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Lützerath in NRW: Landwirt will Hof vor Braunkohle-Baggern retten


"Das muss endlich aufhören"
Der letzte Landwirt von Lützerath kämpft gegen die Braunkohle-Bagger

Von Tobias Christ

Aktualisiert am 31.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Blick auf die Abbruchkante des Kohlewerks (Montage): Eckhardt Heukamp kämpft um seinen Hof.Vergrößern des Bildes
Blick auf die Abbruchkante des Kohlewerks (Montage): Eckhardt Heukamp kämpft um seinen Hof. (Quelle: Thomas Banneyer)

Ein Dorf im Rheinland ist eine hochumkämpfte Zone: Ein Landwirt will seinen historischen Hof vor dem Abriss durch den Energieriesen RWE retten. Unterstützt wird er von Klimaaktivisten. Kann das gelingen?

Ein Landwirt streitet vor Gericht um seinen Hof, rund 200 Klimaaktivisten bereiten sich auf zivilen Ungehorsam vor. In dem kleinen Ort Lützerath, der dem Braunkohleabbau Garzweiler II weichen soll, wächst der Widerstand gegen die Energiepolitik. Eindrücke von der Abbaukante.

Die Masterarbeit von Florian Özcan muss warten. Für den Philosophiestudenten gibt es derzeit Wichtigeres zu tun. "Wir kämpfen dafür, dass man unsere Wirtschaftsweise ändert, damit wir die Klimakrise stoppen", sagt der junge Mann mit Bart und Brille auf einer Wiese in der kleinen Ortschaft Lützerath.

Noch stehen um ihn herum alte Bäume, noch sind nicht alle Gebäude abgerissen. Doch die Reste der winzigen Ortschaft zwischen Aachen und Düsseldorf sind akut bedroht. Der Energiekonzern RWE will seinen Braunkohletagebau Garzweiler II erweitern. Das zu Erkelenz gehörende Lützerath soll als nächster Ort verschwinden, weitere Dörfer später.

Die riesigen Tagebaubagger haben sich schon bis auf etwa 100 Meter vorgearbeitet. Hinter der Abbaukante öffnet sich in der flachen Landschaft ein gewaltiger Krater.

Umkämpfte Zone Lützerath: Aktivist Özcan tauschte WG-Bude gegen Zelt im Protestcamp

Im vergangenen Jahr ließ RWE in Vorbereitung der Tagebau-Erweiterung die Landstraße 277 nach Lützerath beseitigen. Seitdem hat sich der Ort zu einer umkämpften Zone entwickelt. Florian Özcan gehörte damals zu den Ersten, die sich dauerhaft in dem kleinen Nest niederließen, um für große Ziele zu kämpfen.

Der Kohleabbau müsse gestoppt und die Klimaerwärmung auf die international vereinbarten 1,5 Grad gebremst werden. Das ist das Ziel der Bewohner des Protestcamps, das sich seit vergangenem Sommer gebildet hat. Özcan siedelte damals zusammen mit etwa 30 weiteren Aktivisten der Klimabewegung nach Lützerath um.

Seine WG-Bude in Heidelberg tauschte er gegen ein Zelt auf dem Land ein und engagiert sich nun für die Initiative "Lützerath lebt". Der 27-Jährige schätzt, dass sich hier mittlerweile 50 bis 60 Menschen dauerhaft engagieren, weitere 150 Mitstreiter gesellten sich immer für eine gewisse Zeit dazu. Auch die Klimaaktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer waren schon da.

RWE: "Alle Maßnahmen sind genehmigt"

Kuckum, Unter- und Oberwestrich, Berverath und Keyenberg dürfen nicht vor Ende 2026 abgebaggert werden. Immerath und Lützerath soll es schon früher treffen. Die meisten Einwohner seien mittlerweile nach Immerath-neu umgesiedelt, teilte RWE auf Anfrage mit. Innerhalb der Rodungsperiode 2021/2022 seien innerhalb und außerhalb Lützeraths "tagebauvorbereitende notwendige Rodungsarbeiten" geplant. "Danach wird die Ortschaft bis Ende 2022 durch den Tagebau Garzweiler bergbaulich in Anspruch genommen."

Alle Maßnahmen seien seit Langem genehmigt und erforderlich, um den Tagebau im südlichen Bereich des Abbaufeldes weiterzuentwickeln. Der Tagebau Garzweiler sei für die Bekohlung des immer kleiner werdenden Kraftwerksparks von zentraler Bedeutung, so das Unternehmen:. "Denn er sichert die Kohleversorgung und trägt damit zur Versorgungssicherheit bei."

"In Lützerath entscheidet sich, ob Deutschland das 1,5-Grad-Ziel erreichen kann"

Laut der Initiative "Alle Dörfer bleiben" sollen weitere 650 Millionen Tonnen Braunkohle aus der Erde geholt und verstromt werden – viel zu viel für die Aktivisten. Auch für Antje Pistel von "Alle Dörfer bleiben" ist Lützerath mehr als nur ein weiteres Dorf, das fallen soll: "Hier entscheidet sich, ob Deutschland das 1,5-Grad-Ziel erreichen kann."

