Trotz Immobilienkrise Günstig bauen mitten in Frankfurt? Sie zeigen, wie das geht
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Baubranche steckt tief in der Krise. Viele Projekte werden gestoppt. Doch eine Gruppe in Frankfurt trotzt den Widrigkeiten und baut ein Haus mit günstigen Mieten.
Krise in der Baubranche. Bundesweit klagen Bauunternehmer über eingebrochene Aufträge. Private Bauherren stornieren wegen der stark gestiegenen Zinsen und der hohen Kosten ihre Bauvorhaben. Manch einer sagt, dass er solch eine Krise in den letzten 25 Jahren nicht erlebt habe, wie der "Spiegel" berichtet. Der jahrelange Boom hat ein abruptes Ende gefunden. In Frankfurt hingegen trotzt eine 20-köpfige Gruppe dem Negativtrend der Branche und baut ein Haus für 42 Menschen mit günstigem Wohnraum.
Zwei von ihnen – Christiane Jellonek und Anja Engelhorn – stehen an einem sonnigen Mittag auf einem seit Jahren brachliegenden Grundstück im Stadtteil Griesheim im Westen von Frankfurt. Auf diesem Stück Land beginnen im April die Arbeiten für das Wohnungsbauprojekt. Rund 20 Menschen beteiligen sich bei "Kollektiv leben", kurz: "Kolle". So auch Jellonek und Engelhorn. "Wir haben die Fläche von der Stadt im Oktober 2019 gepachtet", erzählt Engelhorn. "Kolle" will alles ganz anders machen als die üblichen Bauherren und Wohnkonzerne.
Solidarität steht bei ihnen nämlich ganz groß auf der Agenda. Die Mieten sollen so günstig wie möglich werden – und es vor allem dauerhaft bleiben. "Die Mieten sollen auch noch in 50 Jahren günstig sein. Wer weniger verdient, soll weniger zahlen. Wer mehr verdient, zahlt auch mehr", berichtet Engelhorn. Ein Verkauf des Hauses soll ausgeschlossen werden.
Ein Verkauf des Hauses ist so gut wie ausgeschlossen
Das liegt an der rechtlichen Struktur. Am Haus sind zwei Gesellschafter beteiligt, zum einen der Verein Kollektiv leben mit 51 Prozent, zum anderen die Mietshäuser Syndikat GmbH mit einem Anteil von 49 Prozent. Die Verwaltung obliegt der Hausprojekt Kolle GmbH, also dem Projekt selbst. Nach eigenen Aussagen verhindert das Mietshäuser-Syndikat mit seinen Gesellschaftsanteilen den Verkauf des Hauses und garantiert damit die dauerhafte Existenz des Hausprojekts als Mietobjekt.
Im fünfgeschossigen Haus soll es relativ kleine private Wohnflächen, dafür aber große Gemeinschaftsbereiche geben. Zu denen zählen etwa eine Dachterrasse mit Außenküche und eine Sauna. Die Wohnbereiche können sogar flexibel vergrößert werden. Sogenannte modulare Gebäude können umgebaut und erweitert, Wände unkompliziert versetzt werden. Bekommt etwa eine Familie Nachwuchs, so kann sie ihren Wohnbereich auf relativ einfache Weise vergrößern, zieht jemand aus, lässt er sich wieder verkleinern.
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Auf dem Dach entsteht eine große Fotovoltaikanlage. Dachflächen und Fassaden werden begrünt. Auf dem Dach soll zudem ein Habitat für Wanderfalken entstehen. Im Erdgeschoss sind öffentliche Orte der Begegnung geplant. Darüber hinaus sind ein Raum für Veranstaltungen, ein Co-Working-Space, eine Werkstatt sowie Kreativ- und Beratungsräume vorgesehen.
Die Voraussetzungen für den Bau des Projektes sind jedoch nicht besonders gut. Das Grundstück, auf dem das Wohnhaus entstehen soll, liegt direkt an der A5. Der Lärm ist dadurch natürlich groß. Die "Kolle"-Leute müssen zur Gewährleistung des Lärmschutzes über eine Million Euro investieren. Das ist ein Neuntel der Investitionssumme. Hinzu kommt die Krise in der Baubranche. Obgleich "Kolle" laut Engelhorn kein Teil des Systems ist und daher nicht auf Profit ausgerichtet ist, anders als etwa Deutschlands größter Wohnkonzern Vonovia, hat auch "Kolle" die Krise zu spüren bekommen. Das Kollektiv war im Sommer kurz davor, nach arbeitsreichen Jahren die Pläne aufzugeben. "Es hat uns fast den Boden unter den Füßen weggezogen", erinnert sich Jellonek.
