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München: S-Bahn-Crash in Schäftlarn – wie es den Menschen jetzt geht


S-Bahn-Crash bei München
Ein zerfledderter Stahlhaufen – und viele Fragen

Von Christof Paulus

15.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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S-Bahn-Wrack bei München: Der Zugunfall bei Schäftlarn hat bundesweit für Aufsehen gesorgt.Vergrößern des Bildes
S-Bahn-Wrack bei München: Der Zugunfall bei Schäftlarn hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. (Quelle: Matthias Balk/dpa-bilder)

Auch am Tag nach dem S-Bahn-Unglück in Schäftlarn sind Helfer an der Unfallstelle. Die Spuren sind unübersehbar. Nun hat die Suche nach der Ursache begonnen – nicht nur bei Experten.

Die Schranken am Bahnübergang sind schon seit Stunden geöffnet. Normalerweise sinken die rot-weißen Balken alle paar Minuten herunter und versperren die Durchfahrt zur Bundesstraße im Schäftlarner Ortsteil Ebenhausen.

An diesem Dienstag ist in der 6.000 Einwohner kleinen Gemeinde, die mit dem Zug gerade nicht zu erreichen ist, ungewöhnlich viel los.

S-Bahn-Unglück bei München: "Der Boden hat vibriert"

Direkt am Bahnhof steht die Ebenhausener Backstub'n. Immer wieder, wenn die Tür aufgeht, betreten Frauen und Männer in Dienstkleidung das Lokal. Manche tragen Warnwesten, andere Uniformen. "Einen Krapfen, bitte", sagen die Kunden. Oder: "Drei Brez'n und ein Baguette." Und meistens auch etwas wie: "Schlimm, was gestern passiert ist. Weiß man schon was Neues?"

Der Grund für all das ist von der Backstub'n aus gerade noch zu erkennen. Blickt man am Gebäude vorbei, an den Bäumen hinter den Gärten der Poststraße neben dem Gleis entlang, lugt noch ein rotes Heck um die Kurve. Seit gut einem Tag steht es dort, man sieht das Ende eines Zuges, dessen vorderer Teil nur noch ein zerknautschter und zerfledderter Stahlhaufen ist.

"Ich war gerade im Lager", erzählt Theresa Kastenmüller, die Junior-Chefin der Backstub'n. "Dann gab es einen dumpfen Knall. Und der Boden hat vibriert." Etwa 100 Meter ist ihr Geschäft von der Unglücksstelle entfernt. "Ich bin auf die Terrasse gelaufen, habe auf die Gleise geschaut." Um dann schnell wieder hineinzugehen.

Ebenhausen: 800 Helfer bei S-Bahn-Unfall im Einsatz

Binnen weniger Minuten bricht in Ebenhausen das Chaos aus, allein 800 Helfer sind vor Ort. Müde sei sie, erzählt Kastenmüller am Tag nach dem Zusammenstoß. Die Bäckerei und die benachbarte Metzgerei versorgen seit dem Unglück die Helfer mit Essen und Getränken. Und die restliche Kundschaft mit Informationen aus erster Hand.

An der offenen Schranke steht tags darauf Josef Müller und blickt aufs Ende des Zugwracks. Er kommt gerade vom Einkaufen, hat einen Bekannten im Ort getroffen. Die beiden heben und senken die Arme, zeigen in Richtung Gleis, schütteln die Köpfe. Den Aufprall haben sie gar nicht gehört, sagen die beiden. "Plötzlich gingen die Sirenen los", erzählt Müller. Der Bekannte sieht die S-Bahn aus seinem Fenster, Müller war schnell klar, dass etwas Größeres passiert ist. "Sechs Hubschrauber waren in der Luft", berichtet er.

Wenn die Menschen hier über das Unglück sprechen, kommt oft ein Vorfall aus dem vergangenen Sommer zur Sprache. Damals waren einen Ort entfernt ebenfalls zwei S-Bahnen aufeinander zugerast – nur die beiden Lokführer verhinderten mit ihrer Bremse die Katastrophe.

Manche sprechen von Sorgen, die ihnen die S-Bahn bereite. Die Linie 7 nach Wolfratshausen sei die schlimmste der Münchner S-Bahnen, sind Müller und sein Bekannter sich einig. Sie schauen genau auf das Gleis, die Leitungen und Signale. Störungen und Verspätungen seien normal hier. "Wenn am Ende stehen sollte, dass der Lokführer schuld war, dann ist das der ärmste Mensch", sagt Müller.

Offene Fragen nach Zug-Unglück: Mensch oder Maschine?

Um genau die Frage danach zu beantworten, muss man die Poststraße hinaufgehen, um hinter die Kurve sehen zu können. So viele Fragen noch offen sind, eines dürfte schon klar sein: Auch die Kurve wurde den Lokführern und ihren Passagieren zum Verhängnis. Die Unfallstelle ist nur aus der Nähe einzusehen. Eine Chance, den entgegenkommenden Zug erahnen zu können, dürfte es kaum gegeben haben.

