t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalMünchen

Der seltsame Fall des Ferdinand S.: Zu sauber für Olympia?


Zu sauber für Olympia?
Der seltsame Fall des Ferdinand S.

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 05.05.2022Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Ferdinand Schladen war einer der besten Kugelstoßer Deutschlands (Archivbild): Ein Freund berichtet von einer "vergifteten Atmosphäre" zwischen ihm und dem Bundestrainer.Vergrößern des Bildes
Ferdinand Schladen war einer der besten Kugelstoßer Deutschlands (Archivbild): Ein Freund berichtet von einer "vergifteten Atmosphäre" zwischen ihm und dem Bundestrainer. (Quelle: WEREK/imago-images-bilder)

Ferdinand Schladen gehörte zu den besten Kugelstoßern seiner Zeit. Bei Olympia in München 1972 durfte er trotzdem nicht starten. Nach seinem Tod ist nun ein Streit entbrannt.

Ein Ehrenplatz auf der Tribüne bei den Olympischen Spielen war es, den Ferdinand Schladen bekommen hat. Man könnte ihn darum beneiden. Doch für den Kugelstoßer war die Einladung zu den bislang letzten Spielen in Deutschland bestenfalls ein Trostpreis, ein sehr billiger obendrein. Großes Unrecht sei Schladen widerfahren, wird sein Freund Wolfgang Knüll bis heute nicht müde zu wiederholen. Vor allem jetzt, da der 2021 gestorbene Schladen in München erneut verschmäht wird.

Im Jahr 1972: Als Ende August die Spiele im neuen Münchner Olympiastadion beginnen, liegen schon historische Tage hinter den bundesdeutschen Kugelstoßern. Und vor allem hinter dem Bonner Ferdinand Schladen, der so gut in Form war wie nie in seinem Leben.

Ferdinand Schladen durfte in München nicht starten

"Er war kein Einzelgänger", erzählt sein Freund und Kugelstoßkonkurrent Wolfgang Knüll im Gespräch mit t-online. "Aber er ist auf seine Weise an die Dinge herangegangen." Schladen trainierte etwa nicht mit den anderen deutschen Kaderathleten. Für Knüll ist klar: Das war der Grund dafür, dass er 1972 zusehen musste. Seine Leistungen könnten es jedenfalls nicht gewesen sein.

Schon die Qualifikation für Olympia 1972 war historisch. Die Deutschen Meisterschaften, sonst an einem Wochenende im Eiltempo durchgezogen, fanden als Olympia-Test eine halbe Woche lang im neuen Olympiastadion statt. Schladen, mit 20,40 Meter als frischer Rekordhalter der Bundesrepublik im Kugelstoßen angereist, verpasste aber das Podest. Und damit Olympia.

"Ungerecht", nennt Knüll die Nichtnominierung. Denn zwar habe es vor den Meisterschaften stets geheißen, dass die drei Besten zu den Spielen dürfen. "Aber nur", sagt Knüll, "wenn sie eine Weite über 20 Metern erzielten." So weit schaffte es aber nur der neue deutsche Meister, Ralf Reichenbach. Schladens Rekord nutzte ihm dennoch wenig. "Als man sah, dass Schladen an 20 Metern dran war, wurde schnell nominiert", erzählt Knüll.

Ungewöhnliches Geschenk: Fahne des Olympischen Dorfes

Heute, 50 Jahre nach den Spielen von München, bei denen Schladens 20,40 Meter für den Endkampf gereicht hätten, sind die Einzelheiten des Kugelstoß-Kosmos von 1972 kaum noch nachzuvollziehen. Viele Zeitzeugen sind tot.

Für Knüll, der selbst an den Deutschen Meisterschaften teilgenommen hatte, gibt es aber untrügliche Zeichen, dass Schladen hintergangen wurde. Und dass das nicht nur ihm, sondern auch vielen Verantwortlichen in der bundesdeutschen Leitathletik bewusst war – schlechtes Gewissen inklusive.

Da habe es die Einladung vom Veranstalter an Schladen als Ehrengast gegeben, die Knüll so sicher macht. Und die Fahne des Olympischen Dorfes, die heute in Knülls Haus im niedersächsischen Danneberg liegt. Nach Schladens Tod vor rund einem Jahr kam sie dort hin. Walther Tröger, Bürgermeister des Olympischen Dorfes 1972, hatte sie dem Kugelstoßer nach den Spielen geschenkt. So erzählt es Knüll. Er will, dass die Fahne nun wieder zurück nach München kommt. Nur in München, da will man das wohl nicht.

"Nach der Absprache mit Projektkoordinatorinnen möchte ich Ihnen mitteilen, dass wir so ein großes Stück in unsere Ausstellung nicht integrieren können", teilte eine Mitarbeiterin des Münchner Stadtmuseums Knüll auf sein Angebot hin mit. Grund dafür: Der Ausstellungsraum verfüge nicht über eine geeignete Kapazität.

Knüll: "Ein aufrechter, ehrlicher und feiner Kerl"

Tatsächlich: Als rund sieben Meter langes Stoffstück beschreibt Knüll die Fahne. Zuvor hatte er sich ans Kulturreferat der Stadt München gewandt. Nach München würde das Erinnerungsstück passen, da ist Knüll sich sicher. "Es würde mich freuen, wenn Sie einen Platz finden könnten", schrieb er in seiner Anfrage nach München. Auf großes Verständnis für die Absage muss man bei Knüll daher nicht hoffen.

