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1. FC Heidenheim: So tickt der Bundesliga-Neuling


Ein ganz neues Gesicht im Oberhaus
"Nichts zu verlieren? Das ist totaler Quatsch"

Von William Laing

18.08.2023Lesedauer: 7 Min.
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Kevin Müller: Der Heidenheim-Torhüter spielt schon seit acht Jahren für den Klub.Vergrößern des Bildes
Kevin Müller: Der Heidenheim-Torhüter spielt schon seit acht Jahren für den Klub. (Quelle: IMAGO/Markus Fischer)

Der 1. FC Heidenheim geht in seine allererste Bundesligaspielzeit. Doch wie tickt ein Klub aus einer Kleinstadt, der plötzlich im Konzert der Großen mitspielen darf?

Das Drama am 28. Mai 2023 nahm seinen Lauf, als in Regensburg ein Pfiff ertönte und Schiedsrichter Sören Storks auf den Elfmeterpunkt zeigte. Während rund 150 Kilometer entfernt in Sandhausen der Hamburger SV gerade schon den Aufstieg in die Bundesliga feierte, knallte Heidenheims Jan-Niklas Beste in der dritten Minute der Nachspielzeit den fälligen Strafstoß in die Maschen. Drei Zeigerumdrehungen später brachte Toptorjäger Tim Kleindienst den Ball erneut im Regensburger Gehäuse unter. Der HSV rutschte auf Relegationsrang drei ab, der 1. FC Heidenheim war plötzlich Zweitligameister und löste dadurch das erste Mal in seiner Vereinsgeschichte das Ticket für die Bundesliga.

"In dem Moment hatte ich Tränen in den Augen", erinnert sich Robert Strauß, Bereichsleiter Sport beim 1. FC Heidenheim im Gespräch mit t-online an die letzten Minuten von Regensburg zurück. "Der Verein ist für mich eine Herzenssache. Der Aufstieg ist das Größte, was ich in meiner Sportlerkarriere erreicht habe, auch wenn ich nicht mehr aktiver Fußballer bin."

Jetzt, fast drei Monate später, steht die Premierensaison in der Bundesliga für den Klub aus der 50.000-Seelen-Stadt an. Das Ziel ist erst mal der Klassenerhalt. Dass dieser trotz der großen Konkurrenz gelingen kann, daran glaubt jeder in und um den Verein. Und damit auch daran, dass Heidenheim langfristig ein Bundesligist sein könnte.

Heimat Heidenheim: "Ich will hier nie wieder weg"

"Wir sind nicht aufgestiegen, um zu sagen: Wir machen das hier nur als Abenteuer, lassen uns die Bude vollschießen und gehen wieder runter", betont Robert Strauß. "Wir wollen uns mit unserer Art und Weise, wie wir Dinge in Heidenheim angehen, unbedingt in der Bundesliga etablieren. Ansonsten macht es auch keinen Sinn, dass wir da antreten."

Doch wie werden Dinge in Heidenheim überhaupt angegangen? "Zusammenhalt wird bei uns großgeschrieben, denn der FCH ist wie eine riesige Familie. Medial betrachtet sind wir ein Verein, bei dem Fußballer in Ruhe arbeiten können", fasst Strauß zusammen. "Hier können Spieler sich komplett auf den Sport konzentrieren."

Dazu kommt eine unvergleichliche Kontinuität. "Wir haben eine besondere Konstanz in unseren handelnden Personen", erläutert Strauß. Holger Sanwald, Vorstandsvorsitzender beim FCH, ist beispielsweise seit 1994 im Klub. Bernd Weng trainiert seit 23 Jahren die Torhüter in Heidenheim.

Auch Robert Strauß zählt zu den Urgesteinen. Achteinhalb Jahre hielt der 36-Jährige selbst die Knochen auf dem Platz für den Verein aus Baden-Württemberg hin. Geboren wurde er rund 50 Kilometer entfernt von dort. Als er nach Stationen in Augsburg und Aue in die Heimat zurückkehrte, habe er schnell gemerkt, dass die Menschen in Heidenheim einfach so ticken würden wie er. "Neben meiner privaten Heimat habe ich in der Region auch meine berufliche gefunden. Ich wusste, ich will hier nie wieder weg", erinnert sich Strauß zurück. "Ich kann mir auch in meiner Funktion als Bereichsleiter Sport nicht vorstellen, irgendwo anders zu arbeiten. Ich mache das hier, solange ich das darf."

