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Zum journalistischen Leitbild von t-online."50 Years of Pride" So erlebten die "Demoengel" den CSD in Köln

Bunte Fahnen, schillernde Outfits und laute Musik: In Köln haben am Sonntag über eine Millionen Menschen am alljährlichen Christopher-Street-Day (CSD) teilgenommen und für die Rechte der LGBTQ-Gemeinde demonstriert. Bereits ein Jahr im Voraus beginnt das Organisationsteam des Vereins Kölner Lesben- und Schwulentag mit den Vorbereitungen. t-online.de-Autorin Lisa Oder hat einen Helfer beim CSD begleitet.
Andreas Simon, 55, zieht sein Handy aus der Hosentasche und zoomt mit der Kamera auf den bunt geschmückten Wagen vor sich. Um ihn herum tanzen und singen tausende Menschen. Laute Musik dröhnt durch die Boxen der Wagen, von überall ertönen Trillerpfeifen. Der 55-Jährige lässt sich davon nicht ablenken. Er hat seinen Tunnelblick aufgesetzt. Mit dem Handy fotografiert er einen Mann, der auf dem Dach des Wagens tanzt. "Das darf nicht sein. Wenn jetzt eine Ampel oder eine niedrige Laterne kommt, ist das gefährlich", sagt Simon und macht sich anschließend auf die Suche nach dem Wagenleiter.
Er gehört zum neunköpfigen Organisationsteam des Kölner Lesben- und Schwulentags (KLuST), der den Kölner Christopher-Street-Day seit 1991 plant. Das Motto des KLuST in diesem Jahr lautete "50 Years of Pride – Viele. Gemeinsam. Stark!". Hintergrund: Vor 50 Jahren kam es in der New Yorker Bar "Stonewall Inn" zu einer Razzia, bei der die Polizei gewaltsam gegen die feiernden Schwulen, Lesben, Transsexuellen und Drag Queens vorging. Infolgedessen kam es zum Stonewall-Aufstand, aus dem später der CSD hervorging. Ziel der Demo ist es, die Gleichberechtigung und Akzeptanz der LGBTQ-Community einzufordern.
Als stellvertretender Versammlungsleiter versucht Simon, während der Demonstration alles im Blick zu behalten und den Versammlungsleiter Hans Douma bestmöglich zu unterstützen. Schon um halb fünf klingelte an diesem Sonntag Simons Wecker. Seit 6.30 Uhr ist er mit 53 "Demoengeln" unterwegs. Die "Demoengel" sind ehrenamtliche Helfer, die unter anderem alle 148 teilnehmenden Wagen und Fußgruppen registrieren, einweisen und während der gesamten Demonstration auf Zuschauer und Teilnehmer aufpassen.
Andreas Simon hat den Wagenleiter inzwischen in der Menschenmasse gefunden und mit ihm gesprochen. Der Mann vom Dach des Wagens ist verschwunden. Gemerkt hat sich der stellvertretende Versammlungsleiter den Vorfall dennoch. "Wir sprechen das oft noch einmal an, um zu sensibilisieren", sagt er. Dann geht es weiter. Er läuft durch die geschmückten Straßen, in denen die Menschen mit Regenbogenflaggen ausgestattet feiern und lächelt zufrieden. "Ich finde es schon bewegend, all die Menschen so zu sehen. Da kribbelt es in mir", erzählt der 55-Jährige. Die Demo hat pünktlich begonnen, es kam zu keinem Zwischenfall. So viele Teilnehmer habe es noch nie gegeben. Bisher musste er sich nur um Kleinigkeiten kümmern. Mal fehlten T-Shirts für ein paar Wagenengel, mal hatte ein "Demoengel" noch nicht den richtigen Ort gefunden und mal musste Simon die Wagenleiter wegen zu lauter Musik kurz ermahnen.
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In diesem Jahr trägt Simon erstmals die Weste mit der Aufschrift "Versammlungsleitung". Da 2018 der damalige Versammlungsleiter Jörg Kalitowitsch seinen Rücktritt ankündigte, musste sich das gesamte Team neu organisieren. Zuvor hatte Simon die "Demoengel" betreut. Er gratulierte ihnen zum Geburtstag, lud sie zur Einweisung und Dankesfeier ein und plante, wer wann welchem Streckenabschnitt betreut. Bei seinem ersten CSD als "Demoengel" hätte der Duisburger nie geahnt, dass er einmal die Aufgaben des stellvertretenden Leiters übernehmen würde. "Ich hatte damals nichts Besseres vor und war auf der Suche nach einem Ehrenamt", erzählt er und lacht. Dieses Mal kamen deutlich mehr Aufgaben hinzu. So traf er sich mit dem Ordnungsamt, bestellte Geschenke für alle ehrenamtlichen Helfer und sprach sich mit der Polizei ab.
Das kostet viel Zeit. Vier Wochen vor der Demonstration habe er etwa 20 Stunden in der Woche nur für den CSD gearbeitet. "Manchmal habe ich noch um halb eins nachts mit Hans telefoniert", sagt Simon, der hauptberuflich als Energieeinkäufer arbeitet. Warum er freiwillig den ganzen Sonntag von 6.30 bis 21 Uhr auf den Beinen ist? "Der CSD wird oft als zweiter Karneval bezeichnet. Das ist er aber nicht, er ist eine Demonstration", sagt Simon. Zwar hätte es die LGBTQ-Community hier in Deutschland recht gut. Aber eben nur in Deutschland. Simon reise gerne in Länder wie Tunesien, obwohl Homosexuellen dort eine Gefängnisstrafe oder sogar die Todesstrafe droht. Es mache ihn traurig, wenn er sehe, wie die Polizei in der Türkei beispielsweise die Demonstrationen gewaltsam stoppt. "Wir müssen für all diese Menschen stellvertretend auf die Straße gehen und zeigen, dass es friedlich geht", sagt er.
Inzwischen hat er fast das Ende der Strecke erreicht. Plötzlich ruft ihn eine Gruppe ihm unbekannter Männer zu sich. Sie umarmen ihn, machen ein Foto und bedanken sich für seine Arbeit. "Dafür mache ich das", sagt Simon. Später wird ihn auf der Bühne am Heumarkt noch der Applaus tausender Menschen als Dankeschön für seine Arbeit erwarten.