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trans Frau zündete sich in Berlin an: "Auch unsere Gesellschaft trägt Schuld daran"


Freund von Ella berichtet
trans Frau zündete sich an: "Unsere Gesellschaft trägt Schuld"

  • Nils Heidemann
Von Nils Heidemann

14.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Georg Matzel und ein Trauerkranz (Montage): "Ella wollte einfach nur sie selbst sein"Vergrößern des Bildes
Georg Matzel und ein Trauerkranz (Montage): "Ella wollte einfach nur sie selbst sein" (Quelle: t-online)

Vor einem Jahr zündete sich trans Frau Ella Nik Bayan auf dem Alexanderplatz an. Ihren Tod kann ein Freund bis heute nicht begreifen.

"Ich erinnere mich gerne an eine Party im SO36 zurück, bei der Ella das erste Mal in weiblicher Kleidung getanzt hat", sagt Georg Matzel. Er stockt kurz und fährt dann fort: "Sie sah total zufrieden aus, als wäre sie endlich irgendwo angekommen". Matzel, ehrenamtlich beim Lesben- und Schwulenverband tätig, ist ein guter Freund der verstorbenen und aus dem Iran stammenden trans Frau.

Vier Monate lang lebt Ella 2019, als sie von Magdeburg nach Berlin zieht, bei ihm in der Wohnung. "Wenn ich abends von der Arbeit gekommen bin, hatte sie jedes Mal Essen gekocht. Sie hat sich engagiert, integriert und die Leute unterstützt". Am Jahrestag ihres Todes will Matzel insbesondere über die Persönlichkeit Ellas, den Menschen hinter diesem schrecklichen Schicksal, sprechen. Doch das fällt schwer: "Alles an Ella war auch politisch", sagt er.

Leben mit Hass, Hetze und Diskriminierung

Am 14. September 2021 übergoss sich Ella mitten auf dem Alexanderplatz mit Benzin und zündete sich an. Ella starb später im Krankenhaus. Die Hilfe eines Kaufhaus-Mitarbeiters kam zu spät.

An diesem Mittwoch, genau ein Jahr danach, kommen zwischen dem Roten Rathaus und dem Alexanderplatz daher Dutzende Menschen zusammen, um der Verstorbenen zu gedenken. Wut, Verzweiflung und Trauer machen sich unter den Anwesenden breit, denn Hass gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- oder intergeschlechtliche Menschen gibt es in Deutschland immer wieder. Der Tod von Malte C. nach dem CSD in Münster wird auch an diesem Tag in Berlin häufig erwähnt.

Welch pure Verzweiflung in Ella brodelte, kann man nur erahnen. Vor ihrem Suizid hatte sie jahrelang Hass, Hetze und Diskriminierung erfahren. Aufgewachsen in einer besetzten Stadt des Iran, erlebt sie den Golfkrieg mit. "Sie hatte in ihrem ganzen Leben so viele Traumata erlitten", weiß Matzel. Denn in ihrer Heimat herrscht nicht nur lange Krieg, für sie ist es dort auch als trans Frau zu gefährlich. 2015 flüchtet sie nach Deutschland, kommt in Magdeburg unter und hofft auf ein freies Leben. "Sie wollte hier endlich sie selbst sein und kam mit einer sehr positiven Einstellung her", erinnert sich ihr Freund.

Doch sie musste viele Hürden überwinden. So verzweifelte sie etwa an der Bürokratie. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stellt ihr einen negativen Asylbescheid aus. "Und das, obwohl sie im Verfahren deutlich über ihre geschlechtsspezifischen Fluchtgründe gesprochen hat, die asylrelevant sind", so Matzel. Das Bamf habe diese Gründe unterschlagen, ist er sich sicher, denn im Bescheid seien sie nicht erwähnt worden.

Ella klagt daraufhin dagegen und bekommt den positiven Bescheid. Doch die Zwischenzeit sorgt nicht nur für finanzielle Probleme, sondern auch für die andauernde Angst, irgendwann abgeschoben zu werden. Auch ihre Geschlechtsangleichung verzögert sich dadurch, weil Personen in einem Asylverfahren lediglich eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung bekommen.

"Unter dieser Last ist die zerbrochen"

"Von Mitarbeitenden im Jobcenter wurde sie mit ihrem 'Totnamen' angesprochen und ausgelacht". Das ist der Name, mit dem Ella geboren wurde, den sie bis vor ihrem Tod aber nicht mehr verwendete. Matzel redet schnell und ist sichtlich wütend, wenn er diese Punkte aufzählt. Er hat Ella auf ihrem steinigen Weg begleitet. Sowohl als Berater, als auch als Freund. "Der Stress durch die Behörden war bei uns immer Dauerthema".

"Ihr wurden so viele Knüppel in den Weg geschmissen", sagt Matzel weiter und führt fort: "Auch unsere Gesellschaft trägt Schuld daran". Denn neben dem bürokratischen Stress gibt es persönliche Diskriminierungen, die sie zu Lebzeiten sehr treffen. Immer wird sie bespuckt, beleidigt oder sogar geschlagen, sagt Matzel. Der Umzug vom kleinen Magdeburg ins weltoffene Berlin habe diesbezüglich nur eine marginale Besserung gezeigt. "Unter all dieser Last ist sie zerbrochen. Wir haben sie nicht ihr Leben leben lassen. Die Freiheit, für die sie nach Deutschland kam, war nicht möglich".

Auch nach ihrem Tod findet Ella keine Ruhe. Im Netz kursierten Krankenhausaufnahmen von ihr – teils nackt und mit schweren Verletzungen. Gemacht wurden sie offenbar im Unfallkrankenhaus Berlin (UKB), wo sie kurz nachdem sie sich angezündet hatte, verstarb.

Auch ihr Grab in Berlin wird immer wieder geschändet. So legten Unbekannte im Januar einen Feuerlöscher und einen Kanister auf ihre Ruhestätte, letzterer war mit der Aufschrift "on fire" ("brennend") versehen. Matzel macht dieser stetige Hass fassungslos. Wenn er an den Tag vor genau einem Jahr zurückdenkt, fehlen ihm zunächst die Worte. Dann setzt er an: "Es war damals ein Gefühl, als würde ich schlagartig von innen heraus vertrocknen. Ich war einfach schockiert."

Und der Schock sitzt auch weiter tief, wenn er an Hasskriminalität gegen die LGBTIQ-Szene denkt. Das Berliner Register, das die bei der Polizei gemeldeten Übergriffe auf die Community in allen Bezirken der Hauptstadt erfasst, notierte im vergangenen Jahr einen Höchststand an Fällen der LGBTIQ-Feindlichkeit (198). Wohlgemerkt: Diese Zahl stellt lediglich die gemeldeten Fälle dar.

Matzel appelliert daher er an die Menschen: "Lass die queeren Leute so leben, wie sie wollen. Sie möchten sich einbringen, möchten sich selbst verwirklichen. Das ist ein Menschenrecht!" Gleichzeitig richtet er ernste Worte an die Politik und fordert, sich intensiver für Queere und Geflüchtete einzusetzen. "Unterstützt dementsprechende Vereine mit Geld, mit Schutzwohnungen, mit vernünftigen Konzepten und vor allem mit einem gesetzlichen Schutz."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Georg Matzel, Freund von Ella und Ehrenamtlicher im Lesben- und Schwulenverband Sachsen-Anhalt
  • Besuch der Gedenkveranstaltung für Ella
  • Eigene Recherchen
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