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Copa del Rey: Warum sich Real, Barça, Atlético benachteiligt fühlen


Überall Verschwörung
Real, Barça, Atlético: Warum sich alle benachteiligt fühlen

Von t-online
Aktualisiert am 10.02.2017Lesedauer: 7 Min.
Barcelona-Fans protestierten im Pokalspiel gegen Atlético gegen den Schiedsrichter.Vergrößern des BildesBarcelona-Fans protestierten im Pokalspiel gegen Atlético gegen den Schiedsrichter. (Quelle: ZUMA/imago-images-bilder)
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Von Florian Haupt

Alle Jahre wieder – gibt es ein spanisches Pokalfinale. Und alle Jahre wieder: dieselbe Debatte. Wo soll, kann und darf es stattfinden?

Wenig ist so spanisch wie dieser Streit. Wenig liefert ein so anschauliches Beispiel für den extremen Stolz der Regionen und Nationen des Königsreichs – der sich wiederum nirgendwo so deutlich manifestiert wie im Fußball. Er sorgt für die wunderbare Vielfältigkeit der Primera División. Aber eben auch für manche Groteske.

Posse um das Pokalfinale

Das Pokalfinale also. Nach den Halbfinalrückspielen diese Woche stehen die Teilnehmer fest: der FC Barcelona und Aufsteiger Deportivo Alavés aus der baskischen Hauptstadt Vitoria. In der geographischen Mitte beider Städte liegt Saragossa, aber das dortige Stadion ist zu klein und alt. Die Logik geböte daher, im Madrider Estadio Santiago Bernabéu zu spielen. 350 Kilometer oder vier Zugstunden von Vitoria, 600 Kilometer oder zweieinhalb Schnellzugstunden von Barcelona. Außerdem natürlich: die größte (nach Barcelonas Camp Nou) und modernste Arena des Landes.

Aber so einfach ist es nicht. Der Palast gehört schließlich Real Madrid, und dort erinnert man sich mit Schrecken an das Jahr 1997, als Barça im Bernabéu das Finale gegen Betis Sevilla gewann und daraufhin die Klubhymne der verhassten Katalanen über die Lautsprecher lief. So etwas möchte man nie wieder erleben, und deshalb zierte sich Real schon in den vergangenen Jahren mit allen möglichen Ausreden, wann immer Barça ein Finale erreichte (und das kommt oft vor: in sieben der neun letzten Saisons). 2012 mussten beispielsweise die Toiletten repariert werden. Espanyol und Saragossa (2006), Sevilla und Getafe (2007) sowie ein Madrider Finalderby zwischen Real und Atlético (2013) blieben von der Renovierungswut hingegen verschont.

Real stellt sich mal wieder quer

In weiser Voraussicht ließ Reals Klubführung diesmal schon die letzte Mitgliederversammlung beschließen, dass auch diesen Frühsommer mit Abpfiff des letzten Ligaheimspiels wieder Bauarbeiten in Angriff genommen werden müssen. Präsident Florentino Pérez bestätigte diese unglückliche Koinzidenz am Donnerstag. "Im Bernabéu kann das Finale nicht gespielt werden", sagte er – bevor sie bei Barça auch nur auf die Idee kommen, ihn mit einem entsprechenden Antrag bloßzustellen.

Finalgegner Alavés hat sowieso andere Pläne, was damit zu tun haben könnte, aber nicht muss, dass Eigentümer Josean Querejeta als Freund von Pérez gilt. Er schlug nach dem Finaleinzug in der Nacht zum Donnerstag das San Mamés in Bilbao vor. Das wäre zwar etwas unfair, weil es von Vitoria nur eine Stunde entfernt ist, von Barcelona jedoch sechs. Aber Querejeta weiß ja ohnehin, dass es nicht so weit kommen wird. In Bilbaos Stadtrat wurde der Antrag der konservativ-spanischen Volkspartei auf eine Finalbewerbung schon vor knapp zwei Wochen abgelehnt. Damit würden nur "Spannungen erzeugt", so die Mehrheitsargumentation. Große Teile Bilbaos, stolzes Aushängeschild des baskischen Nationalismus, wollen kein Finale um den "Königspokal" austragen, dem das Abspielen der spanischen Nationalhymne vorangeht.

Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur

Am Ende dürfte es wie meistens das Estadio Vicente Calderón werden, das Atlético Madrid gehört und die letzte Saison vor dem Umzug des Vereins in eine neue Arena erlebt. Was jedoch nicht bedeutet, dass bis zur Entscheidung nicht noch ein bisschen gestritten werden kann. Und man so oder so ähnlich immer wieder den Satz hören wird, den ein Moderator des Radiosenders "Cadena Ser" formulierte: "Wir haben die besten Klubs der Welt – und die schlechteste Organisation."

Das Gute daran: Es gibt viel zu besprechen. Momentan sogar besonders viel. Die Vermischung von Paranoia und Minderwertigkeitskomplexen, Verschwörungstheorien und tatsächlichen Missständen hat im spanischen Fußball gerade mal wieder Hochkonjunktur. Eigene Schuld wird dabei nie eingeräumt; der Finger zeigt immer auf die anderen, und die sitzen immer im selben Land – einem Königreich, zu dem viele Landstriche am liebsten sowieso nicht gehören würden.

Streit um Spielabsage in Vigo

Der größte Aufreger der Woche wurde allerdings aus der Hauptstadt angezettelt. Warum? In Vigo hatte am Sonntag das Ligaspiel zwischen Celta und Real Madrid abgesagt werden müssen, weil seit Tagen schwere Unwetter mit Windgeschwindigkeiten bis zu 170 km/h über Galizien tobten, die ein Menschenleben forderten und zehntausende Haushalte ohne Strom zurückließen. In Celtas Estadio Balaídos wurde die Dachkonstruktion beschädigt. Die Sicherheit der Zuschauer könne nicht garantiert werden, verfügte der Bürgermeister.

Eine vernünftige Entscheidung, möchte man meinen. Real sah es anders und warf seine Druckmaschinerie in Gang, um das Spiel trotzdem über die Bühne zu bringen. Bei der Liga wurde die Reparatur des Dachs oder die Verschiebung in einen anderen Spielort beantragt. Fans wurden zur Anreise animiert, als sei nichts geschehen. Gleichzeitig wurde an befreundete Claqueure in den Medien die Nachricht lanciert, man halte die Zeit für eine europäische Superliga gekommen. Subtext: Eine Operettenliga wie die spanische sei Real Madrid nicht mehr würdig. Als ob noch nirgendwo sonst auf der Welt je ein Fußballspiel wegen des Wetters ausgefallen wäre.

Selbst Vigos Bürgermeister mischt mit

Doch dafür müsste man ja über den eigenen Stadionzaun gucken. Und Madrid kam die Absage sehr ungelegen: Wegen der Klub-WM war man bereits zuvor ein Spiel im Rückstand und fürchtete um die letzten Regenerationszeiten im restlichen Saisonverlauf. Unbedingt durchpeitschen wollte man die Partie noch aus einem weiteren Grund: Celta spielte am Mittwoch das Pokalhalbfinale in Alavés, und Trainer Berizzo hatte daher angekündigt, neun Stammspieler schonen zu wollen. Was sind schon Sicherheitsbedenken, wenn drei einfache Punkte abzustauben sind?

Abgerundet wurde das Spektakel schließlich von Vigos Bürgermeister, der es sich nicht nehmen ließ, in den nächsten Tagen wieder und wieder mit dem Finger auf Real zu zeigen und dabei gern noch mal an Celtas Viertelfinalsieg erinnerte, als hätte er selbst auf dem Platz gestanden: "Sie sind wohl sauer, weil wir sie aus dem Pokal geschmissen haben." Peripherie gegen Zentrale, der alte Streit, auch Galizien verfügt über eine eigene Sprache und viel regionales Selbstbewusstsein, oder wie es Bürgermeister Caballero ausdrückte: "Die Entscheidungen in Vigo trifft nicht Real Madrid". Das wiederum antwortete beleidigt mit einem offiziellen Kommuniqué: "Die Äußerungen des Bürgermeisters sind deplatziert und vollkommen falsch."

Sevilla diskutiert über die "Biris"

Derweil wurden Pressemitteilungen auch in Sevilla verschickt. Verein, Spieler und Fans des FC haben sich auf diese Weise geäußert, nachdem der führenden Ultra-Gruppe "Biris" das Mitführen ihrer Transparente oder anderer Kennzeichen untersagt wurde. Die Wortführer im Estadio Sánchez Pizjuan boykottierten daraufhin das Heimspiel gegen Villarreal. Der Klub wiederum beeilte sich zu betonen, widerwillig und nur auf Anordnung der staatlichen Anti-Gewalt-Kommission gehandelt zu haben, welche die "Biris" schon lange im Visier hat, besonders nach einem Überfall auf italienische Studenten vor einem Spiel gegen Juventus Turin in der Champions League.