Baukrise: Steigende Zinsen und Materialien, verteuerte Kredite
Die Krise in der Baubranche wurde ausgelöst, weil Notenbanken die Leitzinsen erhöhten, um die Inflation zu bekämpfen. Dadurch verteuerten sich Immobilienkredite massiv. Die Zinsen für Baudarlehen kletterten innerhalb eines Jahres von unter einem auf mehr als dreieinhalb Prozent. Vor einem Jahr kalkulierte man bei einem Eigenheimkredit von über 300.000 Euro noch mit rund 750 Euro im Monat. Nun muss mit einer Rate von rund 1.380 Euro gerechnet werden, berechnete der "Spiegel".
Gleichzeitig verteuerten sich die Materialien infolge des Ukraine-Krieges drastisch. Holz und Stahl kosteten im Dezember jeweils rund 38 Prozent mehr als vor zwei Jahren. Für viele private Bauherren wird Bauen damit unbezahlbar. Selbst Vonovia will nur noch laufende Projekte fertigstellen und hat für dieses Jahr sämtliche vorgesehene Neubauten gestoppt. Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding in Frankfurt verschob den Baubeginn für ein großes Wohnviertel am Hilgenfeld im Norden Frankfurts um mindestens ein Jahr. Und für "Kolle" erhöhten sich die Gesamtkosten von zunächst 1,3 auf 1,9 Millionen Euro.
"Wir erfüllen einen Auftrag, den eigentlich die Stadt hat."
Anja Engelhorn, Projekt "Kolle"
Und "Kolle"? Für den Bau benötigt die Projektgruppe einen Bankkredit. Dafür führte die Gruppe Gespräche mit der GLS Bank, die ihr einen Kredit zusicherte. Als dann jedoch die Zinsen erhöht wurden und durch den Krieg weitere Kosten stiegen, war das Risiko für die GLS zu hoch. Die Bank lehnte daher einen Kredit ab. "Innerhalb von wenigen Minuten war unser Projekt gefährdet", so Engelhorn. Doch die Gruppe gab nicht auf und fand in der DKB eine Bank, die "voll hinter unserem Projekt steht", sagt sie. Direktkredite und weitere Fördermöglichkeiten dienen als Eigenkapital, welches für den Bankkredit entscheidend ist. "Wir hatten wirklich Glück, dass wir auf so viel Solidarität gestoßen sind", weiß Engelhorn. Bis Oktober 2022 konnte "Kolle" knapp 1,1 Millionen Euro allein durch Direktkredite erwerben.
Den Widrigkeiten zum Trotz kann also im April der Bau starten. Dennoch musste "Kolle" einige Abstriche machen. Eigentlich sollte der Wohnraum im Schnitt für 360 Euro pro Person und Monat angeboten werden. "Nun werden es um die 500 Euro sein", sagt Jellonek. Dafür konnte die Gruppe aber eine Förderung für den Bau geförderten Wohnraums bekommen. 24 Menschen werden zu Mieten von 315 Euro pro Person im Haus leben können. Trotz der Schwierigkeiten ein Erfolg für die Gruppe – und ein Zeichen, dass geförderter Wohnraum auch in Krisenzeiten möglich ist.
Die steigenden Kosten führen bundesweit dazu, dass dieser auf Eis gelegt wird. So auch in Frankfurt? "Immer mehr geförderter Wohnungsbau fällt aus der Bindung. Wir erfüllen einen Auftrag, den eigentlich die Stadt hat", sagt Engelhorn. Deswegen erhofft sich "Kolle" auch, weitere Menschen zu motivieren, gemeinschaftliches Wohnen zu realisieren. Denn die Nachfrage danach, weiß Engelhorn, "ist hoch".
- Gespräch mit Anja Engelhorn und Christiane Jellonek vor Ort
- Webseite von "Kolle"
- Projektmappe Kolle
- Instagram/kollefrankfurt
- spiegel.de: Warum in der Baubranche der große Frust herrscht
- tagesschau.de: Sozialer Wohnungsbau droht einzubrechen