Mitteln nicht hinbekommen, sie können sich dabei aber "arm" rechnen.

Wie Milliardäre plötzlich bedürftig werden

Beliebt ist zum Beispiel die Übertragung von Firmenanteilen auf eine Familienstiftung. "Zufällig" gerade neu gegründet und daher noch mit leeren Kassen, sprich: bedürftig. Die Steuer kann erlassen werden. Praktisch auch, wenn ein minderjähriges Kind zur Familie gehört, dann bekommt das eben das Unternehmen übertragen und kann sicher sein, dass ihm das Finanzamt die Schenkungssteuer nicht vom Taschengeld abzieht. Alternativ funktioniert auch die Mathias-Döpfner-Methode: einfach rechtzeitig vor einer Milliardenschenkung so viele Springer-Aktien kaufen, dass man kein oder kaum noch verfügbares Vermögen hat. Problem gelöst.

26 Mal haben die Finanzämter im vergangenen Jahr solche großen Firmenübertragungen fast steuerfrei durchgewinkt. Wie aus Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht, verzichtete der Staat allein dabei auf mehr als 2,1 Milliarden Euro an Steuern. Welcher Steuersatz für diese 26 Großerben dabei herauskam, hat das Netzwerk Steuergerechtigkeit errechnet: 0,1 Prozent. Oder anders ausgedrückt: ein Steuergeschenk von im Schnitt rund 80 Millionen Euro für jeden.

Auch insgesamt liegt der effektive Erbschaft- und Schenkungssteuersatz nur unwesentlich höher. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt, dass jährlich etwa 300 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt werden, aber nur rund 8 Milliarden Euro an Steuern fließen – macht einen Steuersatz von 2,7 Prozent. Das ist ein Witz.

Das Geld könnte Deutschland gut gebrauchen

Angesichts der immer noch fehlenden Milliarden im Bundeshaushalt, der bröselnden Brücken, maroden Bahnstrecken und ramponierten Schulen, der Finanzkrise in den Sozialversicherungen und der Herausforderungen beim Klimaschutz ist es unverständlich, wieso der Staat dieses riesige Potenzial nicht nutzt. Wieso er die Erbschaftsteuer nicht so reformiert, dass Missbrauch schwieriger wird – und nicht ausgerechnet diejenigen am wenigsten zahlen, die am meisten haben.

Natürlich kenne ich die Argumente, die insbesondere der Verband der Familienunternehmen immer wieder vorbringt. Da die Erbschaftsteuer auf Kapital gezahlt werden muss, das in einem Unternehmen steckt, müsse – wenn sie zu hoch ausfalle – entweder ein Teil der Firma verkauft oder Kapital aus dem Unternehmen entnommen werden. Das koste Umsatz, Arbeitsplätze und schade am Ende auch dem Wirtschaftswachstum. Allein: Das stimmt einfach nicht.

Erbschaftsteuer lässt sich stunden

Eine effektive Erbschaftsteuer führt nicht zwangsläufig dazu, dass Unternehmen aufgelöst werden müssen. Denn wer sagt denn, dass die Steuerschulden unbedingt auf einen Schlag im ersten Jahr gezahlt werden müssen? Sie lassen sich auch per Stundung über Jahre abstottern, indem Unternehmen immer wieder einen Teil ihres Gewinns ans Finanzamt abführen. Das gefährdet niemanden. Und wenn doch, hat die Firma ganz andere Probleme. Dann wäre es vermutlich sogar besser, sie würde nicht mit einem Steuergeschenk künstlich am Leben gehalten.

Auch andere Modelle sind denkbar: So könnte der Staat stiller Teilhaber werden. Die Firmenerben könnten ihm die Anteile dann mit der Zeit wieder abkaufen und hätten so ihre Steuerschuldigkeit getan. Ebenso ist es möglich, einen Teil des Unternehmens in Wertpapiere umzuwandeln und an die eigenen Mitarbeiter oder die breite Öffentlichkeit zu übertragen. Das täte auch der Gesellschaft gut, wenn nicht nur einige wenige den Großteil des Kapitalvermögens besitzen.

Erben beziehen leistungsloses Grundeinkommen

Womit wir beim zweiten Argument gegen eine effektive Erbschaftsteuer wären: Aber das Vermögen ist doch hart erarbeitet und wurde bereits versteuert. Das stimmt natürlich für den Erblasser oder den Schenkenden, nicht aber für den Empfänger. Für Erben und Beschenkte ist es lediglich ein Gewinn im Elternbingo. Man könnte auch sagen: ein leistungsloses Grundeinkommen. Nur scheint das niemanden so recht aufzuregen, wenn es um Millionenbeträge geht. Bei ein paar Euro mehr Bürgergeld hingegen schon.

Trotz der offensichtlichen Ungerechtigkeit und des großen Hebels für die Staatsfinanzen ist der Widerstand gegen eine Reform der Erbschaftsteuer groß. In Gang setzen müsste sie der Bundesfinanzminister. Und der ist bekanntlich kein Freund von Steuererhöhungen. Dabei sollte es gerade im Sinne der FDP sein, Dynastienbildung zu vermeiden. Es wäre sogar möglich, die Erbschaftsteuer einnahmenneutral zu reformieren – wenn man die Besteuerungsgrundlage verbreitert, sprich: Schlupflöcher für Reiche stopft, und im Gegenzug die Steuersätze für alle senkt. Dann hätte der Staat zwar nicht mehr Geld, aber die Steuer wäre wenigstens gerecht.

Vielleicht richtet es ja ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dort liegt die Erbschaftsteuer nämlich derzeit wegen der Privilegien für Firmenerben (1 BvR 804/22). Schon 2014 hatte das Gericht die Steuervorteile für verfassungswidrig erklärt. Doch das anschließende Reförmchen der Großen Koalition hat offensichtlich nicht genug gebracht. Ein zweites Mal sollte das nicht passieren.


Was steht an?

Deutschland gegen Spanien, die Revanche: Ab 15 Uhr hat die deutsche Frauen-Nationalmannschaft die Chance, es besser zu machen als die Fußball-Herren und sich mit einem Sieg gegen die Spanierinnen die Bronzemedaille zu sichern. ZDF und Eurosport übertragen live.

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Sie steigt wohl wieder leicht: Vorläufigen Zahlen zufolge verteuerten sich Waren und Dienstleistungen im Juli um durchschnittlich 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Heute legt das Statistische Bundesamt die detaillierten Daten vor. Im Juni lag die Inflationsrate noch bei 2,2 Prozent.


Ohrenschmaus


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Zum Schluss

Nicht mal im Urlaub kann man entspannen.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag – idealerweise ohne Hai-Alarm! Am Montag schreibt meine Kollegin Annika Leister für Sie.

Herzliche Grüße

Christine Holthoff
Redakteurin Finanzen
X: @c_holthoff

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Mit Material von dpa.

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