Die zentrale Frage ist: War es ein technischer Fehler – oder der Faktor Mensch? Laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) prüfen die Ermittler derzeit, ob der Frontalzusammenstoß durch menschliches Versagen verursacht wurde. Nach gegenwärtigem Stand gebe es keine Hinweise darauf, dass es um technisches Versagen gehe. Die Ermittlungen würden daher vor allem in Hinblick auf die Frage, ob es menschliches Versagen gab, konzentriert.

Für Angaben der "Bild"-Zeitung, dass womöglich ein rotes Signal überfahren wurde, gibt es keine Bestätigung von den Ermittlern. Bei der Staatsanwaltschaft hieß es, es werde ergebnisoffen ermittelt.

Polizei und Gutachter arbeiten an den Wracks, um den Hergang zu klären, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk sichern währenddessen. Die Bahnstrecke bleibt gesperrt, ebenso die Bundesstraße, die knapp unter der Unfallstelle vorbeiführt.

Nicht zuletzt muss die Statik des Bahndamms geprüft werden. Nicht vor Mittwoch, aber vielleicht auch erst Donnerstag könne mit der Bergung der Züge begonnen werden, hieß es bei der Polizei. Wegen der Lage an einer steilen Böschung dürften die Arbeiten schwierig werden.

Ermittlungen durch Umstände erschwert

Die Deutsche Bahn gab zunächst keine Prognose, wann die Strecke wieder freigegeben werden kann. Erst nach der Freigabe der Unfallstelle könne die DB mit den Aufräum- und Reperaturarbeiten beginnen. Schäden an der Infrastruktur könnten erst abschließend begutachtet und behoben werden, wenn die Züge abtransportiert worden seien.

Die Führerhäuschen sind eingedrückt wie eine Coladose, es grenzt an ein Wunder, dass beide Lokführer den Unfall schwer verletzt überlebt haben. Wie das gelungen ist, welche Geschwindigkeit die beiden Züge hatten, ob noch gebremst wurde, all das sei derzeit zu ermitteln, sagt Benjamin Castro Tellez, Pressesprecher der Polizei München.

Weil das dauert, bleibt in Ebenhausen noch ein wenig Zeit, das Ende des havarierten Zuges zu betrachten. Näher kommt die Öffentlichkeit nicht heran, auch die Bundesstraße 11, die am Hang unter der Bahnstrecke verläuft, ist hier gesperrt und von Einsatzkräften bevölkert.

Die Lokomotiven hängen neben dem Gleis am Hang, das demolierte Fahrwerk eines Waggons steht daneben. "Zum Glück ist der Zug nicht auf die Straße gerutscht", sagt Passant Müller.

S-Bahn-Unglück erinnert an Katastrophe von Bad Aibling

"Glimpflich" ist ein Wort, das immer wieder zur Sprache kommt in Ebenhausen, immer nur nach einer kurzen Pause und mit einem spürbaren Anflug von schlechtem Gewissen – denkt man an den Toten und die Verletzten. Erinnerungen ans 50 Kilometer entfernte Bad Aibling werden wach, wo 2016 zwölf Menschen bei einer Frontalkollision zweier Züge auf einer eingleisigen Strecke starben, 89 wurden verletzt. "Bei so einem Unfall rechnet man mit vielen Toten", sagt Müller.

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Ein Fahrdienstleiter hatte in Bad Aibling mit dem Handy gespielt und falsche Signale gesetzt. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Am 6. August vergangenen Jahres wiederum gab es unweit des aktuellen Unfallortes bereits eine Beinahe-Kollision zweier S-Bahnen.

Bundespolizei-Sprecher Wolfgang Hauner sieht jedoch keine Parallelen: Damals seien Personen im Gleis gemeldet worden. Daraufhin erhielten beide Lokführer die Anweisung zum Langsamfahren. Einer der beiden hätte zudem warten müssen. Er habe das jedoch missverstanden und sei losgefahren. Da die Sicht auf gerader Strecke gut war und beide Züge langsam fuhren, konnten sie rechtzeitig bremsen.

Ein Feuerwehrsprecher nennt t-online Umstände, die im Fall in Ebenhausen womöglich mehrere Leben retteten. "Der Lokführer des Zuges von Wolfratshausen nach München hatte kurz vor dem Zusammenprall offenbar noch eine Notbremsung eingeleitet, sich dann nach hinten gerettet", sagt er.

Doch: "Der Passagier, der unmittelbar hinter dem Führerstand saß, hatte keine Chance." Die Experten ermitteln weiter. Und Ebenhausen trifft sich derweil am Bahnübergang.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Polizeisprecher Castro Tellez, Theresa Kastenmüller, Josef Müller
  • t-online: "Passagier von Trümmerteilen erdrückt"
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