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"Letzte Generation" München: Aktivisten reagieren auf Gerichtsbeschluss


Interview
Wie machen die Aktivisten der "Letzten Generation" weiter?

Von Sara Guglielmino

Aktualisiert am 25.11.2023Lesedauer: 4 Min.
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Mitglieder der "Letzten Generation" demonstrieren in München (Archivbild): In den kommenden Wochen wollen die Klimaaktivisten erneut in Bayern aktiv werden.Vergrößern des Bildes
Mitglieder der "Letzten Generation" demonstrieren in München (Archivbild): In den kommenden Wochen wollen die Klimaaktivisten in Bayern erneut aktiv werden. (Quelle: IMAGO / aal.photo/imago images)

Zwei Aktivisten der "Letzten Generation" verraten, wie sie nach dem Beschluss des Münchener Landgerichts vorgehen werden. Zuvor hatte das Gericht den Anfangsverdacht bestätigt, dass es sich bei der Gruppe um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte.

Ingo Blechschmidt soll an einem Tag im Mai in der Wohnung seiner Freundin am Stadtrand von Augsburg gesessen haben, als gegen 7 Uhr morgens die Polizei an der Tür klingelte. Blechschmidt soll angenommen haben, dass es sich um einen Paketboten handle und habe die Tür geöffnet, nur um sie kurze Zeit später wieder zuzuschlagen. Er erinnere sich daran, zu seinem Handy gerannt zu sein und es ausgeschaltet zu haben, um es vor fremdem Zugriff zu schützen. In der Zwischenzeit sollen sich bereits ein Dutzend Beamte in Uniform Zutritt zu der kleinen Einzimmerwohnung verschafft haben.

Durchsuchungen bei Letzter Generation
Polizisten tragen bei einer Hausdurchsuchung in Berlin-Kreuzberg einen Karton zu einem Fahrzeug. Ein halbes Jahr nach den umfangreichen Durchsuchungen bei der "Letzten Generation" hat das Landgericht München I zahlreiche Beschwerden gegen die Razzia größtenteils abgewiesen. (Quelle: Christoph Soeder/dpa/dpa-bilder)

Razzia gegen die "Letzte Generation" im Mai 2023

Grundlage für die Razzia im Frühling war der Anfangsverdacht des Münchner Amtsgerichts, dass es sich bei der "Letzten Generation" um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte.

Daraufhin erließ das Gericht Durchsuchungsbefehle bei Aktivisten aus der ganzen Republik. Die Razzien stießen bei den Klimaaktivisten auf Unverständnis. 11 der 15 Durchsuchten reichten Beschwerde ein. Doch inzwischen ist klar: ohne Erfolg. Zehn der elf Beschwerden wies das Landgericht als "unbegründet" zurück, einer gab sie teilweise statt.

Telefondienst bei der "Letzten Generation"

Blechschmidt ist einer von 15 Aktivisten der Klimabewegung "Letzte Generation", die während einer bundesweiten Razzia in den Fokus der Ermittlungen gerückt waren. Der Grund: Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Immer wieder war die Bewegung in Vergangenheit in Kritik geraten – unter anderem, weil sie das Brandenburger Tor aus Protest mit Farbe beschmiert, Suppe auf Gemälden verteilt oder mit Straßenblockaden stundenlange Staus verursacht hatte.

An solchen Maßnahmen habe sich Blechschmidt nie beteiligt, sagt er. Sein Aktivismus spielt sich am Telefon ab: Für den Telefondienst der "Letzten Generation" habe er täglich am Hörer gesessen – manchmal stundenlang – und sich mit Freunden und Feinden der Bewegung ausgetauscht. Seine Telefonnummer habe auf der Internetseite der "Letzten Generation" gestanden, erzählt er. So erklärt sich der 35-jährige Mathematiker, wieso ihn die Beamten überhaupt auf dem Schirm hatten.

Der Aktivist berichtet, dass er und seine Freundin vom Bett aus zugeschaut hätten, während die Polizisten stundenlang in der Wohnung Schränke und Schubladen durchsucht hätten. Gelegentlich hätten sie aufstehen dürfen, um auf die Toilette zu gehen oder sich ein Müsli zu holen. Nach vier Stunden hätten die Polizisten die Wohnung wieder verlassen. Laut Blechschmidt sollen sie USB-Sticks, Festplatten und Blechschmidts Handy mitgenommen haben.

Anfangsverdacht bestätigt: Möglicherweise kriminelle Vereinigung

Der Donnerstagnachmittag sorgte diese Woche bei der Klimabewegung bundesweit für Aufruhr. Grund ist das Landgericht München I, das einem Anfangsverdacht des Münchner Amtsgerichts zustimmte: Demnach könnte es sich bei der "Letzten Generation" tatsächlich um eine kriminelle Vereinigung handeln, wodurch auch die Durchsuchungsbefehle vom Mai rechtens sind.

