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Sportlicher Leiter über DFB-Krise: "Dieser Spielertyp fehlt uns bei den Männern"


DFB-Frauen vor WM-Start
"Dieser Spielertyp fehlt uns bei den Männern"

  • Noah Platschko
InterviewVon Noah Platschko

19.07.2023Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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So wollen die deutschen Frauen auch bei der WM jubeln. (Quelle: IMAGO/Laci Perenyi)

Die Männer in der Krise, die Frauen obenauf? Joti Chatzialexiou hofft auf einen erfolgreichen Sommer – und zeigt sich optimistisch.

Seit 2018 ist Joti Chatzialexiou beim DFB als sportlicher Leiter angestellt. Bezogen auf die Männer-Nationalmannschaft ist das so in etwa der Zeitraum, seit dem es nicht mehr wirklich rund läuft beim A-Team.

Doch auch beim Nachwuchs holpert es. Die U21 schied vor wenigen Wochen bei der EM in der Gruppenphase aus, Chatzialexiou sprach von einem "Super-Gau".

Wie gut, dass nun die WM der Frauen in Australien und Neuseeland stattfindet. Der EM-Finalist von 2022 gehört aufgrund des Erfolgs im vergangenen Jahr zu den Titelkandidaten. Reicht es dieses Jahr für den Pokal?

t-online: Herr Chatzialexiou, die A-Nationalmannschaft und die U21 sind in der Vorrunde bei WM und EM gescheitert. Wo steht der deutsche Männerfußball im Jahr 2023?

Joti Chatzialexiou: Die Frage wurde mir zuletzt des Öfteren gestellt. Wir hatten bislang kein gutes Jahr mit der A- und U21-Nationalmannschaft. Das Aus der U21 in der Vorrunde war aber verdient. Das Spiel gegen England hat aufgezeigt, dass wir viel Arbeit vor uns haben. Die Breite in der Spitze ist nicht so weit wie bei anderen Nationen. England beispielsweise war uns im dritten Spiel mit der zweiten Garde haushoch überlegen.

Sie sprachen unmittelbar nach dem Aus der U21 von einem "Super-Gau". Mit etwas Abstand: Was war der Grund für das frühe Scheitern?

Es gibt viele Dinge, bei denen wir ansetzen müssen. Passschärfe, Passqualität, Intensität, Dynamik, Eins-gegen-Eins-Situationen. Da haben wir viel Nachholbedarf.

Warum hat die Mannschaft all das nicht auf dem Platz gezeigt?

Toni (Trainer Antonio di Salvo, Anm. d. Red.) kam kurz nach dem Ausscheiden zu mir nach Herzogenaurach, wir haben uns bis spät in die Nacht eingeschlossen und diskutiert. Die Ausbildung ist am Ende der Schlüssel. Wir reden zu viel von einer Selektion und weniger von einer Ausbildung. Das muss in die Köpfe der Menschen. Wir müssen fußballbezogener trainieren, mehr Abschlüsse kreieren. Wir haben uns in der Vergangenheit teilweise "verrondoisiert".

Verrondoisiert?

Einem Fußball nacheifern, der sehr viel von Ballbesitz geprägt war. Die Spanier galten mit ihrer Art als Vorbild, haben von 2008 bis 2012 alle Titel geholt. Oder nehmen Sie den Stil von Pep Guardiola. Er macht das sensationell bei City, hat eine Maschine erschaffen. Aber die europäische Krone haben sie sich erst in diesem Jahr aufgesetzt, weil sie mit Erling Haaland einen zentralen Spieler vorne drin hatten, der alle Komponenten, die das Spiel Citys ausmachen, vollendet und veredelt hat. Diese Veredelung fehlt uns in Deutschland. Wir haben ein Stürmerproblem – zumindest bei den Männern.

Mit Florian Wirtz, Malick Thiaw oder auch Jamal Musiala hätten drei Nationalspieler noch in Georgien mit dabei sein können. Im Nachhinein ein Fehler, auf sie zu verzichten?

Es geht um die Entwicklung jedes einzelnen Spielers. Flo war 2021 schon bei der U21 dabei, ist Europameister geworden – und er ist gemeinsam mit Jamal fester Bestandteil unserer A-Nationalmannschaft. Bei Malick hätte man das überlegen können, auf der anderen Seite wollten wir ihm bei Hansi Spielpraxis geben, weil er ein potenzieller Kandidat für die Euro im kommenden Jahr ist. Und gegen Polen hat er seine Chance genutzt. Die Heim-EM steht über allem.

Mit Sandro Wagner haben Sie sich jüngst einen jungen Trainer mit ins Boot geholt. Was erhoffen Sie sich von ihm?

