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Köln: Erfundene Vergewaltigung einer Joggerin? Ein Kriminologe erklärt den Fall


Vergewaltigung erfunden?
"Leichtfertig macht eine Frau so etwas nicht"

InterviewVon Florian Eßer

Aktualisiert am 04.03.2021Lesedauer: 5 Min.
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Joggerinnen laufen auf einem Weg im Kölner Stadtwald: Viele Frauen waren nach der öffentlichen Warnung vor einem Vergewaltiger eingeschüchtert. Kurze Zeit später äußerten die Ermittler Zweifel an der Version des mutmaßlichen Opfers.Vergrößern des Bildes
Joggerinnen laufen auf einem Weg im Kölner Stadtwald: Viele Frauen waren nach der öffentlichen Warnung vor einem Vergewaltiger eingeschüchtert. Kurze Zeit später äußerten die Ermittler Zweifel an der Version des mutmaßlichen Opfers. (Quelle: Johanna Tüntsch)

Eine möglicherweise erfundene Vergewaltigung beschäftigt die Justiz in Köln. Warum aber sollte jemand so etwas tun? Kriminologe Christian Pfeiffer erklärt, was dahinterstecken könnte – und kritisiert das Verhalten der Polizei.

Nachdem eine Kölner Joggerin angegeben hatte, am Decksteiner Weiher vergewaltigt worden zu sein, äußerten die Polizei Köln und die Staatsanwaltschaft nun Zweifel an der Aussage des mutmaßlichen Opfers. Gegen die Frau wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts des Vortäuschens einer Straftat eingeleitet. Während die Ermittlungen weiter in alle Richtungen gehen, hat t-online mit dem Kriminologen und Juristen Christian Pfeiffer über den Fall gesprochen und gefragt, warum es vorkommt, dass Vergewaltigungen vorgetäuscht werden.

Zur Person: Dr. Christian Pfeiffer, geboren 1944, ist Kriminologe. Von 2000 bis 2003 war er der Justizminister von Niedersachsen. Insgesamt war Pfeiffer zudem 27 Jahre lang als Direktor und Vorstand des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) tätig. Pfeiffer beschäftigt sich auch mit dem Themenkomplex der sexualisierten Gewalt und engagiert sich in der Opferhilfe. Derzeit führt er eine Studie zum Thema Vergewaltigung durch.

t-online: Im aktuellen Fall in Köln gibt es Zweifel an der Vergewaltigungsanzeige einer Frau. Es wird ermittelt, ob sie die Tat womöglich nur vorgetäuscht hat. Welche Motive wären für das Vortäuschen einer solchen Straftat denkbar?

Christian Pfeiffer: Wenn etwa keine körperlichen Nachweise einer Vergewaltigung vorliegen und das mutmaßliche Opfer massive Einwirkungen des Mannes auf ihren Körper beschreibt, dann sind Zweifel angebracht. Dann muss man fragen, ob die Frau möglicherweise psychisch gestört ist. Solche Erfindungen können die Folge einer psychischen Erkrankung sein. Oder gibt es andere Motive? Es gibt besondere Situationen, die allerdings typischerweise bei Minderjährigen auftreten, die eine 'illegale' Freundschaftsbeziehung unterhalten, die für ihre Brüder und Eltern unbekannt ist.

Manchmal erfinden sie in ihrer Notlage dann eine Vergewaltigung, weil sie zum Beispiel nachts nicht nach Hause gekommen sind. Bei Frauen, die schon etwas älter sind, ist so etwas kein zu vermutendes Motiv dafür, eine Vergewaltigung zu erfinden.

Es kommt also vor, dass Personen eine Vergewaltigung erfinden, um sich selbst zu schützen?

Das wäre bei den 15-, 16- oder 17-Jährigen denkbar. Bei einer älteren Frau muss es ganz andere Motive geben, falls man zu dem Ergebnis kommt, dass sie ein solches Verbrechen frei erfunden hat. Diese Motive können auch in ihrer Beziehung liegen. Es können psychisch angeschlagene Menschen sein, die eine Krise bewältigen, in der sie sich zu einem Opfer stilisieren, um Zuwendung und Aufmerksamkeit zu bekommen. Leichtfertig macht eine Frau so etwas jedenfalls nicht, weil es mit einem ungeheuren Stress verbunden ist: Erst erhält sie die ganze Aufmerksamkeit und wird dann überführt.

Wenn eine Frau mit einer solchen Aussage niemanden persönlich schädigt und keinen Mann so präzise beschreibt, dass dieser unter Vergewaltigungsverdacht in Haft sitzt, ist die Situation speziell. Wenn eine Frau Zuflucht in einer sehr allgemeinen, unklaren Beschreibung des vermeintlichen Täters sucht, dann verursacht sie der Polizei eine Menge überflüssige Arbeit. Und das ist ärgerlich und wird als ein Straftatbestand, nämlich Vortäuschen einer Straftat, ernst genommen.

Wenn also keine dritte Person belastet wird, ist die Situation ganz anders. Dann verdient die Person psychologische Aufmerksamkeit, warum sie so etwas inszeniert. Vielleicht ist sie in einer persönlichen, ganz massiven Krise, bis hin zur psychiatrischen Betreuungsmöglichkeit.

