Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Freizeitkrankheit grassiert bundesweit

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es ist so weit! Die Feriensaison wird an diesem Wochenende offiziell eröffnet. Der Osten hat die Nase vorn: In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen schielen die Schüler mal kritisch, mal zufrieden auf ihre Zeugnisse und zählen die Minuten bis zum Schlussgong. Auch Eltern und Nichteltern können's kaum erwarten: Koffer werden gepackt, Autos beladen, Bordkarten auf Handys geladen. Sommer, Sonne, Entspannung! Das Gegenprogramm zum stressigen Alltag kann endlich beginnen.
Zu gelungenen Ferien gehören viele Zutaten. Eine wird unterschätzt: nämlich Entschlossenheit. Durch nichts, aber auch gar nichts sollte man sich die Ferienlaune vermiesen lassen! Freundlich, aber bestimmt lassen wir also Berichte über immer mehr Randalierer in Flugzeugen an uns abgleiten ("Kurz nach dem Start verließ der Mann seinen Platz in der Business Class, näherte sich einer Flugbegleiterin, ergriff mit beiden Händen ihre Brüste, schüttelte sie und schrie sie an", vermeldet Report Mainz). Nur aus dem Augenwinkel nehmen wir wahr, dass im weltberühmten Pariser Louvre das Personal auf die Barrikaden gegangen ist, weil es im Besucheransturm untergeht. Frankreich hat sich auf der Liste der meistbelagert... pardon, beliebtesten Reiseziele im weltweiten Tourismus übrigens auf den ersten Platz vorgearbeitet. Chapeau!
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Das kann man nebenan natürlich nicht auf sich sitzen lassen, weshalb die Italiener in dieser Saison den Turbolader des Heiligen Jahres zugeschaltet haben. Moment, ich glaube, so sagt man das nicht … gefeiert wird das Heilige Jahr! Ja, das ist besser. Und wer feiert, der lädt kräftig ein. Alle dürfen kommen – und das tun sie prompt. In Rom wird es dementsprechend ziemlich voll. Also lieber ein schattiges Plätzchen abseits des Trubels suchen. Schattig ist sowieso gut: In Rom herrschen gegenwärtig sonnige 34 Grad, in Florenz sind es 35, in Perugia 36, für Puglia werden 39 Grad vorausgesagt, und das Gute daran ist, dass es einem auf der Webseite "Segnalazione Fenomeni Intensi" des italienischen Wetterdienstes, bei den "intensiven Phänomenen" also, nie langweilig wird. Da ist was los: Starkregen, Gewitter, Hagel, Sturmböen, Hitze – die haben alles. Sogar gleichzeitig.
So äußert er sich eben, der Klimawandel: spaßbremsend, launeverderbend, Waldbrände, Erdrutsche, Sie wissen schon. Deshalb wird er mit angemessenem Ernst auch immer wieder Thema hier im Tagesanbruch sein. Aber heute ist Freitag und Ferienstart, Krisen und Kriege haben deshalb ausnahmsweise Pause. Wir wollen die Urlaubslaune mit Zähnen und Klauen verteidigen! Entschlossen! Trotz der Weltlage! Ein bisschen reinhängen müssen wir uns für die gute Stimmung schon. Von nichts kommt nichts.
Urlaub ist allerdings nichts für Amateure. Man braucht Nerven wie Drahtseile. In Spanien gehen die Einheimischen gegen die weniger Einheimischen auf die Straße – wie immer, das ist dort mittlerweile jedes Jahr so. Hoteleingänge wurden mit Absperrband abgeklebt, gegen die Besucher aus der Fremde kamen Wasserpistolen zum Einsatz. Der Tourist mag alleine ein freundliches Wesen sein, wird bei massenhaftem Auftreten aber genauso als Plage wahrgenommen wie andere Lebewesen auch. Eigentlich ist das wenig überraschend. Wenn einem die Ameisen auf die Pelle rücken, sprüht man ja auch irgendwas.
Nicht jeder ist zu Beginn der Ferien erholt genug, um seinen Urlaub erfolgreich durchzustehen. Fast 20 Prozent der Bundesbürger scheitern regelmäßig daran, klappen ab, fallen um. Die Freizeitkrankheit – die es wirklich gibt! – hat mehr als zwei Drittel der deutschen Arbeitnehmer schon mal erwischt. Bereits ein Wochenende kann genügen, damit die Symptome ausbrechen, und in den Ferien geht es dann erst richtig rund. "Leisure Sickness", so heißt das Phänomen korrekt, reicht vom Schnupfen über Kopfschmerz bis zum Fieber und beschert einem die Krankheitstage in der arbeitgeberfreundlichsten Form, nämlich wenn man endlich frei hat. Das kennen tatsächlich viele Leute, Hokuspokus ist es nicht. Eine neue Studie hat die Verbreitung gerade neu vermessen.