Besonders schmerzhaft ist das für Knüll, weil er seinen "engen Freund Ferdinand" als "aufrechten, ehrlichen und feinen Kerl" beschreibt. Eine Urgewalt sei er gewesen, 2,03 Meter groß, "Bonns stärkster Mann", wie ihn die lokale Tageszeitung "General-Anzeiger" zu seinem 75. Geburtstag nannte. Aus einfachem Elternhaus stammend sei er sehr intelligent gewesen, ausgestattet mit einer starken Beobachtungsgabe, sagt Knüll.

Zum Kugelstoßen sei Schladen gekommen, weil er als der Hüne, der er war, in seinem Beruf als Estrichleger mit Haltungsschäden zu kämpfen gehabt hätte, erzählt Knüll. Der ärztliche Rat: Sport. Also sei er auf die Sportanlage gegangen. Und habe die Kugel auf Anhieb zwei Meter weiter als die anderen an diesem Tag gestoßen.

Doping in der Leichtathletik schon in den Siebzigern verbreitet

Seine Stärke sei deshalb etwas Besonderes, das sagte Schladen wie auch sein Freund Knüll immer wieder, weil sie auf natürlichem Weg zustande gekommen sei. Gedopt habe er nie, anders als alle Konkurrenten. Für Knüll sei auch das ein Grund für die "vergiftete Atmosphäre" zwischen Schladen und dem Bundestrainer gewesen.

Ob Schladen tatsächlich immer sauber war, lasse sich 2022 kaum noch überprüfen, sagt Stephan Wassong, Leiter des Olympischen Studienzentrums der Sporthochschule Köln. Dass viele von seinen Konkurrenten jedoch gedopt waren, liegt nahe. "Doping spielte auch in der Bundesrepublik eine massive Rolle", sagt Wassong.

Ralf Reichenbach etwa, dem Deutschen Meister im Kugelstoßen von 1972, haftete stets der Ruf eines Dopers an. Sein Tod nährte diesen Ruf. Schon 1998 starb er, mit 47 Jahren, weil sein abnorm vergrößertes Herz plötzlich aufhörte zu schlagen. Knüll sagt, er habe Schladen ein ähnliches Schicksal ersparen wollen und ihm früh gesagt, was Doping bedeute, wie gefährlich es sei. Knüll ist nicht nur Kugelstoßer, sondern auch Arzt. Und Schladen habe auf ihn gehört.

Dopingfahnder bei Olympia 1972 deutlich aktiver als zuvor

In München hätten die Dopingfahnder zwar enorm an Bedeutung gewonnen, schildert Professor Wassong die Verhältnisse. Die Tests hätten sich im Vergleich zu den vorherigen Spielen vervierfacht. Doch im Kalten Krieg waren die Spiele auch politisch bedeutend, wurden instrumentalisiert. Viel Prestige stand für die BRD auf dem Spiel.

Das Sportsystem hatte zwar, anders als in der zentralisierten DDR, einen weitgehend eigenständigen Athleten wie Schladen erst ermöglicht. Auch staatlich verordnetes Doping sei kein Thema in der BRD gewesen. Eine Dopingszene habe es dennoch gegeben. Und obwohl ein Test auf Anabolika schon entwickelt war, wurde der 1972 nicht eingesetzt.

Was Wassong ebenfalls einschätzen kann, ist der Umgang der Funktionäre mit Schladen. Dass ein Sportler, der nicht nominiert worden war, Ehrungen wie er erhält, sei ein "absoluter Ausnahmefall". Auch Wassong sieht darin einen Anlass zu hinterfragen: "Die Behandlung lässt womöglich darauf schließen, dass man die Entscheidung gegen Schladen bedauert hat", sagt er.

Loading...
Loading...
Loading...

Wo kommt die Olympia-Fahne von 1972 hin?

Wolfgang Knüll ist nun weiter auf der Suche nach einer Bleibe für die Fahne seines Freundes. Im Alter von 81 Jahren war Schladen im März 2021 gestorben. Knüll erinnert sich bis heute gerne an die Meisterschaften in München 1972, auch wenn für Schladen hier sein Olympia-Traum platzte.

Denn für Knüll waren die Meisterschaften der Höhepunkt seiner Sportkarriere, die nie die Höhen Schladens erreichte. Und auch Schladen habe seinen Frieden mit der Entscheidung gemacht. Knüll hat die Hoffnung darauf, dass München die Fahne doch noch annimmt, nicht aufgegeben.

Im Stadtmuseum zeigt man Verständnis für die Enttäuschung Knülls. "Wir bekommen viele Anfragen, und es tut uns immer leid, wenn wir ablehnen müssen", sagt Maria Tischner, Pressesprecherin des Museums. Tatsächlich sei der Platz für eine Fahne dieser Größe aber zu knapp. Stattdessen hatte das Museum Knüll zu einem Vortrag eingeladen.

Das hatte der Freund Schladens aber abgelehnt, wie er mitteilt. Ausschließen, dass die Fahne noch einen Platz in München findet, will Tischner aber nicht. Wo konkret das sein könne, wisse sie zwar nicht. In Museen, die nicht zur Stadt gehören, oder temporären Ausstellungen, sehe sie durchaus Chancen. Nur nicht im Stadtmuseum, wo Knüll es sich wünschen würde. Nach Alternativen sucht er schon.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Wolfgang Knüll
  • Mailverkehr zwischen Wolfgang Knüll und Stadtmuseum München
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website