Ich kenne Sandro seit sehr vielen Jahren, bin von ihm als Typen und Menschen überzeugt. Er wird uns mit seinen Fähigkeiten und seiner Erfahrung helfen. Wir haben bei uns im DFB unter anderem die "Positionsspezifische Programme". Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass wir spezifischer ausbilden müssen. Er weiß, wo die Kiste steht – und das soll er unseren Jungs mitgeben. Aber er soll sich auch als Trainer bei uns entwickeln, bei den Nachwuchstrainern reinschnuppern und hospitieren. Er kann ein Top-Trainer werden und ist willig zu lernen. Wir wollen ihm die Möglichkeit geben, die Pro-Lizenz zu machen, sodass er dann hoffentlich als noch besserer Trainer im deutschen System arbeitet.

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Worauf wollen Sie im Jugendbereich künftig noch mehr Wert legen?

Neben den positionsspezifischen Themen wollen wir die Art des Trainings mehr in den Fokus nehmen. Wir wollen Schulungen geben und dafür sensibilisieren, wie wichtig das Training, wie wichtig auch kleine Spielformen sind, die man dann auf das elf gegen elf beim Punktspiel übertragen kann. Dieses Projekt geht ein Team unserer U-Trainer rund um Hannes Wolf derzeit an. Das Spielen dem Üben vorziehen ist unser Motto!

Die Trainerposition ist das eine. Wie weit ist der DFB bei der Besetzung des Sportdirektoren-Postens? Sami Khedira und Hannes Wolf sollen, wie man hört, das neue Duo bilden, wenn Rudi Völler 2024 abtritt.

Ich kenne die Planungen nicht. Die Antwort sollen andere geben. Ich weiß, dass Hannes durch und durch Trainer ist. Er wird und will Trainer bleiben, hat seine Qualitäten auf dem Platz.

Ex-DFB-Manager Oliver Bierhoff sagte vor ein paar Jahren über Sie, Sie würden einen Job für drei machen. Fühlt es sich auch so an?

Ich weiß, was Oliver gemeint hat. Wenn manche in meinen Kalender gucken, bekommen sie ein Schleudertrauma (lacht). Aber für mich ist es keine Arbeit, sondern eine absolute Herzensangelegenheit. Das soll keine Floskel sein, denn für mich ist es eine Ehre, den deutschen Fußball in seiner Gänze mitgestalten zu dürfen. Zudem habe ich ein wundervolles Team, das mich unterstützt.

Rudi Völler und Hansi Flick betonten zuletzt gebetsmühlenartig, man wolle vor der Heim-EM eine Aufbruchstimmung erzeugen. Spüren Sie die?

Wenn man die nackten Ergebnisse sieht, könnte man denken, es geht in die falsche Richtung. Ich persönlich bin Optimist und glaube, dass zu einer Widerstandsfähigkeit auch gehört, schlechte Phasen durchzustehen. Jeder einzelne von uns hat einen klaren Blick auf die derzeitige Situation. Ich bin demütig und weiß, dass andere Nationen nicht schlafen. Du musst aber immer hundert Prozent geben. Bezogen auf die EM im kommenden Jahr weiß ich, dass es eine Aufbruchstimmung geben wird. Wir haben ein tolles Team, klasse Jungs und wir werden die Fans im Rücken haben, die Leute werden Gas geben wie bei der WM 2006.

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Sind Sie sich da sicher?

Wenn die Menschen sehen, dass Spieler auf dem Platz stehen, die sich für ihr Vaterland zerreißen, dann kann das einen riesigen Schub geben. Und dann werden wir auch eine tolle EM erleben.

Und die wird mit Hansi Flick an der Seitenlinie gespielt werden?

Ich kenne Hansi viele Jahre und bin von ihm als Trainer und Mensch überzeugt. Es ist nun mal so in unserem Sport, dass die Ergebnisse eine wichtige Rolle spielen. Aber es benötigt eben auch die Zeit, gewisse Dinge einfach auszuprobieren und seine Erfahrungen zu sammeln.

U21 und Männer sind in der Sommer-Pause, das ist doch die perfekte Gelegenheit für die Frauen, jetzt bei der WM in Australien und Neuseeland eine "Sympathie-Lücke" zu füllen. Was machen die Frauen aktuell besser als die Männer?

Diese Mannschaft ist vielfältig, sie ist bunt, sie lebt. Das merkst du auf und neben dem Platz. Sie strahlen eine unglaubliche Positivität aus. Die Menschen schätzen den "ehrlichen" Fußball dieser Mannschaft. Der Einsatz und die Lust zu verteidigen bei der Europameisterschaft waren bemerkenswert. Das letzte Hemd zu geben, das hat die Fans in den Bann gezogen.