Klimaaktivist Blechschmidt: "Falschaussagen bleiben haften"

Um die "Letzte Generation" tatsächlich als kriminelle Vereinigung einzustufen, brauche es ein rechtskräftiges Urteil. Bis dahin sei es noch ein langer Weg. Denn im nächsten Schritt müsse zunächst geprüft werden, ob ein hinreichender Verdacht bestätigt werden könne, sagte ein Sprecher der Münchner Generalstaatsanwaltschaft t-online. Das vollständige Statement finden Sie hier.

Besonders störe Blechschmidt der entstandene negative Wirbel rund um die Bewegung: "Solche Falschaussagen bleiben natürlich in den Köpfen der Menschen haften."

"Letzte Generation": Für das Klima in den Knast

Laut der bayerischen Polizei durchsuchten Beamte im Mai Objekte in Berlin – darunter die Wohnung der "Letzte Generation"-Sprecherin Carla Hinrichs –, Hessen, Dresden, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Hamburg. In Bayern wurden ebenfalls drei Objekte durchsucht – eines davon war neben der Wohnung von Blechschmidts Freundin die der Freundin des gebürtigen Tegernseers Wolfgang Metzeler-Kick.

Während Blechschmidt sich eher im Hintergrund hält, geht Metzeler-Kick aufs Ganze: Immer wieder soll er sich für den Protest vor die Autos setzen, darüber hinaus habe er sich sogar an Hungerstreiks beteiligt. Wie oft er schon im Polizeigewahrsam musste, wisse Metzeler-Kick nicht mehr genau. Um die zehnmal, schätzt er.

Das Thema Klima begleitet den heutigen Aktivisten schon lange – von Beruf ist er Ingenieur im technischen Umweltschutz. Da ihn seine Arbeit nicht mehr glücklich machte, begann er eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Im Januar 2022 sei er dann Teil der "Letzten Generation" geworden, erzählt er. "Diese Tätigkeit brachte es mit sich, dass sich in der Ausbildung zu viele unentschuldigte Fehlzeiten ansammelten." Metzeler-Kick brach die Ausbildung schließlich ab, um fortan Vollzeitaktivist zu sein.

"Fatale Zukunftsprognosen": Beschluss bedeutungslos

Zum Zeitpunkt der Razzia lebte der 47-Jährige in Regensburg. Aber auch in Metzeler-Kicks Fall sollen Polizisten nicht die Wohnung des Aktivisten durchsucht haben, sondern die seiner Freundin in München. Er selbst sei zu dem Zeitpunkt allerdings in Berlin gewesen, wo er am Abend zuvor mit anderen Aktivisten eine Autobahn blockiert habe.

"Letzte Generation": Verdacht treffe die Falschen

Blechschmidts und Metzeler-Kicks Verhältnis zur bayerischen Justiz scheint gespalten zu sein. Es liegt ihnen fern, den Rechtsstaat infrage zu stellen, aber die Enttäuschung ist kaum zu überhören, wenn sie über Razzien, Richter und Beschlüsse sprechen. Sie sind überzeugt: Der Verdacht trifft die Falschen.

Der eigentliche Übeltäter sei die Politik, die nicht genug mache, um das Pariser Abkommen einzuhalten und die Erderwärmung bis 2030 auf 1,5 Grad zu beschränken. "Wenn man die 'Letzte Generation' schon kriminalisiert, dann bitte auch die Bundesregierung", fordert Blechschmidt.

 
 
 
 
 
 
 

Aktivisten der "Letzten Generation" hören nicht auf

Inwiefern der Beschluss des Landgerichts die Arbeit der Aktivisten konkret verändern wird, bleibt offen. Blechschmidt wolle sich aus Augsburg weiterhin den Fragen der Menschen am Telefon stellen. Metzeler-Kick betont, auch jetzt nicht aufzuhören, sich auf die Straßen zu kleben. "Angesichts der fatalen Zukunftsprognosen ist dieser Gerichtsbeschluss sowieso komplett bedeutungslos", sagt er t-online.

Die "Letzte Generation" hatte als Reaktion auf den Beschluss des Landgerichts für Samstag, den 25. November, zu einer Massenblockade auf der Straße des 17. Juni in Berlin aufgerufen. Auch Aktivist Metzeler-Kick wird teilnehmen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Klimaaktivist Ingo Blechschmidt
  • Gespräch mit Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick
  • Eigene Recherche
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