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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zurück in die Schweiz 30 Jahre Berlin – jetzt wollen Beni Durrer und sein Mann nur noch weg

Beni Durrer gilt als einer der bekanntesten Visagisten Deutschlands. Drei Jahrzehnte hat er in Berlin gelebt und gearbeitet. Doch jetzt reicht es ihm – und das hat einen konkreten Grund.
Beni Durrer hat einst die Schweiz verlassen, weil sie ihm zu spießig war. "Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich war damals schon ein schräger Vogel, wollte frei leben", erzählt er.
Durrer ging nach Berlin. Ende der 90er-Jahre gründete er seine Firma, damals in der Motzstraße in Schöneberg. Er produziert und vertreibt unter anderem Make-up, Pflegeprodukte und Wimpernperücken. Mittlerweile liegt sein Geschäftssitz in der Pohlstraße, ein Friseurladen gehört dazu. Im selben Haus wohnt er auch. Noch.
In all den Jahren in Berlin hat Beni Durrer viele Freunde gefunden und auch seinen Mann René getroffen. Seit sieben Jahren sind die beiden verheiratet.
Doch wenn alles nach Plan läuft, sind die beiden im Sommer weg. Das Paar will nach Luzern umsiedeln, dort kommt Durrer ursprünglich her. 30 Jahre hat er in Berlin gelebt, gearbeitet, zeitweise über 30 Menschen beschäftigt. Heute ist er 57.
Ehepaar wird beleidigt, beschimpft und angegriffen
Warum er Berlin verlassen will? Die schlechte wirtschaftliche Lage ist das eine. Aber vor allem fühlen sich die schwulen Männer nicht mehr sicher.
"Das geht schon bei uns hier vor der Tür los", erklärt Durrers Mann, der Friseurmeister und Visagist René Durrer-Lehmann. Die beiden werden beleidigt, beschimpft, angegriffen. "Die Angst vor Überfällen sorgt dafür, dass du einfach nur noch weg möchtest", sagte René Durrer-Lehmann neulich in einer Sendung im Schweizer Fernsehen, in der Auswanderer von ihren Erfahrungen erzählen.
Visagisten wurden direkt vor ihrem Laden bedroht
In Luzern haben sie ein Ladenlokal in guter Lage gefunden, in den kommenden Tagen will der Vermieter entscheiden, ob sie es bekommen. Dann bräuchten sie nur noch eine Wohnung.
"So was Schönes wie hier in Berlin werden wir natürlich nicht mehr finden und auch niemals bezahlen können", sagt Beni Durrer. Aber wichtiger ist den beiden, sich zu Hause wieder wohl und vor allem sicher zu fühlen. Das sei in der Pohlstraße schon lange nicht mehr möglich.
Im September fielen in der Nacht Schüsse, nicht weit entfernt im Rotlichtviertel in der Bülowstraße, Ecke Potsdamer Straße. Zwei Menschen wurden verletzt, ein Mann starb. Die Hintergründe der Tat sind noch immer unklar. Aber der Vorfall löste Angst bei Beni Durrer und René Durrer-Lehmann aus.
Die Männer wurden direkt vor ihrem Laden bedroht. Da fielen Sprüche wie: "Ich stech' dich ab, Schwuchtel." Manchmal ist es ein Drogendealer, der seine Deals zum Teil bei ihnen im Hof macht und die Männer bedroht. Als sie die Polizei riefen, riet ihnen ein Beamter, dem Mann "ganz dringend aus dem Weg zu gehen". Sein Vorstrafenregister sei voll von schlimmen Vergehen.
Das ärgerte René erst recht. "Es kann doch nicht sein, dass ich als waschechter Berliner hier vor solchen Leuten Angst haben muss. Der Staat muss sie wegsperren, wenn die so viel auf dem Kerbholz haben."
"Solange wir kein Messer im Bauch haben, passiert nichts"
Sein Mann Beni ergänzt sarkastisch: "Aber solange wir kein Messer im Bauch haben, passiert nichts." Er berichtet von einem Gespräch mit einem Polizisten, der ihm hinter vorgehaltener Hand sagte: "Wenn Sie wollen, dass sich etwas ändert, müssen Sie eine andere Partei wählen. Vorher passiert hier nichts." Eine kaum verhohlene Wahlempfehlung für die AfD, glaubt Beni Durrer.
Laut Kriminalitätsatlas der Polizei Berlin haben die Straftaten in der Bezirksregion Schöneberg-Südwest, in der sich die Pohlstraße befindet, in den zurückliegenden Jahren nicht zugenommen. Allerdings liegt Schöneberg in der Bilanz des schwulen Anti-Gewalt-Projektes Maneo berlinweit an erster Stelle. Demnach gab es hier im Vorjahr 76 Fälle von queerfeindlicher Gewalt, gefolgt von Neukölln (74) und Kreuzberg (30). Maneo registriert viele Fälle, die nicht offiziell angezeigt werden, unter anderem aus mangelndem Vertrauen gegenüber der Polizei. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr in der Hauptstadt laut der Beratungsstelle einen Anstieg von Anfeindungen gegenüber Schwulen, Lesben und Angehörigen anderer sexueller Minderheiten um acht Prozent.
Angestellte berichtet von sexuellem Übergriff
Nicht nur schwule Männer leben in Schöneberg gefährlich. Eine ehemalige Angestellte haben Beni Durrer und René Durrer-Lehmann eine Zeit lang nach Feierabend zu ihrer Wohnung begleitet – aus Angst vor sexuellen Übergriffen. "Sie war eines Abends von einer Gruppe von Männern angegriffen worden. Sie drückten sie an einen Baum und betatschten sie überall. Zum Glück konnte sie sich losreißen und in Sicherheit bringen."
René Durrer findet: "Das ist nicht mehr lebenswert, das macht hier keinen Spaß mehr." Der 58-Jährige gibt in Berlin einen festen Stamm an Kunden auf, die seit teilweise 30 Jahren zu ihm kommen. In Luzern muss er ganz neu beginnen. Aber das nimmt er in Kauf. "Berlin ist nicht mehr das Berlin, das ich mal gekannt habe", sagt er.
Geschäft in Berlin soll es weiterhin geben
Freunde von ihnen haben die Stadt schon verlassen, aus ähnlichen Gründen. Die schwächelnde Wirtschaft, die Kriminalität. Manche sind nach Italien gegangen, andere in die Schweiz. Nun gehen auch die Durrers.
Eine Betriebsstätte mit Geschäft soll es weiterhin in Berlin geben. Da in der Pohlstraße die Miete verdoppelt wurde, wollen sie dort ohnehin raus und im Nollendorfkiez einen neuen Laden eröffnen. "Ich hoffe, dass sich ein toller Friseur meldet, der die Kundschaft übernimmt", sagt Beni Durrer. Doch richtig daran glauben mag er nicht: "In Berlin will ja keiner mehr arbeiten. Wo sind die Leute, die noch Spaß am Beruf haben?"
Die Marke bleibt. Aber Beni Durrer und sein Mann gehen definitiv in die Schweiz. Vielleicht pendeln sie anfangs noch eine Weile, aber ihre Zukunft sehen sie definitiv in Luzern. So spießig wie früher ist es dort auch nicht mehr, glaubt Beni Durrer. René braucht jetzt nur noch einen Schweizer Pass.
- Interview mit Beni Durrer und René Durrer-Lehmann
- maneo.de: Maneo-Report 2024
- kriminalitaetsatlas.berlin.de: Kriminalitätsatlas für Schöneberg Südwest
- eigene Berichterstattung