Bei den Männern wurde kritisiert, dass das Base-Camp in Katar 100 Kilometer nördlich von Doha war. Bei den Frauen ist das Quartier jetzt ebenfalls 100 Kilometer nördlich von Sydney. Begeht der DFB wieder denselben Fehler?

Das glaube ich nicht. Wir sind nah dran am Publikum. Es ist ja nicht so, dass wir komplett weg vom Schuss sind, außerdem sind die Wege in Australien per se weiter als in Katar. Unmittelbar vor den Spielen sind wir in den großen Städten vor Ort. Ich finde es aber auch gut und richtig, dass sich das Team zurückziehen und auf die sportlichen Aufgaben konzentrieren kann. Wir wollten nicht in einen City-Bunker, sondern das ganze etwas persönlicher und privater gestalten. Die Quartierfrage ist mit Sicherheit eine wichtige, sollte aber nicht zu hoch gehangen werden.

Das Thema "Binde" scheint in diesem Jahr schon vorzeitig geklärt zu sein. Wie lief die Kommunikation mit der Fifa und wie groß ist die Angst, dass es nochmal Thema werden könnte?

Ich habe keine Angst vor einer Binden-Thematik, weil wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Alles, was fernab vom Sportlichen ist, haben wir geklärt. Mein Wunsch ist es, dass der Fokus auf den Partien der Mannschaft liegt. Wenn wir erfolgreich sind, dann gewinnen wir die Menschen für uns.

Warum ist es denn so schwierig, mit einer Regenbogenbinde aufzulaufen?

Die Fifa hat gewisse Vorgaben und unsere Spielerinnen wurden vom Verband in den Entscheidungsfindungsprozess miteinbezogen. Sie können sich mit allen Binden identifizieren. Die Fifa hat die Möglichkeit gegeben, die Binde von Spieltag zu Spieltag zu wechseln oder sich auf eine festzulegen. Mit diesen Optionen war der Mannschaftsrat rund um unsere Kapitänin Alexandra Popp sehr zufrieden. Das ist das, was zählt.

Apropos Alex Popp: Vergangenes Jahr war sie die alles entscheidende Spielerin. Welche Rolle trauen Sie Ihr bei der WM zu?

Ich bin sehr froh, dass wir sie auch bei der WM in unseren Reihen haben. Sie macht den Unterschied in dieser Mannschaft aus. Poppi gehört noch zu der alten Generation Mittelstürmer und war und ist ein ganz entscheidender Schlüssel für den Erfolg unseres Teams. Sie ist der Spielertyp bei den Frauen, der uns bei den Männern fehlt (lacht).

Kapitänin Popp äußerste sich im Vorfeld des Turniers auch zu den Prämienzahlungen. Der DFB zahlt den Spielerinnen die von der Fifa vorgegebene Mindestsumme. Warum hat sich der Verband dagegen entschieden, zusätzliche eigene Gelder an die DFB-Frauen auszuzahlen?

Erst einmal muss man festhalten, dass die Höhe der Prämie eine bisher nie dagewesene, tolle Dimension erreicht hat. Außerdem weiß ich von unseren Spielerinnen, dass sie nicht ausschließlich die Prämien im Fokus haben. Ihnen geht es um die Entwicklung des Frauenfußballs als Ganzes. Wir versuchen im Frauenfußball sehr viel zu investieren, uns auch im Marketing, der Talentförderung stärker aufzustellen. Das schätzen unsere Spielerinnen. Die nackte Prämie steht nicht im Vordergrund – und da bin ich auch stolz drauf.

Aber es hat Sie doch nicht überrascht, dass die Prämie medial zum Thema gemacht wurde.

Ich kenne die Medienlandschaft und dass das Thema von medialer Relevanz ist. Ich glaube aber, dass viele nicht wissen, welche Investitionen wir beim DFB tätigen. Wenn ich dann unser Budget und unsere Zahlen sehe, was uns das Turnier und die Vorbereitung kostet, dann weiß ich, dass das Geld gut angelegt ist. Weil es in die sportliche Weiterentwicklung der Spielerinnen fließt.

Zum Abschluss: Wann wäre für Sie die WM der Frauen ein Erfolg?

Wenn ich in so ein Turnier gehe, wünsche ich mir immer den Titel. Das wünschen wir uns alle. Wir schauen, was am Ende rauskommt. Es sind so viele starke Nationen dabei, da sollte man wissen, dass es kein Spaziergang wird und man Tausend Prozent geben muss. Ich hoffe, dass wir mit einem großen Lächeln im Gesicht nach Deutschland zurückkehren werden.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Gespräch mit Joti Chatzialexiou
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