Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Die Hitze hat erste Folgen

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
heute ist kein normaler Tag. Der gestrige war auch nicht normal, der morgige wird es ebenfalls nicht sein. Aber wenn es eine Steigerungsform von unnormal gäbe, dann bräuchten wir sie heute. Sie merken es selbst: Es ist heiß, sehr heiß. Bundesweit steigt das Thermometer auf Werte zwischen 32 und 37 Grad, vielleicht auch mehr. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat für fast ganz Deutschland amtliche Hitzewarnungen verkündet. Sonnenkappe, viel trinken und ein Schattenplätzchen sind also wärmstens empfohlen, wenn Sie mir diesen Kalauer gestatten.
Nicht nur die Hitze setzt den Menschen zu. Auch die UV-Strahlung erreicht bundesweit ungewöhnlich hohe Werte. Mit 8 von 11 Punkten war sie gestern schon "sehr hoch", heute dürfte sie weiter steigen. Der DWD rät zu "unbedingten Schutzmaßnahmen" und schreibt: "Der Aufenthalt im Freien zwischen 11 und 16 Uhr sollte möglichst gemieden und auch im Schatten sollten lange Kleidung, Sonnencreme, Sonnenbrille und ein breitkrempiger Hut getragen werden. Übermäßige UV-Strahlung kann zu Sonnenbrand, einer beschleunigten Hautalterung und Hautkrebs führen." Sprich: Selbst wer sich brav im Schatten aufhält, muss an Tagen wie diesen mit Gesundheitsrisiken rechnen. Und Tage wie diese wird es Klimaforschern zufolge nun immer mehr geben. Sommerhitze ist normal, Temperaturrekorde sind es nicht.
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Nicht nur auf dem Thermometer macht sich die Erderhitzung bemerkbar. Auch die Natur verändert sich rasant. In den Alpen schwinden Gletscher und stürzen Berge, an den Küsten steigt der Meeresspiegel. 80 Prozent aller Bäume hierzulande sind krank, die Wälder lichten sich. Gewitter kommen immer häufiger in Form von Sintfluten daher.
Auch ungewöhnliche Wetterphänomene treten vermehrt auf. In Portugal wurden Strandbesucher von einer "Rollwolke" überrascht, die mit heftigen Sturmböen auf die Küste zufegte: "Am meisten Angst hat der Wind gemacht und dass alles dunkel wurde", erzählt eine Strandbesucherin.
Die Klimakrise verändert die Welt schneller, als viele Leute es wahrhaben wollen. Zwischen Alltag und Urlaub, zwischen Nachrichten von Trump und Putin ist der Klimaschutz in den Hintergrund gerückt. Das gilt auch für die Bundesregierung, deren Haushaltsplan viel Geld für Renten und Waffen vorsieht, aber wenig für die Unterstützung bei Klimaschäden – sowohl im Aus- wie im Inland. Den Etat für humanitäre Hilfe will die schwarz-rote Regierung um die Hälfte kürzen; Opfer von Dürren und Überschwemmungen werden es zu spüren bekommen. Auch hierzulande treffen die Behörden nicht genügend Vorkehrungen für extreme Hitzewellen, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie – und warnt vor "Zehntausenden Todesfällen binnen weniger Tage". Alten Menschen macht die Hitze besonders zu schaffen.
Anspruch und Realität klaffen beim Klimaschutz immer weiter auseinander. Die EU-Kommission will heute schon wieder ein neues Klimaziel vorgeben, diesmal für 2040. Bisher sollen die Mitgliedstaaten ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent reduzieren und bis 2050 klimaneutral werden, also nicht mehr Emissionen ausstoßen, als wieder gebunden werden können. Nun kommt auch noch ein Zwischenziel hinzu, über das dann auch wieder monatelang in den nationalen Parlamenten debattiert wird. Dabei ist schon das Ziel für 2030 kaum noch erreichbar, und die Kommission hat – auch auf Druck Deutschlands – ihren großspurig verkündeten "Green Deal" zu einem Dealchen aufgeweicht. Man will die Wirtschaft schonen und die Bürger nicht überstrapazieren. Man fürchtet Wahlerfolge rechter Parteien wie der AfD.
Doch es wäre unredlich, den schwarzen Peter allein den Politikern zuzuschieben. Die meisten Bürger verhalten sich so, als gäbe es kein Morgen. Ich möchte Ihnen keine Belehrungen erteilen, aber meiner Verwunderung Ausdruck verleihen darf ich schon: Finden Sie es nicht auch sonderbar, wie viele Zeitgenossen immer noch unbekümmert weiterkonsumieren, weiterfahren, weiterfliegen, weiteressen, als gehe sie die Erderhitzung und das Artensterben nichts an? Ich habe den Eindruck, es betrifft die Mehrheit der Menschen, und zu meiner Bestürzung bin ich selbst oft einer von ihnen. Es braucht dringend einen Wandel – nicht den des Klimas, sondern den unserer Gewohnheiten.
Google fälscht Nachrichten
Was ist denn da los? Dies denken viele Leserinnen und Leser, die sich den Tagesanbruch als Newsletter an eine E-Mail-Adresse von Google schicken lassen, also Gmail. Diese Abonnenten beschweren sich über haarsträubende Schreibfehler und fragen uns in empörten Zuschriften, ob wir Autoren eigentlich noch alle Tassen im Schrank haben.
Ich darf Sie beruhigen: Haben wir. Google aber leider nicht. Im Gegenteil: Google hat mehr als nur eine digitale Schraube locker. Der steinreiche Digitalkonzern ist unfähig, seinen E-Mail-Kunden eine anständige Kommunikation zu ermöglichen. Er treibt Schindluder mit den Konten seiner Nutzer, beschädigt dabei das Renommee von Qualitätsmedien und ignoriert jeden Versuch, das Problem zu lösen.