Mehr Geld, mehr Mitglieder, aber die gleiche Philosophie

Wie lange Robert Strauß am Ende tatsächlich gestattet wird, seine aktuelle Arbeit auszuüben, könnte auch davon abhängen, wie gut der von ihm zusammengestellte Kader in der Bundesliga abschneidet. Das Anforderungsprofil an neue Spieler habe sich nicht geändert, sagt er: "Wir brauchen diejenigen, die bereit sind, ein paar Meter mehr zu machen als der Gegner." Das seien vor allem junge Talente sowie Spieler, die nicht auf ihren ersten Stationen den Durchbruch geschafft hätten, sondern erst bei ihrem zweiten oder dritten Verein aufgeblüht seien. "Oder Spieler, die diesen Schritt nun in Heidenheim gehen wollen", so Strauß.

Ein Blick auf die Heidenheimer Transferaktivitäten in diesem Sommer verdeutlicht diese Philosophie. Königstransfer Marvin Pieringer kam für 1,8 Millionen Euro von Bundesligaabsteiger Schalke. Dort hatte er nie richtig in die Spur gefunden, bis er vergangene Saison an den SC Paderborn ausgeliehen wurde und zehn Treffer in der 2. Bundesliga erzielte.

Benedikt Gimber wurde in Hoffenheim ausgebildet. Ins Bundesliga-Team schaffte es der 26-Jährige in jungen Jahren aber nicht. Über die Stationen Sandhausen, Karlsruhe, Ingolstadt und Regensburg bekommt der Verteidiger nun die Chance, sich im Oberhaus zu beweisen. Dabei stieg er mit dem Jahn in der vergangenen Saison sogar aus der 2. Bundesliga ab.

Für große Stars oder etablierte Toptalente wird es beim Aufsteiger in der neuen Spielzeit aber allein des Geldes wegen nicht reichen. "Das ist nicht unsere finanzielle Kragenweite. Wir müssen die Spieler finden, für die die Bundesliga die Chance ihres Lebens ist", erklärt der Bereichsleiter Sport. "Genauso, wie es für den Verein eine riesige Chance ist."

Was Strauß damit meint? Der Aufstieg hat den Verein bereits jetzt in neue Sphären katapultiert. Vor der Partie in Regensburg habe der 1. FC Heidenheim 3.000 Mitglieder gehabt. Laut Strauß seien es mittlerweile rund 8.500. Auch der Gesamtetat hat sich drastisch erhöht: "Vergangenes Jahr in der 2. Liga lag er bei 40 Millionen, jetzt in der Bundesliga sind es rund 60 Millionen." Die Ticketnachfrage für die Heimspiele sei zudem unfassbar hoch. "Die Voith-Arena wird in dieser Saison 17-mal ausverkauft sein", sagt Strauß. Das Heidenheimer Stadion ist zwar mit 15.000 Plätzen die kleinste Heimspielstätte der Liga, aber der Verein arbeitet an einem Ausbau. "In der Bundesliga brauchen wir einfach eine höhere Stadionkapazität", so Strauß.

"Du hast es geschafft, wenn du samstags um 15.30 Uhr spielst"

Das erste Heimspiel steht derweil erst am 2. Spieltag an. Dann trifft der FCH auf die TSG 1899 Hoffenheim. Die Bundesligapremiere gibt es jedoch schon am kommenden Samstag. Dann geht es für den Aufsteiger zur Auswärtspartie nach Wolfsburg (im Liveticker bei t-online).

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Einer, der dann mit bereits 32 Jahren sein Bundesliga-Debüt auf dem Platz feiern wird, ist genauso wie Robert Strauß schon eine ganze Weile in Heidenheim verwurzelt. Kevin Müller kam 2015 zum Klub, als dieser gerade einmal ein Jahr im deutschen Unterhaus gespielt hatte. "Es wäre gelogen, wenn ich damals schon dran geglaubt hätte, es würde irgendwann mal für die erste Liga reichen", sagt der Keeper t-online.

Was bedeutet ihm also die Chance, doch noch einmal in Deutschlands Eliteliga auflaufen zu können? "Ich hatte mal einen Torwarttrainer im Nachwuchs, der mir gesagt hat: 'Du hast es in deiner Laufbahn dann geschafft, wenn du nicht samstags um 13 Uhr spielst, sondern um 15.30 Uhr.'", betont Müller und verweist damit auf die späteren Anstoßzeiten in der Bundesliga im Vergleich zur 2. Liga. "Ich bin jetzt seit 14 Jahren Profi und es hat lange gedauert, bis hier hinzukommen."

Harry Kane in Heideheim? "Das ist natürlich verrückt"

Wie bei Robert Strauß steht aber auch beim Torhüter der Klassenerhalt in der jetzigen Spielzeit an erster Stelle. "Am Ende des Tages geht es darum, drei Mannschaften hinter sich zu lassen", so Müller. Viele Leute würden jetzt sagen, Heidenheim solle einfach drauflosspielen. "Die meinen dann, wir hätten nichts zu verlieren. Das ist totaler Quatsch. Niemand möchte absteigen. Niemand möchte das Gefühl haben, das ein Abstieg mit sich bringt."