Ob RWE seinen Zeitplan einhalten kann, hängt auch vom Erfolg von Eckhardt Heukamp ab. Der letzte Landwirt von Lützerath weigert sich, seinen Hof an RWE zu verkaufen. Seine Kollegen und fast alle Bewohner des Orts haben sich entschädigen lassen und sind gegangen. Eckhardt, wie ihn hier alle nennen, bleibt. Die Braunkohle sei eine "sehr belastende Energiequelle", sagt der 57-Jährige vor seinem Bauernhof aus dem Jahre 1763, auf dem er in vierter Generation wirtschaftet. "Das ist nicht mehr zeitgemäß, das muss endlich aufhören."

Weil sich das Enteignungsverfahren gegen ihn in die Länge ziehen könne, habe RWE die "vorzeitige Besitzeinweisung" beantragt. Damit könnte der Konzern noch vor Abschluss des Enteignungsverfahrens auf seine Hofanlage zugreifen, sagt Heukamp. "Das versuchen wir zu verhindern."

Gegen Land und RWE: Ein Landwirt kämpft für seinen historischen Hof

Doch die Eilanträge, die Heukamp und zwei seiner Mieter gegen die Besitzeinweisung einreichten, sind in erster Instanz gescheitert. Nun will Eckhardt Heukamp vor das Oberverwaltungsgericht Münster ziehen, möglicherweise auch vor den Bundesgerichtshof. "RWE behauptet, sie brauchen die Braunkohle unbedingt, um die Kraftwerke am Laufen zu halten", sagt der streitbare Landwirt: "Wir haben nachgewiesen, dass man sowohl Lützerath als auch die Keyenberger Dörfer stehen lassen kann, und trotzdem haben die bis 2038 ausreichend Kohlemenge."

Ein wenig fühle er sich wie David, der gegen Goliath kämpft: "Ich bin in der deutlich schwierigeren Situation, die Platzhirsche sind das Land und RWE."

Schützenhilfe bekommt Eckhardt Heukamp von den Aktivisten, denen er seine Wiese zur Verfügung gestellt hat. Dort stehen Zelte und Bretterbuden, gekocht wird vegan und die Tagesaufgaben werden im morgendlichen Plenum in einem Zirkuszelt verteilt. Die verschiedenen Initiativen sammeln Spenden, damit sich Eckhardt Heukamp seinen Kampf gegen Goliath leisten kann. 45.000 Euro seien bereits zusammengekommen, heißt es.

Bewohner im Protestcamp bereiten "Ernstfall" vor

Die überwiegend jungen Campbewohner bereiten sich unterdessen auch auf den "Ernstfall" vor. Überall werden derzeit Baumhäuser errichtet. Verliert Heukamp seinen juristischen Kampf, solle die Räumung und Rodung seines Grundstücks so lange wie möglich herausgezögert werden, sagt Florian Özcan.

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Es gehe darum, mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen, immer in der Hoffnung, dass die öffentliche Meinung irgendwann zugunsten der Braunkohlegegner kippt. So, wie es auch im Hambacher Forst funktioniert habe.

"Ich hoffe, dass wir es schaffen, dass Deutschland an diesem Ort aus der Kohle aussteigt", sagt Florian Özcan. Gewinnen die Klimaschützer ihren Kampf, will er an der Wiederbelebung Lützeraths mitwirken: "Vielleicht gibt es hier ja wieder ein aktives Dorfleben." Für Sonntag ist eine Demonstration für den vom Abriss bedrohten Hof angekündigt. Angemeldet sind 5.000. Teilnehmer.

Teilerfolg in Lützerath: Enteignung vertagt

Vorerst bekommen Eckhardt Heukamp und seine Anhänger einen Vorschub. Denn: Der Kohlekonzern soll dem Oberverwaltungsgericht schriftlich zugesagt haben, auf den Abriss des Hofs vorerst zu verzichten. Zuerst warte man auf die finale Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Münster. Die Entscheidung soll dann bis zum 7. Januar 2022 getroffen werden.

Die Menschen aus Lützerath wissen jedoch, dass das nur den Hof von Heukamp betreffe. Abrissarbeiten werden weiterhin erwartet. Weiter ruft das Bündnis "Alle Dörfer bleiben" die Koalitionsverhandler in Berlin dazu auf, das Zeitfenster bis Januar zu nutzen und einen Kohleausstieg zu beschließen, der das Pariser Klimaschutzabkommen einhalte.

Bereits vor einigen Tagen haben Bewohner erlebt, was passieren könnte, wenn der RWE-Konzern die juristische Auseinandersetzung gewinnt: RWE-Mitarbeiter sollen versucht haben, Absperrgitter ins Dorf zu bringen, um den Abriss von Häusern vorzubereiten, erzählt ein Bewohner. Er und weitere Anhänger hätten dies verhindert. Denn es sei der pure Wahnsinn, weiter Kohle zu verstromen inmitten der Klimakrise.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen und Gespräche vor Ort
  • Anfrage bei RWE
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