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Linken-Kandidat Lederer: "Was wir an Berlin lieben, droht zu verschwinden"


Linken-Kandidat Lederer
"Was wir an Berlin lieben, droht zu verschwinden"

InterviewVon Sophie Loelke

Aktualisiert am 05.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Klaus Lederer (Die Linke): Der Spitzenkandidat möchte die Enteignung großer Immobilienkonzerne vorantreiben.Vergrößern des Bildes
Klaus Lederer (Die Linke): Der Spitzenkandidat möchte die Enteignung großer Immobilienkonzerne vorantreiben. (Quelle: V. Saizew)

Der Linken-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl, Klaus Lederer, fürchtet, dass durch hohe Mieten die Vielfalt in Berlin verloren geht. Im Interview stellt er seine Ideen einer solidarischen Stadt vor.

Berlin soll für alle Menschen und Gewerbetreibenden bezahlbar sein – ob bei der Mobilität, dem Wohnen oder der Kultur. Die Linke unterstützt daher den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co enteignen" als einzige Berliner Partei. Und auch den Mietendeckel hat sie noch nicht aufgegeben. Spitzenkandidat Klaus Lederer erzählt t-online, warum für ihn beides wichtige Instrumente sind, um Berlin sozialer zu machen – und Verdrängung von Menschen, aber auch Kultur entgegenzuwirken.

t-online: Herr Lederer, was ist aktuell Berlins größtes Problem?

Klaus Lederer: Ganz klar die Mietenfrage und die soziale Spaltung. Diesen Themen widme ich mich derzeit massiv.

Was lässt sich dagegen tun?

Es gibt leider keinen Schalter, den man umlegen könnte, um die Probleme von jetzt auf gleich zu lösen. Es betrifft alle Bereiche und geht von der Armutsbekämpfung über bezahlbare Mobilitätsangebote für alle bis hin zum Zugang zu Bildung und auch kulturellen Angeboten.

Das ist die zentrale Herausforderung einer Stadt wie Berlin, wenn die Lebensqualität und Vielfalt erhalten bleiben sollen. Und die sehe ich unter anderem durch massive Verdrängungsprozesse der Kiezstrukturen in Gefahr.

Sie sind noch immer klar für den Mietendeckel. Der wurde aber gekippt. Wie würden Sie das Wohnproblem sonst in Angriff nehmen?

Der Mietendeckel ist nicht als solcher gekippt worden, sondern es wurde festgestellt, dass das Land nicht die Gesetzgebungskompetenz dafür hat. Jetzt wollen wir mittels einer Bundesratsinitiative versuchen, das Thema auf die Bundesebene zu tragen – und das am besten noch in dieser Legislaturperiode.

Ein weiteres mögliches Instrument, das den Wohnungsmarkt stark beeinflussen würde, ist die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Alle großen Parteien sind gegen die Enteignung. Was für Vorteile sehen Sie darin?

Ich nenne es lieber Vergesellschaftung statt Enteignung. Die Vergesellschaftung von derzeit gewinnorientiert genutztem Wohnraum ist eine ganz wesentliche Möglichkeit, langfristig auf den Berliner Wohnungsmarkt einzuwirken und die Wohnraumversorgung sozialer zu gestalten.

Aber die Vergesellschaftung verursacht durch die Entschädigungszahlungen doch enorme Kosten für das verschuldete Berlin. Wie kann das zu schaffen sein, ohne dass sich die Stadt weiter verschuldet?

Die Entschädigungssumme wird deutlich unterhalb des Marktwertes liegen. Diese Summe wird außerdem nicht 1:1 aus dem Landeshaushalt bezahlt, sondern es werden Kredite aufgenommen, um eine solche Kommunalisierung zu finanzieren.

Das bedeutet auch, dass diese Kredite über einen längeren Zeitraum abgestottert werden. Das ist selbst bei einem sozial gebundenen Mietenniveau möglich. Wir schmeißen kein Geld zum Fenster raus, sondern wir erhalten mit den Wohnungen einen Gegenwert.

Um die Mietenproblematik zu lösen, ist aber mehr nötig als Volksentscheid und Mietendeckel, die ja noch nicht einmal durchgesetzt sind. Dadurch entsteht schließlich keine neue Wohnung.

Natürlich gehört auch der Neubau dazu – aktuell entstehen in Berlin 16 komplett neue Stadtquartiere. Für die Attraktivität der Standorte ist das Mitbedenken von sozialen Angeboten, von wohnraumnaher Versorgung, von kultureller Teilhabe und von Grün wichtig.

