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Runenstein von Rök: Warum Wikinger panische Furcht vor dem Klimawandel hatten


Mysteriöser Runenstein
Warnt ein Wikingerstein vor dem Ende der Welt?


Aktualisiert am 16.02.2020Lesedauer: 4 Min.
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Stürmische See und der Runenstein von Rök (Bildcollage): Forscher haben die Botschaft der Wikinger neu interpretiert.Vergrößern des Bildes
Stürmische See und der Runenstein von Rök (Bildcollage): Forscher haben die Botschaft der Wikinger neu interpretiert. (Quelle: akg-images/Design Pics/dpa)

Lange dachten Forscher, der berühmte Runenstein von Rök wäre vergangenen Heldentaten gewidmet. Doch nun gibt es eine weitere Theorie: Die Runen aus der Vorzeit erinnern an eine Klimakatastrophe.

Greta Thunberg ist nicht die erste Schwedin, die sich um die Klimakatastrophe sorgt, sondern bereits vor vielen Jahrhunderten ging die Furcht unter frühen Bewohnern des heutigen Schwedens um. Das folgert zumindest ein interdisziplinäres Forscherteam um Per Holmberg von der Universität Göteborg, nachdem die Wissenschaftler den Text des Runensteins von Rök neu interpretiert haben.

Das Monument, um das Jahr 800 in Östergötland errichtet worden, ist der wohl berühmteste Runenstein der Wikingerzeit. Das Ergebnis der Forscher ist zudem überraschend: Der Text – mit mehr als 700 Runen zudem die längste bekannte Runeninschrift der Welt – handelt nicht etwa von vergangenen Heldentaten, wie bislang vermutet wurde. Vielmehr geht es um Naturkatastrophen. Und die Angst, dass weitere unmittelbar bevorstehen.

Hunger und Seuchen herrschten

Aufgestellt wurde der Stein von Rök von einem gewissen Varinn für seinen in der Schlacht gefallenen Sohn. "aft uamuþ stonta runaR þaR", beginnt der Text: "Zum Gedenken an Vāmōðʀ stehen diese Runen." Doch der Text, der darauf folgt, gab den Forschern schon lange Rätsel auf. Von einer Schlacht, die zum Todeszeitpunkt bereits neun Generationen zurücklag, ist darin die Rede. Rechnet man pro Generation rund 30 Jahre, beschreibt Varinn also eine Schlacht, die um das Jahr 530 stattfand.

Das Forscherteam, in dem erstmals Skandinavisten eng mit Archäologen, Historikern und Religionswissenschaftlern an der Interpretation des Textes zusammengearbeitet haben, glaubt, dass damit tatsächlich ein traumatisches Ereignis gemeint ist – so furchtbar, dass Varinns Volk sich auch nach 270 Jahren noch daran erinnerte. Allerdings keine reale Schlacht: sondern die sogenannte Wetteranomalie von 536 nach Christus.

Das Jahr 536 war eines der schlimmsten in der Geschichte der Menschheit. Es war bitterkalt, die Geschichtsschreiber berichten sogar von Schnee im August. Die Sonne hatte ihre Kraft verloren, selbst zur Mittagszeit schien sie nicht heller als der blasse Mond. Ein ständiger Schleier verdunkelte den Himmel. Ohne Licht und Wärme blieben die Ernten aus, überall herrschten Hunger und Not. Kriege und Seuchen brachen aus.

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War ein Vulkan schuld?

Weltweit war die Kältewelle zu spüren – besonders schlimm aber traf es Skandinavien. Bis zu 50 Prozent der Bevölkerung, so schätzen Archäologen, überlebten den Kälteeinbruch nicht. Was genau diese Klimaanomalie auslöste, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Vermutlich fand zuvor in einem anderen Teil der Welt ein gewaltiger Vulkanausbruch statt, beispielsweise des indonesischen Krakatau oder des Ilopango in El Salvador. Die dabei in die Erdatmosphäre geschleuderten Asche- und Staubpartikel filterten das Sonnenlicht und führten so zu Kälte und Dunkelheit.

