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CSD in Döbeln: Queere Community in Sachsen trotz Buttersäure-Anschlägen


Queeres Leben im sächsischen Hinterland
"Geht nicht allein durch Döbeln"


Aktualisiert am 12.09.2023Lesedauer: 3 Min.
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Ein offenes queeres Leben in Döbeln erfordert Courage. Während ihrer Eröffnungsrede sprach die Demo-Teilnehmerin Melli (in der Mitte) über Widerstände innerhalb der eigenen Familie.Vergrößern des Bildes
Ein offenes queeres Leben in Döbeln erfordert Courage. Während ihrer Eröffnungsrede sprach die Demo-Teilnehmerin Melli (in der Mitte) über Widerstände innerhalb der eigenen Familie. (Quelle: Marvin Graewert)

Beim ersten CSD in Döbeln wurden Teilnehmende mit Steinen beworfen – auch dieses Jahr gab es Einschüchterungsversuche. Doch wer in Döbeln offen queer lebt, hat schon Schlimmeres erlebt.

Über Döbeln hat sich ein beißender, vergorener Geruch gelegt. Entlang der Strecke des Christopher Street Days (CSD) gab es am Freitag gleich zwei Buttersäure-Anschläge. Bei den Teilnehmenden wecken diese Vorfälle Erinnerungen an das vergangene Jahr, als am Rande der Veranstaltung Steine geflogen sind. Dieses Jahr wurde wieder eine Gegendemonstration angemeldet, um die queere Community einzuschüchtern. Auch Melli hat ein flaues Gefühl im Magen – aber nicht wegen der Buttersäure.

Es ist noch nicht lange her, da hätte sich die 20-Jährige nicht getraut, händchenhaltend mit ihrer Freundin durch Döbeln zu spazieren. Heute möchte sie sich dazu durchringen, in der CSD-Eröffnungsrede von ihrem Leben in einer Familie zu berichten, in der viele dafür gar kein Verständnis haben.

Regenbogenflagge auf dem Schulhof verbrannt

Fast jeder hier könnte eine ähnliche Geschichte erzählen. Eine befreundete Person schmerzt es besonders, wenn sie sich daran erinnert, wie auf der Oberschule vor ihren Augen eine Regenbogenflagge verbrannt wurde. "Passt auf euch auf. Bleibt immer in der Nähe des Demozuges und geht nicht alleine durch Döbeln", warnt die Demo-Anmelderin die Protestierenden, die aus Leipzig oder Dresden angereist sind.

Auch für Leon aus dem Organisationsteam gehören Beschimpfungen wegen seines offenen queeren Lebens zum Alltag. Von körperlichen Auseinandersetzungen hat Leon in den letzten Jahren allerdings nichts mitbekommen: "Das ist in Zwickau oder Wurzen ganz anders: Dort werden queere Menschen am helllichten Tag angegriffen, während Passanten vorbeigehen und gar keine Zivilcourage zeigen. So was kann ich aus Döbeln einfach nicht berichten."

"Natürlich sei es einfacher nach Leipzig, Berlin oder Köln zu ziehen, wo es eine riesen queere Community gibt. Und ich kann das auch niemandem verübeln, weil wir in Döbeln einen täglichen, privaten Kampf führen müssen. Aber wenn alle wegziehen, dann wird sich hier in der nächsten und übernächsten Generation auch nichts geändert haben", sagt Leon.

"Natürlich ernte ich Blicke, wenn ich in Absatzschuhen einkaufe"

Mit dem CSD möchte Leon zeigen, dass auch in Döbeln ein offenes queeres Leben möglich ist: "Wenn ich Lust darauf habe, gehe ich auch in Döbeln im Kaufland mit Absatzschuhen und Kleid einkaufen. Natürlich ernte ich viele Blicke, aber die schlimmen Kommentare halten sich in Grenzen."

Angekommen zur Zwischendemo auf dem Obermarkt zeigt sich auch der Gegenprotest, der sich hinter einem Transparent der AfD mit der Aufschrift "Vorsicht Genderwahn im Stundenplan"-Transparent der AfD versammelt hat. Eine ältere Dame mit zwei deutschlandfarbenen Schweißbändern an den Handgelenken findet den Aufzug einfach nur "krank" – da braucht noch niemand Absatzschuhe zu tragen.

Dabei habe sie selbst Freunde und Verwandte, die selbst "andersrum" seien. "Aber die lassen es nicht heraushängen." Das würden sie sich auch von den Demonstrierenden wünschen. Was sie auf die Straße treibt: Die Angst, dass ihre "vier blonden Enkel sonst in der Schule indoktriniert werden".

Dass der Protest dieses Jahr deutlich kleiner ausgefallen ist als 2022, erklärt Christian Neubauer, Vorstand der Linken Chemnitz, der am Freitag zu Gast beim CSD in Döbeln war, damit, dass die Einschüchterungsversuche im vergangenen Jahr offenbar nicht gewirkt hätten – schließlich sei die queere Szene in Döbeln sichtbar wie nie. Ihre Hoffnung: Dass ihre Forderungen nicht von der Konfrontation mit rechts überschattet werden.

Am Ende sind auch Mellis Sorgen unbegründet, für ihre Rede gibt es viel Applaus. Es scheint, als trage sie ihr Outfit – ein buntes T-Shirt, Glitzersteine im Gesicht und Regenbogenfahnen-Ohrringe – danach noch mit viel mehr Stolz. Aber eben nur einmal im Jahr, an einem normalen Tag würde sie sich nicht so farbenfroh kleiden.

Leon kann das bestätigen: "Ich sehe, wie wenige queere Menschen sich in Döbeln offen auf die Straße trauen. Beim CSD ist das zwar anders, da sind wir heute deutlich in der Überzahl im Vergleich zur Gegendemonstration. Aber rechte Aktivisten stehen am Straßenrand, filmen und fotografieren und picken uns dann im Alltag raus."

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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