Wie denken Sie darüber, dass die Ermittler mit dem Kölner Fall an die Öffentlichkeit gegangen sind?

So etwas wie in Köln ist eigentlich kein Fall, der an die Öffentlichkeit kommen sollte. Das ist meine einzige Kritik. Denn wenn das eine psychisch belastete Frau ist, die keinen konkreten Mann ins Unglück stürzen möchte, indem sie in beschuldigt, sondern nur mit einem Hilferuf zur Polizei eilt, weil sie Aufmerksamkeit und Unterstützung in ihrer persönlichen Notlage braucht, dann ist das etwas, das man nicht an die Presse gibt.

Pfeiffers aktuelle Studie: Das Forschungsteam befragt Frauen, die während der vergangenen fünf Jahre eine Anzeige wegen Vergewaltigung gestellt haben. Es geht darum, wie sie rückblickend die Behandlung vonseiten der Polizei, Staatsanwaltschaft und des Gerichts erlebt haben und ob sie Therapien in Anspruch genommen oder Opferhilfe erhalten haben. Gesondert werden auch Frauen, die kein Deutsch sprechen, zu ihren Erfahrungen mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden befragt. Hinzu kommen Stichproben von Akten zu Vergewaltigungsanzeigen, bei denen der Verlauf des Verfahrens nachvollzogen wird – bis hin zur Verurteilung oder dem Freispruch des mutmaßlichen Täters. Die Studie findet mit Unterstützung von Polizei und Staatsanwaltschaften statt. Mit ersten Ergebnissen rechnet Pfeiffer frühestens in einem halben Jahr.

Wann sollte man trotzdem die Presse und die Bevölkerung informieren?

Eigentlich merkt man schon in den ersten zehn Minuten einer Ermittlung, wenn etwas faul ist. Dann regelt man die Sache intern und mit den Fachleuten, die therapeutisch für so etwas zuständig sind. Dann kriegt die Frau zwar auch ein Strafverfahren, weil die Vortäuschung eben eine Straftat ist, aber dafür braucht man nicht die Öffentlichkeit.

Hier ist etwas grundlegend schiefgegangen. In einem solchen Fall macht man keinen Medienwirbel mit Täterbeschreibungen, die gar nicht die Mühe wert sind, überhaupt veröffentlicht zu werden. Sondern behandelt das als schwere Krise einer Frau, die es nötig gehabt hat, auf diese Weise auf eine besondere psychische Notlage aufmerksam zu machen.

Die Polizei ging mit dem Fall schnell an die Öffentlichkeit, da sie aufgrund der Schilderungen des Tatablaufs fürchtete, dass es sich um einen Wiederholungstäter handeln könnte...

Entweder man hat im Zuge einer Vernehmung den Verdacht, dass die Frau alles frei erfunden hat. Dann führt man so schnell wie möglich die medizinisch notwendigen Untersuchungen durch und wendet sich erst dann mit der Beschreibung eines realen Täters an die Öffentlichkeit, wenn Tatspuren vorhanden sind. Das wäre die richtige Reihenfolge.

Es sei denn, es handelt sich um einen hochgefährlichen Täter, der durch die Parkanlagen von Köln eilt, um der nächsten Frau habhaft zu werden. Wenn das die Befürchtung ist, dann müssen Ermittler die Öffentlichkeit warnen.

In Köln mag es ein Grenzfall sein, wenn anfangs tatsächlich die Sorge da war, der Täter ist real und wir müssen die Menschen warnen. Wenn man zunächst aus Vorsicht die öffentliche Fahndung herausgegeben hat und danach von den Erkenntnissen der Gerichtsmedizin überholt wird, dann ist alles richtig gelaufen. Meine kritische Einstellung gilt nur dann, wenn die Polizei schon bei der ersten Vernehmung den Eindruck hatte, dass die Sache erfunden sein könnte.

Es soll aber nun ja auch keine Hexenjagd stattfinden.

Genau. Man muss sagen, dass die Polizei korrekt gehandelt hat. Wenn sich der Verdacht bestätigen sollte, ist durchaus Anlass gegeben, dass die Polizei der Frau Hilfe vermittelt. Da braucht man ein besonderes Händchen, um Frauen dazu zu bewegen, einzuräumen: "Das habe ich erfunden". Das würde den betreffenden Frauen dabei helfen, Hilfe zu bekommen. Dann gibt es natürlich weiterhin das Strafverfahren, aber wenn sie die Chance nutzen, die Wahrheit zu sagen, helfen sie sich selbst und können Unterstützung kriegen.

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So ein Fall wie der in Köln fordert die Polizei in ganz spezieller Weise. Da muss sie umschalten und ohne große Vorwurfsgeste nachspüren und der Frau aufzeigen, aus welcher Dynamik heraus sie in diese Sackgasse geraten ist. Das ist eine spannende Geschichte. Es ist wichtig, dass man für so etwas Sensibilität weckt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Adressen der Opferhilfe:
Weißer Ring Köln-Nord - Telefon: 02421/16622 oder E-Mail
Weißer Ring Köln-Rechtsrheinisch, Wolfgang Mengel – Telefon 0151/55164823 oder E-Mail
Weißer Ring Köln-Süd, Barbara Armbrecht - Telefon: 02227/9295962 oder E-Mail

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Christian Pfeiffer
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