Wahrscheinlich prägten die schrecklichen Ereignisse von 536 entscheidend die nordische Mythologie. Das verheerende Jahr ohne Sommer spiegelt sich zum Beispiel in der Prophezeiung des Fimbulwinters wider, der den Untergang der Götter einleiten wird. In der Edda ist der Fimbulwinter beschrieben: Drei Winter wird er andauern, ohne einen Sommer dazwischen. Der Schnee wird von allen Seiten kommen. Kriege werden ausbrechen. Und dann beginnt Ragnarök – die letzte Schlacht, in der die Götter sterben und die Welt untergehen wird.

Auch wenn sich die Natur nach 536 langsam wieder erholte, saß die Angst vor einem furchtbaren Fimbulwinter den Skandinaviern gewissermaßen tief in den Knochen. Und dann, schreibt das Forscherteam um Holmberg in ihrem Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Futhark, mehrten sich zu Lebzeiten von Varinn tatsächlich die Anzeichen für ein bevorstehendes Ende der Welt.

Der Himmel färbte sich blutrot

Im Jahr 775 traf ein gewaltiger Sonnensturm die Erde. Unmengen von Strahlung und geladenen Teilchen fegten über die Erdoberfläche hinweg. Radioaktive Atome in Baumringen geben noch heute einen Eindruck von der Schwere der Katastrophe. Würde ein solcher Sturm heute die Erde treffen, brächen sämtliche Strom- und Kommunikationsnetze zusammen, der weltweite Verkehr käme zum Erliegen.

Einen kleinen Vorgeschmack brachte der sogenannte Carrington-Event von 1859, bei dem weltweit die Telegrafenleitungen Funken sprühten und Nordlichter über den Himmel von Kuba, Jamaika und Hawaii tanzten. Im Jahr 775 jedenfalls färbte sich historischen Berichten zu Folge während des Sonnensturms der Himmel blutrot, der anschließende Sommer war ungewöhnlich kalt.

Im Jahr 810 folgten die nächsten Vorzeichen für den beginnenden Fimbulwinter: Die Sonne verfinsterte sich – zweimal in einem Jahr. Erst schob sich am 7. Juni 810 ein Schatten über die Sonne, dann erneut am 30. November. Als dann auch noch sein Sohn Vāmōðʀ starb, gab es für Varinn nun nur noch eine mögliche Erklärung. Göttervater Odin musste ihn nach Walhall, den Versammlungsort aller in der Schlacht gefallenen Krieger, geholt haben, weil er Vāmōðʀ für die unmittelbar bevorstehende Schlacht am Ende der Welt bei sich brauchte.

Der mysteriöse Text des Runensteines von Rök besteht aus neun Rätseln. Nach der neuen Interpretation beschäftigen sich fünf davon mit dem Verschwinden und dem Wiederkommen der Sonne. In den übrigen vier geht es um Odin und sein Kriegerheer. "Natürlich sind wir nicht so arrogant zu glauben, dass wir nun alle Ungereimtheiten des Rök-Textes erklären können", schreiben die Autoren. "Details müssen noch geklärt, immer noch undeutliche Passagen entwirrt und, wenn möglich, unsere Argumente noch genauer ausgeführt werden."

Selbst wenn Varinn die Ereignisse in der Natur für sich mythologisch interpretierte, so waren sie aber doch vor allem eins: sehr reale Klimaphänomene. Varinn wusste sehr genau, welche Folgen eine Klimakatastrophe haben kann. Seine Angst vor dem Weltuntergang war kein Hirngespinst, sondern basierte auf Erfahrungen und Fakten – schließlich hatten die Ereignisse des Jahres 536 große Teile der Bevölkerung Skandinaviens ausgelöscht.

Varinn ist noch einmal davongekommen. Die Gefahr extremer Wetterlagen aber ist nach wie vor real. Über 1.200 Jahre später warnt erneut eine Schwedin vor einer globalen Klimakatastrophe.

Verwendete Quellen
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