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Archäologischer Fund: Antike Fressorgie auf den Orkneys


Antike Fressorgie auf den Orkneys


20.05.2018Lesedauer: 4 Min.
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Orkneys: Auf den Inseln vor der Küste Schottlands werden immer wieder archäologische Funde gemacht.Vergrößern des Bildes
Orkneys: Auf den Inseln vor der Küste Schottlands werden immer wieder archäologische Funde gemacht. (Quelle: Michael Runkel/imago-images-bilder)

Ein riesiges Festmahl fand vor 1.700 Jahren vor der Küste Schottlands statt. Davon zeugen Knochenfunde unzähliger Tiere. Schwor ein Herrscher seine Krieger auf den Kampf gegen die Römer ein?

Im dritten Jahrhundert hatten die Stämme Schottlands ein gravierendes Problem. Unten im Süden tummelten sich immer noch römische Truppen. In ihren eisernen Rüstungen marschierten die gedrillten Soldaten entlang der großen Mauer, die ihr Kaiser Hadrian einst hatte errichten lassen.

Die fremden Feldherren schmiedeten immer neue Pläne, auch den bislang noch freien Norden unter römische Herrschaft zu bringen. Wie konnten die Stämme sich gegen die drohende Gefahr wehren? Was konnten ihre Anführer tun, um ihre eigenen Männer zusammenzuschweißen und eine loyale Allianz gegen die fremden Invasoren zu schmieden?

Mehr als 11.000 Knochenstücke

Auf der Orkneyinsel South Ronaldsay, hoch oben auf einer stürmischen Klippe über der Bucht von Windwick, haben Archäologen der University of the Highlands and Islands möglicherweise eine Antwort auf diese Fragen gefunden. An der Ausgrabungsstätte "The Cairns" entdeckten sie die Überreste eines gewaltigen Festgelages.

Was dort vor über 1.700 Jahren stattfand, sprengte jedenfalls den Rahmen einer kleinen Privatfete: Mehr als 11.000 Knochenstücke holten die Ausgräber aus dem Boden, die Überreste von Hunderten von Tieren. Viele waren schmackhafte Nutztiere wie Rinder, Schafe oder Schweine, aber auch wilde Tiere wie Hirsch und Otter hatten die Gäste verspeist.

Die Reste der üppigen Mahlzeit erzählen vom Überfluss, der bei diesem Gelage geherrscht haben muss. Denn die Knochen sind nicht etwa völlig abgeschabt oder gar aufgebrochen, um auch noch das letzte Mark aus ihnen herauszusaugen. Vielmehr wurden sie lediglich halbherzig abgenagt und dann auf den Müll geworfen – zu damaliger Zeit eine fast schockierende Verschwendung.

Teils gegrillt, teils gekocht

Ein Teil des Fleisches wurde gegrillt, andere Stücke gekocht, wie die vielen kleinen Kiesel zwischen den Knochen verrieten. Die Steinchen wurden im Feuer erhitzt und dann in Kochtöpfe gegeben, um deren Inhalt zum Sieden zu bringen. Immer wieder fanden die Archäologen auch Scherben von Trinkgefäßen in den Speiseresten.

"Es scheint, als hätten die Gäste unseres Festes Rinderhaxe, gekochtes Schweinefleisch und gegrilltes Lamm verspeist, um es dann mit in Bechern servierten Getränken hinunterzuspülen", malt Grabungsleiter Martin Carruthers im Blog des Archäologischen Instituts der Universität die Szene aus.

Dass die Veranstaltung jedoch eine tiefere Bedeutung gehabt haben muss, schloss er nicht nur aus der Größe des Gelages. Denn außer den Speiseresten fanden die Ausgräber auch mindestens 60 Gussformen für Schmuckstücke. Mit einigen ließen sich Ringe herstellen, andere formten die Rohlinge für große Schmucknadeln, die auch als "keltische Broschen" bekannt sind.

Niemand hat aufgeräumt

Sie spiegeln nicht etwa das Repertoire einer Werkstatt wieder, die über einen langen Zeitraum verschiedene Designs erprobte, sondern wurden alle zeitgleich benutzt – und anschließend liegen gelassen. Besonders gründlich aufgeräumt hat niemand, denn auch Bronzereste, kleine Bronzetröpfchen und Schmelztiegel lagen über die Stätte verteilt.

An einigen Stellen mischen sich die Reste des Festmahls mit denen der Gussarbeiten – wahrscheinlich fanden also Schmuckherstellung und Gelage zur gleichen Zeit statt. "Der enge stratigrafische Zusammenhang zwischen den feinen Metallarbeiten und dem Fest wirft die Frage auf, was hier eigentlich geschah", schreibt Carruthers. "Eine Möglichkeit, die ich besonders mag, ist, dass die Feier ein spektakuläres gesellschaftliches Ereignis war – bei dem die Erzeugnisse der Schmuckherstellung vom Betreiber der Werkstatt an bestimmte Empfänger vergeben oder verschenkt wurden."

Wollte der Herrscher von "The Cairns" sich mit den Geschenken die Loyalität seiner Untertanen erkaufen? "Der Menge an Tierknochen nach zu urteilen war jedenfalls der größte Teil, wenn nicht sogar die gesamte Gemeinschaft, beteiligt", berechnet Carruthers.

"Widerliche kleine Briten"

Wer könnte der mysteriöse Gönner gewesen sein? Unweit des Festplatzes, etwa 30 Meter südwestlich, wurde etwa um die Zeit der Feier ein großes rechteckiges Gebäude mit einem imposanten Herd errichtet. Es steht unmittelbar über den Ruinen eines alten Wehr- oder Wohnturms, eines sogenannten Brochs. Hier, vermutet Carruthers, könnten der Auftraggeber der Schmuckschmiede und Köche residiert haben.

Größere Verbände und Einheiten gab es zu jener Zeit im Norden Schottlands noch nicht. Die römischen Soldaten am Hadrianswall bezeichneten alle Bewohner des Nordens als Brittunculi, als "widerliche kleine Briten". Die Geschichtsschreiber sprachen zwar vom Reich Caledonien. Wo dies aber genau lag, wie seine Grenzen verliefen oder wer seine Bürger waren, ist nicht bekannt – und vermutlich hätte kein Bewohner des Nordens sich selbst als Caledone bezeichnet, das legendäre Reich war eine rein römische Erfindung.

Weitere Antworten möglich

Die Orkneyinseln jedenfalls scheinen zumindest zeitweise ein eigenständiger Bezirk gewesen zu sein. Als Kaiser Claudius im Jahr 43 den Süden Britanniens erobert hatte, gehörte zu den elf britischen Königen, die sich ihm unterwarfen, auch der "König von Orkney".

Ob der Herrscher von "The Cairns" jedoch rund 200 Jahre später zu seinen Nachfahren zählte, bleibt ungewiss. Carruthers erhofft sich aus der andauernden Grabung jedenfalls noch weitere Antworten: "Die Ausgrabung erlaubt uns einen direkten Blick in die sozialen Umstände der eisenzeitlichen Gesellschaft", freut er sich.

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