Was ist geschehen? Google hat seine KI-gestützte Übersetzungsfunktion "Translate" im Gmail-Dienst ausgerollt. Sie führt dazu, dass in den E-Mails der Nutzer deutsche Texte absurderweise erneut ins Deutsche "übersetzt" werden – wobei die miserable Google-Technologie fehlerhafte Ergebnisse halluziniert. Dabei werden Grammatik- und Rechtschreibfehler eingebaut, in vielen Fällen auch Texte grob sinnentstellt. So verwandelt Google beispielsweise den Begriff "israelische Regierung" in "russische Regierung", was Tagesanbruch-Texte natürlich massiv kompromittiert. Jeden Kontaktversuch meiner Technikkollegen, die das Problem lösen wollen, hat Google ignoriert.
Es bleiben also nur zwei Lösungen: Falls Sie den Tagesanbruch unverfälscht lesen möchten, schalten Sie die Übersetzungsfunktion in Ihrem Browser aus. Oder noch besser: Wechseln Sie zu einem seriösen E-Mail-Anbieter. Es gibt ja genügend, auch von t-online.
Koalitionäre reden Tacheles
Koalitionsausschüsse, die bis spät in die Nacht gehen, werde man von ihm nicht sehen, hat Kanzler Friedrich Merz in Abgrenzung zu den berüchtigten Marathonsitzungen der Ampel angekündigt. Zudem lobt er gern das "ausgesprochen gute Miteinander" in seiner Regierungsmannschaft. Wenn heute die Spitzen von CDU, CSU und SPD zusammenkommen, werden diese Aussagen dem Praxistest unterzogen. Es hat sich nämlich allerhand Konfliktpotenzial angestaut bei den schwarz-roten Partnern.
Da ist zum einen der Streit über die Stromsteuer, deren avisierte Senkung für alle Betriebe und Bürger mehrere Milliarden Euro kosten würde – weshalb Finanzminister Lars Klingbeil in seinem Haushaltsentwurf die Priorität auf das produzierende Gewerbe gelegt und private Verbraucher weitgehend ausgenommen hat. Kritik daran kam auch aus der Union. Zum anderen stehen die Kosten des Bürgergelds auf der Tagesordnung. Während Unionsfraktionschef Jens Spahn dort Einsparpotenziale sieht, will SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas keinen sozialen Kahlschlag verantworten. Viel Gesprächsstoff also bis zur 19-Uhr-Zielmarke – die hatten die Parteispitzen bei ihrem ersten Koalitionsausschuss minutiös eingehalten.
Polen reagiert
Es ist die erwartbare Antwort auf die verschärfte deutsche Migrationspolitik: Von Montag an will auch Polen Kontrollen an seinen Grenzen zu Deutschland und Litauen durchführen. Die bisherige Geduld gegenüber den einseitigen deutschen Kontrollen könne nicht mehr aufrechterhalten werden, meinte Ministerpräsident Donald Tusk gestern in Warschau. Seit dem knappen Sieg des rechtskonservativen PiS-Kandidaten Karol Nawrocki bei der Präsidentschaftswahl vor einem Monat steht der liberale Regierungschef unter starkem Druck.
Während sich die Regierungen in Berlin und Warschau also von Nationalisten treiben lassen, sterben die Errungenschaften des Schengen-Abkommens einen langsamen Tod. Leidtragende sind dabei nicht nur Pendler, Urlauber und Gewerbetreibende, die vermehrt im Stau stehen. Auch Asylbewerbern droht eine unwürdige Behandlung: Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor einem "Pingpong-Spiel" der Zurückweisungen an der deutsch-polnischen Grenze.
Taxi-Protest
Mit Autokorsos und Kundgebungen in Berlin, Frankfurt, Stuttgart, Mainz und Köln protestiert heute das Taxi-Gewerbe gegen als unfair empfundene Wettbewerbsbedingungen. Die Branche sieht sich gegenüber Mietwagenplattformen wie Uber und Bolt im Nachteil, weil deren Preise nicht behördlich reguliert werden. Zu den Forderungen der Taxifahrer gehört die Einführung von Mindestpreisen auch für die digitalen Anbieter. Klingt logisch.
Anpfiff
In der Schweiz beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Meine Kollegin Kim Steinke ist vor Ort und versorgt Sie mit allen wichtigen Infos rund um das Turnier. Die deutsche Mannschaft spielt am Freitag das erste Mal und trifft um 21 Uhr auf Polen.
Lesetipps
Es gibt Texte, von denen wünscht man sich, dass jeder Politiker sie liest. Die Kolumne von Uwe Vorkötter über Google, Amazon und Meta ist so ein Text. Unbedingte Leseempfehlung.
Der US-Senat hat Donald Trumps horrend teures Steuergesetz mit hauchdünner Mehrheit gebilligt. Multimilliardär Elon Musk wettert weiter gegen das Vorhaben und droht mit der Gründung einer neuen Partei. Was das bedeuten würde, erklärt Ihnen mein Kollege David Schafbuch.
Anno 1540 herrschten sengende Hitze und quälende Trockenheit in Europa, Martin Luther wähnte das Jüngste Gericht nahe. Mein Kollege Marc von Lüpke erzählt Ihnen von einem außergewöhnlichen Jahr.
Ohrenschmaus
In meiner Geburtsstadt Stuttgart beginnt heute das Jazz-Open-Festival. Beim Konzert dieses Herrn wäre ich gern dabei, auch wenn er eher selten jazzt.
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen genug Abkühlung an diesem heißen Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch von Annika Leister, von mir lesen Sie am Freitag wieder.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.