Vor allem die Jüngeren erwischt es oft. Alte Hasen, die mit allen Wassern gewaschen sind, stehen ihre Ferien im Durchschnitt besser durch. Die Wissenschaft hat deshalb das dauernde Gedaddel am Handy im Verdacht: Wer ständig im Netz surft, surft zu wenig auf den echten Wellen. Die "Likes" auf Instadings reißen es nicht raus, machen krank und blass. Immerhin gibt es zur Nachtönung digitale Filter, bevor man das Selfie online stellt. Na dann.
Wie man sieht, muss für den gelungenen Urlaub nicht nur das Wetter mitspielen. Ohne den eisernen Willen zur Erholung kommt man da nicht durch. Die Schüler in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fiebern ihren Ferien entgegen? Die Unschuld der Jugend! Rührend eigentlich. Die haben noch gar keine Ahnung, was da auf sie zukommt. Die Feriensaison ist jedenfalls eröffnet. Also Ärmel hochkrempeln, tief Luft holen – und los geht's!
SPD im Sturm
Der heute beginnende SPD-Parteitag verspricht turbulent zu werden. Zum einen herrscht anschwellendes Grummeln über Parteichef Lars Klingbeil, weil er trotz seiner Mitverantwortung für das katastrophale Bundestagswahlergebnis alle Macht auf sich vereint und die Desavouierung seiner scheidenden Co-Vorsitzenden Saskia Esken nicht verhindert hat. Es wird daher damit gerechnet, dass der Vizekanzler bei seiner Wiederwahl ein schlechteres Ergebnis einfährt als Eskens designierte Nachfolgerin Bärbel Bas. Zum anderen tobt eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht: Verteidigungsminister Boris Pistorius will sie vorbereiten, die Jusos lehnen das ab. Und dann sind da noch die Russlandversteher um Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, die mit Angriffskrieger Wladimir Putin wieder ins Gespräch kommen wollen.
Aber damit nicht genug. Die Dramaturgie dieses Freitags sieht vor, dass die unabhängige Mindestlohnkommission aus je drei Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern voraussichtlich am frühen Nachmittag ihre Entscheidung über eine Anhebung der gesetzlichen Lohnuntergrenze (derzeit 12,82 Euro pro Stunde) für die Jahre 2026 und 2027 bekannt gibt. Sollte sie dabei unter den von der SPD geforderten 15 Euro bleiben – und einiges spricht dafür –, droht auf dem Parteitag ein Sturm. Zwar hat der neue Generalsekretär Tim Klüssendorf angekündigt, bei 14,92 Euro würden die Sozialdemokraten keine Gesetzesinitiative starten. Entsprechende Anträge für den Parteitag gibt es aber trotzdem. Unser Reporter Daniel Mützel wird auf t-online vom Gipfeldrama der Genossen berichten.
Tanz ums Ticket
Wie geht es mit dem Deutschlandticket weiter, wer finanziert es und wie dauerhaft? Um diese Fragen ringen Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) und seine Länderkollegen heute in einer Sonderkonferenz. Derzeit ist die Finanzierung des Nahverkehrs-Abos, das mehr als 13 Millionen Menschen in Deutschland nutzen, nur für dieses Jahr gesichert. Das Regierungsbündnis aus CDU, CSU und SPD hat sich im Koalitionsvertrag auf eine Fortsetzung geeinigt – mit dem Zusatz, dass der Anteil der Nutzerfinanzierung erst ab 2029 schrittweise und sozialverträglich erhöht werden soll.
Bislang bezuschussen Bund und Länder das bundesweite Angebot, das derzeit 58 Euro im Monat kostet: Mit jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr gleichen sie Einnahmeausfälle von Verkehrsbetrieben aus. Aus Sicht der Branche reicht das vorn und hinten nicht. Während die Länder den Bund in der Pflicht sehen, schwebt Minister Schnieder ein fester Preismechanismus vor, etwa analog zur Inflation.
Protz-Party in Venedig
Schon seit Tagen wirft das Promi-Event seine Schatten voraus, heute soll es über die Bühne gehen: Amazon-Multimilliardär Jeff Bezos und die ehemalige TV-Moderatorin Lauren Sánchez wollen sich in Venedig das Jawort geben. Dafür sind in der Lagunenstadt ganze Viertel abgesperrt, mehr als 100 Privatjets superreicher Hochzeitsgäste werden auf dem Marco-Polo-Flughafen erwartet. Klar, dass sich gegen solche kapitalistische Dekadenz in der vom Massentourismus gebeutelten Stadt Widerstand regt. Wahr ist aber auch: Anders als manche Kreuzfahrturlauber werden diese Besucher immerhin richtig Geld dalassen.
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Ohrenschmaus
In Künzelsau gibt's heute gute Musik: Mister Adams spielt auf. Wem der Weg ins Hohenlohische zu weit ist, kann hier klicken.
Zum Schluss
Die Bundesregierung ist ein leuchtendes Vorbild.
Ich wünsche Ihnen einen leuchtenden Tag.
Herzliche Grüße und bis morgen
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.