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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zweitligist will den Aufstieg Der Totalumbruch fordert ein unerwartetes Opfer

Kein Verein spielt länger in der 2. Bundesliga als Hannover 96. Dabei träumt der Klub seit Jahren vom Aufstieg. Der soll jetzt endlich gelingen – mit einem komplett neuen Kader.
Den fast schon obligatorischen Ladebalken kennen die Fans von Hannover 96 bereits bestens. Immer, wenn ihr Verein in diesen Tagen einen neuen Transfer ankündigt, postet die Medienabteilung der "Roten" im sozialen Netzwerk X ein Gif, auf dem sich eine schwarze Anzeige von links nach rechts weiß färbt. Darüber steht das Wort "Loading" (Deutsch: laden). Ein Hinweis darauf, dass in den nächsten Minuten bekannt wird, welcher Spieler denn künftig für die Niedersachsen auflaufen wird.
Am Mittwoch nun flimmerte der besagte Ladebalken erneut über den X-Account der 96er. Kurz darauf wurde offiziell: Nahuel Noll wechselt für ein Jahr per Leihe von der TSG Hoffenheim nach Hannover. Der U21-Nationalkeeper wird die neue Nummer eins – und ist bereits der 15. Neuzugang des Klubs in dieser Spielzeit.
Der Sommer in Hannover steht dementsprechend im Zeichen eines Totalumbruchs. Denn den 15 Profis, die sich dem Verein neu angeschlossen haben, stehen 15 Abgänge gegenüber. Der prominenteste von ihnen verließ 96 erst Anfang der Woche – und das in erster Linie, weil er dem Neuanfang und damit dem großen Ziel nicht im Weg stehen wollte.
In Hannover wurde die Reset-Taste gedrückt
Dieses große Ziel ist der Aufstieg in die Fußball-Bundesliga. Seit sieben Jahren versucht sich 96 an der Rückkehr ins deutsche Oberhaus. Doch das Vorhaben scheiterte immer wieder – oft auch, weil der Mannschaft in entscheidenden Momenten die Nerven versagten oder ihr auf der Zielgeraden der Saison die Puste ausging.
Mittlerweile gibt es keinen Verein, der länger am Stück in der 2. Bundesliga spielt als Hannover. Als Konsequenz wurde in diesem Sommer noch einmal die Reset-Taste gedrückt. Marcus Mann, Geschäftsführer Sport bei 96, strukturierte den Kader komplett um und lockte mit Magdeburg-Coach Christian Titz einen der begehrtesten Trainer Deutschlands in die niedersächsische Landeshauptstadt.
Die Ernennung von Titz löste beim 96-Anhang Euphorie aus – und forderte dann plötzlich ein unerwartetes Opfer. Kapitän Ron-Robert Zieler, der mit Deutschland 2014 Weltmeister in Brasilien wurde, hat den Klub am Montag überraschend verlassen. Der 36-Jährige, der in der vergangenen Saison zu den besten Torhütern der 2. Bundesliga zählte, schließt sich wieder seinem Jugendklub 1. FC Köln an.
Zieler wählte die Flucht nach vorn
Auf Instagram schrieb Zieler über seinen überraschenden Abschied, er habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche mit den 96-Verantwortlichen geführt. "Dabei wurde deutlich, dass ein neues Kapitel aufgeschlagen werden soll. Mit frischen Impulsen, neuen Gesichtern und veränderter Ausrichtung." Das gehöre im Fußball dazu, er respektiere das.
Dann der wohl entscheidende Satz: "In den Gesprächen habe ich deutlich gespürt, dass meine Rolle in diesem neuen Kapitel nicht mehr die gleiche sein und das sogar ein Problem werden könnte." Als eine mögliche "Belastung für den Neuanfang und für den Klub", bezeichnete Zieler dieses Szenario.
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Heißt: Zieler und 96, das hätte in den Augen des Keepers womöglich nicht mehr zusammengepasst. Der Grund: Christian Titz verfolgt eine klare Spielphilosophie. Im System des neuen Trainers spielt der Torhüter eine entscheidende Rolle, soll aktiv den Spielaufbau mitgestalten und muss dabei dem Gegnerdruck mit Ball am Fuß gewachsen sein. Für Zieler hätte das eine große Umstellung seines bisherigen Torwartspiels bedeutet.
Zwar soll der Keeper laut "Bild" Titz in einem Vieraugengespräch versichert haben, die Herausforderung annehmen zu wollen. Doch der Trainer sprach ihm in der Folge wohl keine Stammplatzgarantie aus. Das habe Zielers Zweifel verstärkt. Um nicht zum Problem zu werden, wählte er die Flucht nach vorn und hinterlegte seinen Wechselwunsch, dem 96 dann auch stattgab. Für den anvisierten Aufstieg räumte letztlich also auch die Identifikationsfigur ihren Platz.