Zum anderen ist das Mantra "Bauen, bauen, bauen" nur unter der Voraussetzung richtig, dass das, was gebaut wird, bezahlbar ist. Sodass auch Menschen mit Berliner Durchschnitts- oder niedrigeren Einkommen in der Lage sind, sich Wohnraum zu leisten.

Die Verdrängung von Berlinerinnen und Berlinern, aber auch kulturellen Einrichtungen aufgrund steigender Mieten ist problematisch und scheint kein Ende zu nehmen.

Wohnungsinvestoren erwarten natürlich einen Gewinn. Damit einher gehen entsprechende Mieterhöhungen. Wenn dem nun ganze Straßenzüge, ganze Kieze unterworfen werden, ist es nicht verwunderlich, dass massive Verdrängung einsetzt. Nicht nur von Bewohnerinnen und Bewohnern, sondern auch vom Kleingewerbe, dem Handwerk und kleineren gastronomischen Angeboten.

Auch soziale und kulturelle Einrichtungen sind zunehmend bedroht: Kitas, soziale Beratungsstellen, Bibliotheken. Die Stadt wird gleichförmiger, hat überall das gleiche Gesicht. Was wir an Berlin lieben – die Mischung in den Kiezen und Besonderheiten in ihnen –, droht zu verschwinden. Das ist ein ernstes Problem.

Zuletzt ist bekannt geworden, dass der Kultureinrichtung Zukunft am Ostkreuz gekündigt wurde. Auch der Club an der Rummelsburger Bucht feiert bald seine letzte Party und muss zwecks Neubau weichen. Was tun Sie gegen diese massive Verdrängung?

Wenn solche Orte nicht gerettet werden können, versuchen wir ihnen an anderer Stelle Möglichkeiten zu schaffen, weiter zu bestehen. Wir wollen die noch existierenden öffentlichen Immobilien stärker nutzen, um den kulturellen Angeboten Raum zu geben und Arbeitsräume und Präsentationsräume für Kunst und Kultur zu schaffen.

Wir versuchen auch, mit einigen privaten Vermietern über längere Zeit Konditionen auszuhandeln, die es Kulturangeboten ermöglicht, sich sicher anzusiedeln.

Eine weitere Baustelle Berlins ist der Verkehr. Sie möchten kostenlose öffentliche Verkehrsmittel, gleichzeitig aber auch die S-Bahn-Strecken ausbauen. Wie realistisch ist das?

Sicherlich ist es sehr wünschenswert, alles überall kostenlos zu haben. Aber das wird man als Stadt alleine nicht stemmen. Dazu kämpfen wir als Linke bei der Bundestagswahl für einen Paradigmenwechsel, der eine ökologisch vertretbare Mobilitätsinfrastruktur als öffentliches Gut begreift. Das ist ein mittelfristiges Ziel.

Was ist dann das kurzfristige Ziel?

Wir wollen eine Ticketreform mit Fahrpreissenkungen für die Berlinerinnen und Berliner. Und wir wollen den Nahverkehr massiv ausbauen: neue Strecken im vergleichsweise günstigen und schnell zu realisierenden Straßenbahnbereich, die Modernisierung und Instandsetzung der verfügbaren Netze von U-Bahn und S-Bahn sowie die Taktverdichtung vor allem in den Randbezirken.

Nur wenn der Nahverkehr die Mobilitätsgarantie für alle erfüllen kann, werden wir perspektivisch weniger motorisierten Individualverkehr haben.

Spielt ein Verbot von Verbrennern dabei auch eine Rolle?

Das Verbot von Verbrennern wird irgendwann bundesweit kommen – nicht nur in Berlin. Es ist eine notwendige Maßnahme, löst aber nicht den Mobilitätsanspruch der Berliner. Wir müssen uns aber nicht vormachen, dass wir nur die ganzen Verbrenner durch Elektromotoren austauschen und dann einfach so weitermachen können.

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Auch das wäre ökologisch nicht vertretbar, weil dann zwar nicht so viele CO2-Emissionen entstehen, aber der Verbrauch an seltenen Erden, an Platz und Versiegelung in der Stadt steigen. Deshalb ist der Ausbau des ÖPNV so wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch!

Am 26. September wählen die Berlinerinnen und Berliner neben dem Deutschen Bundestag auch das Berliner Abgeordnetenhaus sowie die Bezirksverordnetenversammlungen. Für einen Überblick über die Positionen und Ziele der Berliner Parteien hat t-online Interviews mit den jeweiligen Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl geführt. Jeden Sonntag finden Sie ein weiteres Gespräch auf t-online. Am Sonntag, den 12. September folgt das Interview mit SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Klaus Lederer
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