Der trug sich allerdings schon vor Monaten zu. Und so vermuten viele "Sevillistas" hinter dem verschärften Behördeneifer eher den Umstand, dass die "Biris" vorigen Monat den Real-Kapitän und Ex-Sevilla-Profi Sergio Ramos in zwei aufeinanderfolgenden Partien massiv beleidigten. Das geht im Weltfußball jede Woche hunderten Profis nicht anders, wird in Spanien aber energisch verfolgt, seit der Tod eines Anhängers von Deportivo La Coruña vor zwei Jahren eine allgemeine Debatte über die Stadionkultur auslöste. Außerdem brachte es der Fall zum Aufreger, weil Ramos die Anhänger beim Pokalauftritt mit einem lässig-geschnibbeltem Elfmeter und anschließender Jubelpose erst zusätzlich provozierte, um im Ligaspiel drei Tage später dann entnervt ein Eigentor zu verschulden und so Reals erste Niederlage seit 40 Spielen einzuleiten.

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Auch Barcelona und Atletico fühlen sich benachteiligt

Der Verdacht ist allgegenwärtig in Spanien: Wer sich mit Real Madrid anlegt, wird dafür bestraft. Sevillas Missstimmung befeuert sich dadurch weiter, dass man in den letzten beiden Spielen unter strittigen Schiedsrichterentscheidungen zu leiden hatte und nach nur einem Punkt aus diesen Partien aus dem Titelrennen katapultiert ist, das man durch den Sieg gegen Madrid eröffnet zu haben schien. Gleichzeitig bekommt Real in dieser Spielzeit von den Unparteiischen besonders viel geschenkt, so jedenfalls die Kritiker: Bereits sieben Punkte, rechnete die katalanische Zeitung "Sport" vor.

In Barcelona ist man dieser Tage besonders indigniert. "Tebas, hau’ ab", lautet seit einigen Wochen der Standardsong in der Fankurve des Camp Nou. Der Ligachef gleichen Namens ist bekennender Anhänger von Real und war früher Mitglied einer strammrechten, zentralistischen Partei. Seit im letzten Auswärtsspiel bei Betis Sevilla ein klares Tor nicht gegeben wurde, sind Publikum und auch einige Spieler endgültig von einer systematischen Benachteiligung überzeugt. "Das hatte sich angekündigt, es ist das, was der Schiedsrichter wollte", kommentierte etwa Luis Suárez am Dienstag seine Gelb-Rote Karte in der Schlussminute des Halbfinalrückspiels gegen Atlético, die ihn die Endspielteilnahme kosten wird. "Hände hoch, das ist ein Überfall", sang die Kurve dazu – und das ganze Stadion verabschiedete den Schiedsrichter mit minutenlangem Schwenken weißer Taschentücher, Ausdruck maximaler Empörung.

Jeder gegen jeden

Dass Barça in der Amtszeit von Tebas schon mehrere Ligen gewonnen hat und bei den Schiedsrichtern dabei oft auch gut wegkam – das ist natürlich schnell vergessen. Auch im Pokalspiel gegen Atlético reichte es trotz schwacher Leistung nicht zuletzt deshalb zum Finaleinzug, weil der Unparteiische den Gästen ein reguläres Tor aberkannte und schon in der ersten Hälfte einen Elfmeter vorenthielt. Ehrensache, dass Atléticos Trainer Diego Simeone dahinter keinen Zufall erblickte, sondern gezielte Benachteiligung durch Spaniens Fußballinstanzen. "Mir ist schon klar, dass wir in der Champions League bessere Chancen haben als in Liga und Pokal", sagte er.

Jeder gegen jeden – und alle gegen Liga und Verband. So geht es munter weiter, in Liga und Pokal. In allen anderen Ländern gebe es einen fixen Spielort für das Pokalfinale – Wembley, Berlin, St. Denis –, nur Spanien sei dazu nicht in der Lage, lautete jetzt wieder eine klassische Beschwerde. "Absurd und anachronistisch", findet das nicht nur "Sport". Dass Wembley und St. Denis neutrale Nationalstadien sind (ein solches gibt es in Spanien nicht), dass Berlin nie selbst das Pokalfinale erreicht – das wird natürlich nicht erwähnt. Und so kann man nur erahnen, wie dieselben Kommentatoren schimpfen würden, wenn etwa Barça gegen eine Madrider Mannschaft in deren Madrider Stadion antreten müsste. Das Wort absurd wäre bestimmt nicht weit.

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