Dem personellen Aderlass frühzeitig entgegengewirkt
Neben Zieler verabschiedeten sich aber auch weitere etablierte Stammkräfte aus dem 96-Kader. Ex-Nationalspieler Marcel Halstenberg beendete seine Profikarriere, Abwehrhüne Phil Neumann zog es nach England zu Birmingham City und Sei Muroya zurück in seine japanische Heimat zum FC Tokyo. Geld brachte vor allem der Verkauf von U21-Nationalspieler Nicolò Tresoldi zu Club Brügge. Deutsche Medien berichten von sieben bis acht Millionen Euro, die der Deal in die 96-Kassen gespült haben soll und die dem Klub eine Menge Handlungsspielraum auf dem Transfermarkt verschafft hätten.
Dem personellen Aderlass wirkte Marcus Mann aber bereits weit vor dem Tresoldi-Verkauf entgegen. Mittelfeldmotor Franz Roggow von Borussia Dortmund sowie Linksverteidiger Maurice Neubauer von der SV Elversberg verpflichtete er noch vor Saisonende ablösefrei. Auch die Rückkehr von Bielefelds Pokal-Held Marius Wörl zeichnete sich frühzeitig ab. Zwar zog die Arminia die im Leihvertrag vereinbarte Kaufoption für den 21-Jährigen. 96 hatte sich aber eine Rückkaufklausel in den Kontrakt einbauen lassen und machte von dieser umgehend Gebrauch.
Bis zur Öffnung des Transferfensters am 1. Juli gelang es Marcus Mann und dem neuen 96-Sportdirektor Ralf Becker dann, mit der Verpflichtung weiterer Neuzugänge beinahe die gesamte Abgangswelle zu kompensieren. Für die Abwehr verpflichtete Hannover Virgil Ghiță (KS Cracovia), Jonas Sterner (Holstein Kiel), Hendry Blank (RB Salzburg) und Hayate Matsuda (Mito HollyHock), der zuvor leihweise für die Zweitvertretung des Klubs gespielt hatte. Im Mittelfeld verstärkte der Klub sich mit Bastian Allgeier (SSV Ulm) und Waniss Taïbi (Rodez AF). Für den Angriff kamen Benedikt Pichler (Holstein Kiel), Benjamin Källman (KS Cracovia) und Mustapha Bundu (Plymouth Argyle).
Als sich das Transferfenster Anfang des Monats offiziell öffnete, legte 96 direkt mit den Neuzugängen Nummer 13 und 14 nach. Von SuperSport United kam das südafrikanische Abwehrtalent Ime Okon nach Hannover, vom schottischen Meister Celtic Glasgow der gebürtige Bremer Maik Nawrocki. Kurz darauf folgte mit Nahuel Noll der 15. Transfer des Sommers. Es soll wohl nicht der letzte sein. Von einem dribbelstarken Offensivspieler und einem dritten Torwart, die noch kommen sollen, war zuletzt in den Medien die Rede.
Aufstieg? "Man kommt um dieses Wort nicht herum"
Ob mit der runderneuerten Mannschaft direkt der Aufstieg gelingen wird, bleibt derweil schwer einzuschätzen. Dass der Kader schon vor Beginn des Trainingslagers im österreichischen Saalfelden nahezu komplett ist, dürfte 96 aber entgegenkommen. Dreieinhalb Wochen bleiben Christian Titz und seinem Team, um sich einzuspielen. Dann steht der Ligaauftakt vor heimischem Publikum gegen den 1. FC Kaiserslautern auf dem Plan.
Marcus Mann gab sich zum Monatsbeginn beim Thema Aufstieg gewohnt diplomatisch. "Man kommt um dieses Wort in Hannover nicht herum", gab der 41-Jährige zwar zu. "Aber nur vom Reden wird es nicht wahrscheinlicher. Wir tun alle gut daran, hart zu arbeiten und zu investieren für den Erfolg auf allen Ebenen." Das beginne bei der Mannschaft und ziehe sich durch den gesamten Verein.
"Nur mit Reden ist noch keiner erfolgreich gewesen", wurde Mann zum Abschluss des Gesprächs deutlich. Der Totalumbruch soll in Hannover also nur der Anfang von etwas ganz Großem sein, auf Worte sollen Taten folgen – damit der Traum von der Bundesliga endlich wahr wird.
- x.com Hannover96
- instagram.com: ronzieler
- bild.de: "Das steckt hinter Zielers Blitz-Abgang bei 96"
- ndr.de: "96-Geschäftsführer Mann: 'Nur mit Reden war noch keiner erfolgreich'"
- Eigene Recherche