Auch wenn Müller sich auf die Bundesliga freut, macht er deutlich: "Das ist hier keine Spaßveranstaltung. Wir wollen nicht nur ein Jahr dabei sein. Wir haben Ziele." Auf Rückschläge mache er sich trotzdem gefasst, denn die Qualität in der ersten Liga sei einfach höher als in der zweiten: "Es kann also auch mal sein, dass wir unter die Räder kommen", erklärt Müller. Punkte wolle er mit seinem Team aber trotzdem in jedem Spiel holen. Denn: "Zu verschenken haben wir auch nichts."

Nicht einmal gegen den FC Bayern und seinen neuen Superstar aus England? "Dass Harry Kane diese Saison in Heidenheim aufläuft, ist natürlich verrückt", gibt der FCH-Torhüter zu. "Doch auch für ihn gilt dasselbe wie für alle anderen: Wir spielen zusammen in einer Liga. Jeder muss sich beweisen."

Der Mann, "der den 1. FC Heidenheim lebt"

Und dann ist da natürlich noch derjenige, der das Aufeinandertreffen des 57. Bundesligisten mit dem FC Bayern und Harry Kane durch jahrelange Erfolgsarbeit überhaupt erst möglich gemacht hat. "Er ist jemand, der den 1. FC Heidenheim lebt", sagt Kevin Müller über seinen eigenen Trainer Frank Schmidt. Der steht seit 2007 an der Seitenlinie beim FCH. Ein Novum in der Branche Profifußball, in der die Haltbarkeit von Trainern bei einem Verein oftmals nur auf wenige Monate begrenzt ist.

Wie tickt also der Mann, der einen Provinzklub aus der 5. Liga in Deutschlands höchste Spielklasse befördert hat? "Frank ist unglaublich", sagt Robert Strauß. "Er lebt eine besondere Siegermentalität vor." Schmidts Wert für das Team zeige sich aber nicht nur in guten Phasen, sondern auch bei Negativerlebnissen. Strauß erinnert an die Partie gegen den 1. FC Kaiserslautern in der vergangenen Saison, als der 1. FC Heidenheim einen sicher geglaubten Sieg noch durch zwei Gegentreffer in der Nachspielzeit aus der Hand gab. "In solchen Momenten stellt sich Frank direkt nach dem Schlusspfiff kurz die Frage, was schiefgelaufen ist? Am nächsten Morgen hält er dann eine Ansprache vor den Jungs, nach der du denkst: 'Lass uns gleich wieder rausgehen und spielen.'"

Das kann Kevin Müller bestätigen: "Er hat eine Balance gefunden, die Spieler einerseits zu fordern und sie andererseits in den Arm zu nehmen." Dieses Gleichgewicht sei entscheidend: "Ich habe kein Problem damit, wenn der Trainer das Gefühl hat, er muss mir mal einen Arschtritt geben", so Müller. "Dann soll er das machen, das ist in Ordnung für mich. Ich freue mich aber auch, wenn er mal sagt: 'Hey Kevin, das hast du gut gemacht.'"

Alles geben und absteigen? "Dann wäre es so"

Dass Schmidt offenbar ein Meister darin ist, in Zuckerbrot-und-Peitsche-Manier das Maximum aus seinen Spielern herauszukitzeln, zeigt ein Blick auf die acht von 16 Spielzeiten, in denen Kevin Müller unter dem 49-Jährigen trainierte. "Seitdem ich hier bin, gab es ein einziges Jahr, in dem es in der 2. Liga mal nicht so gut lief und wir bis kurz vor Schluss im Abstiegskampf gesteckt haben", sagt der Torhüter. "Sonst haben wir es immer geschafft, erfolgreich zu sein. Das ist auch eine Auszeichnung für ihn als Trainer."

Das Lob könnte Schmidt sich schon in den kommenden Wochen erneut abholen, falls es dem 1. FC Heidenheim tatsächlich gelingen sollte, die finanzkräftigeren Klubs der Bundesliga auf dem Spielfeld zu ärgern. Dann könnte es klappen mit dem großen Ziel Klassenerhalt. "Unser klares Ziel ist es drinzubleiben", betont deshalb noch mal Robert Strauß. Trotzdem: "Wenn das Team alles gibt und am letzten Spieltag absteigen würde, dann wäre es so. Unser ganzer Fokus liegt jetzt aber einzig und allein auf dem Kampf um den Klassenerhalt in der Bundesliga."

Verwendete Quellen
  • Interviews mit Robert Strauß und Kevin Müller
  • Eigene Recherche
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